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Verschlungene Pfade führen zum Paradies am Horizont

Zwei Kunstinstallationen sind bis 3. Dezember in der Martinskirche zu sehen: Lichterlabyrinth und „Cloud“

Noch brennen auf dem Bild erst drei symbolische Teelichter unterhalb der goldenen Wolke im Chor der Kirchheimer Martinskirche. V
Noch brennen auf dem Bild erst drei symbolische Teelichter unterhalb der goldenen Wolke im Chor der Kirchheimer Martinskirche. Von heute Abend an aber bilden 360 kleine Flammen ein ganzes Lichterlabyrinth.Foto: Carsten Riedl

Kirchheim. Feuer, Erde, Wasser, Luft: Die vier Elemente, die in der Antike und im Mittelalter als wegweisend galten, finden sich derzeit

Andreas Volz

im Chor der Kirchheimer Martinskirche vereint: Am Boden, also auf der Erde, stehen 360 Teelichter in kleinen Gläsern. Am heutigen Mittwoch gegen 17 Uhr werden sie erstmals „befeuert“. Angeordnet sind sie so, dass sie ein Labyrinth bilden. Dieses Labyrinth ist zwar weit davon entfernt, das berühmte Vorbild von Chartres zu erreichen. Aber nachempfunden ist es dem französischen Ideal durchaus.

Vom Chorgewölbe wiederum „seilt“ sich eine weitere Kunstinstallation ab. Sie hängt also nahezu frei schwebend in der Luft und wird von der aufsteigenden Wärme – sowohl von der Heizung als auch von den Teelichtern – in Schwingung versetzt. Die „Cloud“ von Bertl Zagst ist eine goldglitzernde Wolke, die einen großen Interpretationsspielraum bietet. So repräsentiert sie das Element Wasser, das eigentlich in einer Wolke steckt. Der goldene Glanz wiederum steht für Sehnsüchte und Utopien, aber auch für das Streben nach materiellen Gütern – in der Assoziation des goldenen Kalbs also für den Tanz um den schnöden Mammon.

Andererseits aber ist das Material der Wolkenhülle eben nicht das wertvolle Gold. Vielmehr geht es um einen ganz anderen, weitaus wichtigeren Wert, der mit diesem Material geschützt wird: das nackte Leben. Das Drahtgestell der Wolke ist mit glitzernden Rettungsfolien verkleidet. Normalerweise schützen diese Rettungsdecken vor den Elementen Wasser und Luft – in erster Linie vor der Unterkühlung, die Nässe und Wind hervorrufen können. Das englische Wort für „Wolke“, eben „Cloud“, ruft aber noch ganz andere Bilder hervor. Es lässt an Computer-Clouds denken, die Fluch und Segen zugleich sein können, nicht anders eben als eine „herkömmliche“ Wetterwolke.

Weder „Cloud“ noch Labyrinth sind neu. Die „Cloud“ hatte der Kirchheimer Künstler Bertl Zagst bereits im vergangenen Jahr für eine Ausstellung im Esslinger Münster Sankt Paul geschaffen, und das Lichterlabyrinth gibt es auch bereits zum fünften Mal im Chor der Martinskirche. „Neu“ ist also lediglich die Zusammenführung beider Installationen, was somit nicht nur die vier alten Elemente vereint, sondern auch Himmel und Erde, Oben und Unten, Aufwind und Schwerkraft miteinander verbindet.

Zusammengefasst sind beide Kunstwerke unter dem Titel „Am Horizont“. Für Jochen Maier, Pfarrer an der Martinskirche, ergeben sich auch aus diesem Titel heraus noch ganz andere Fragestellungen. Zum einen erinnert beides an die alttestamentarischen Zeichen der Feuersäule und der Wolkensäule, die den Weg durch die Wüste führen sollten. Zum anderen erinnern Horizonte an Grenzen jeder Art, die immer wieder einengen, die aber auch immer wieder überwunden werden – geistig wie körperlich.

Da Feuer- und Wolkensäule das israelitische Volk letztlich dem gelobten Land näherbrachten, ist es naheliegend, angesichts der Flüchtlingsthematik auch über das „gelobte Land Europa“ nachzudenken. Jochen Maier zählt noch weitere biblische Synonyme für einen solchen Sehnsuchtsort auf, den so viele Leute gerade im Hier und Jetzt suchen: „goldenes Jerusalem als letzte Heils­vision“, „Garten Eden“, „Paradies“.

Auf jeden Fall aber sind es ver­schlungene Wege, mit vielen überraschenden Wendungen, die durchs Leben führen, auf dem Weg zum Paradies – und sei es nur zum vermeintlichen. Das zeigt das Labyrinth. Während es in Chartres zum Mittelpunkt führt, führt es in der Martinskirche vom Eingang über die Mitte als eine Art Höhepunkt wieder hinaus aus dem Labyrinth. Trotz aller verschlungenen Pfade aber betont Willi Kamphausen, einer der Initiatoren des Kirchheimer Lichterlabyrinths: „Ein Labyrinth ist kein Irrgarten. Der Weg führt immer weiter, es gibt keine Sackgassen.“ Jeder scheinbare Umweg führe dennoch zum Ziel. Es gebe keinen Schritt, der zurückführe.

Für Jochen Maier handelt es sich bei den Installationen zwar um eine wichtige Verbindung zwischen Kunst und Glaube. Aber er betont, dass das Lichterlabyrinth auch Menschen in die Martinskirche ziehen soll, die sonst nicht in Kirchen gehen. Trotzdem endet die Installation bewusst am 3. Dezember. Das ist der Tag, an dem der Kirchheimer Weihnachtsmarkt beginnt. Denn eine wichtige Erfahrung gibt es aus den vorangegangenen Jahren mit dem Lichterlabyrinth bereits: Kommerz lässt sich nicht so leicht mit Kirche oder mit Kunst vereinbaren.

Info

Das Lichterlabyrinth und die Installation „Cloud“ sind bis 3. Dezember im Chor der Kirchheimer Martinskirche zu sehen. Jeden Abend brennen die Kerzen des Labyrinths von 18 bis 20 Uhr. Jeweils um 19.30 Uhr starten kurze Besinnungen zum Thema „Am Horizont“. Zum Abschluss gibt es am Donnerstag, 3. Dezember, ab 19.30 Uhr statt der Besinnung ein Künstlergespräch mit Bertl Zagst.