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Von Nürtingen ans Ende der Welt

Challenge Zwei junge Nürtinger zogen vor drei Wochen los, um mit einem Elektroauto den nördlichsten Punkt Europas zu erreichen. Auf ihrem Abenteuer trotzten sie dem skandinavischen Winter, sahen das Nordlicht und gerieten in einen Schneesturm. Von Johannes Aigner

Nürtingen/Nordkap. Plötzlich ist der Weg versperrt. Tilo Turian und Kjell Wagner fahren gerade durch Nordnorwegen, als sie vor einem Bergpass halten müssen. Die Heimroute nach Nürtingen führt über ihn, aber er ist wegen Extremwetters nicht befahrbar. Die beiden sind gezwungen, einen Umweg zu nehmen.

Doch über die gewählte Route beginnen heftige Winde zu peitschen. Ein Sturm fegt Eis und Schnee über die Straße. Nach einigen Stunden geht es nicht weiter. Mitten auf dem Weg müssen sie anhalten, ein Auto ihrer Gruppe springt nicht mehr an. Sie vereinen ihre Kräfte und ziehen es in der Eiseskälte von der Fahrbahn, damit ein Schneepflug räumen kann. Der kaputte Wagen der Kollegen bleibt am Wegesrand zurück.

Turian und Wagner sind auf dem Heimweg vom Nordkap, dem nördlichsten Punkt Europas. Am 26. Dezember sind sie dorthin im Rahmen der eNordkap-Challenge aufgebrochen. 8000 Kilometer legen sie dafür zurück. Alleine auf den ersten 830 Kilometern von Nürtingen nach Flensburg mussten sie mit ihrem Fiat500e sechs Mal anhalten, um ihn  aufzuladen. In der schleswig-holsteinischen Stadt trafen sie sich mit den anderen elf Teams, die sich ebenfalls in Elektroautos dem skandinavischen Winter entgegenstellten.

Mit diesem Kleinwagen trotzten die beiden Nürtinger dem skandinavischen Winter und dessen Widrigkeiten. Foto: Tilo Turian

Turians Cousin fährt ebenfalls bei der Challenge mit. Er brachte die beiden auf die Idee, eine Bewerbung abzuschicken. Zwei Wochen vor Einsendeschluss drehten sie spontan ein Video, reichten es ein – und wurden ausgewählt. Sie fahren für eines der Youngster-Teams, in denen junge Leute unter 25 ans Steuer dürfen; Turian ist 20, Wagner 21. Beide haben keinerlei Erfahrungen mit E-Autos. Das brachte sowohl sie als auch den Wagen immer wieder an ihre Grenzen.

Autofahren im tiefen skandinavischen Winter auf glatten, ungeräumten Straßen ist schon mit einem Verbrennermotor herausfordernd. Mit einem E-Auto kommt jedoch eine weitere Komponente hinzu. Durch die niedrigen Temperaturen leert sich der Akku schneller, als das Auto anzeigt.

Immer wieder sieht es so aus, als stünden sie vor dem Aus

Auf dem Weg zum Nordkap galt es für die beiden Nürtinger daher, jeden Kilometer aus dem Wagen zu kratzen. „Das Display zeigt vielleicht mal eine Reichweite von 260 Kilometern an“, sagt Turian. „Aber wir haben schnell gelernt, dass man dann bei den Temperaturen etwa nur 140 Kilometer weit kommt.“

Mit mehreren verschiedenen Apps planen sie ihre Route, suchen nach Ladesäulen am Straßenrand. Und doch sieht es unterwegs immer wieder so aus, als stünden sie kurz vor dem Aus. Im Gegensatz zu den Teslas und Opels der anderen Teilnehmer ist der Fiat der beiden für den Stadtgebrauch gedacht. Bei der Reichweite hatten Turian und Wagner einen klaren Nachteil.

Tilo Turian (links) und Kjell Wagner checken ihr Auto und planen die nächste Etappe. Foto: Tilo Turian

„Wir haben das Auto wirklich bis ans Äußerste gebracht“, sagt Turian. „Teilweise kamen wir mit drei Prozent an einer Ladesäule an. Sinkt der Akkustand des Kleinwagens unter zehn Prozent, schaltet er automatisch die Klimaanlage ab. Im Verkehr Roms mag das kein Problem sein, auf einer Landstraße im skandinavischen Winter kann es lebensgefährlich sein. Bei zweistelligen Minusgraden beschlägt dort blitzartig die Scheibe. Blind über die eisglatten Wege zu manövrieren, gleicht einem Selbstmordkommando. Doch Turian und Wagner wussten sich zu helfen. „Teilweise saßen wir bei minus zwölf Grad mit offenen Fenstern im Auto“, berichtet Turian. Sie trotzten dem Wetter mit Handschuhen, dicken Klamotten und Mützen.

Ein kleineres Problem sei da die Suche nach Schnellladesäulen gewesen. „Das Netz in Skandinavien ist erstaunlich gut ausgebaut, wir mussten meist nicht weit von unserer Route abweichen“, sagt Turian. Von Flensburg ging es zunächst nach Dänemark und von dort mit der Fähre nach Norwegen. Zwischen 250 und 400 Kilometern lang sind die Tagesetappen auf der Hinreise, die etwa zwei Wochen dauerte. Ein Wettrennen ist die Challenge nicht. Es geht vielmehr darum anzukommen und dabei zu sein. Abends trafen sich die Teams in den vorgebuchten Hotels.

„Man kommt auf jeden Fall gut ins Gespräch, auch wenn viele Teilnehmer deutlich älter sind als wir“, sagt Turian. Ein großer Teil der anderen Fahrer kommt aus der Mobilitäts-Branche und bringt einiges an Fachwissen mit. „Oft schicken wir uns Fotos voneinander, wenn man sich auf der Straße gesehen hat“, so Turian.

Für den Hobbyfotografen Turian war das Tierleben ein echter Höhepunkt

Der Zusammenhalt in der Gruppe ist groß. Als eines der Teams mit einem Totalschaden am Straßenrand zurückbleibt, packen Turian und Wagner die beiden Fahrerinnen in ihr Auto und nehmen sie bis zum nächsten Stopp mit. Immer wieder zogen sie auch gemeinsam um die Häuser, etwa bei ihrem Halt im norwegischen Trondheim. „Wir hatten ab und zu Zeit für einen kleinen Umweg und konnten uns das Land etwas anschauen“, sagt Turian.

Als sie am Polarkreis eintreffen, tut sich vor ihnen eine Hochebene auf. Weit und breit wächst kaum ein Baum, Rentiere stapfen durch den Schnee. Für den begeisterten Fotografen Turian ein echter Höhepunkt. „Wir haben unfassbar viel von der Tierwelt gesehen“, berichtet er. „Rentiere, Elche, diverse Greifvögel. Leider lagen auch oft tote Tiere am Straßenrand, Wildunfälle sind ein großes Ding im Norden.“ Grund dafür ist das spärliche Tageslicht. Mit jedem Kilometer, den die beiden den Straßen abringen, versteckt sich die Sonne etwas länger hinter dem Horizont. „Das ist beeindruckend, aber auch sehr anstrengend“, sagt Turian. „Lange will man sich das nicht antun.“ Am Nordkap dämmert es teilweise nur eine Stunde, bis das Licht wieder erlischt und die Region in Dunkelheit taucht.

Und doch brennt eines Nachts plötzlich der Himmel. Das Polarlicht hüllt die nördliche Weite in einen grünen Schimmer. Wie leuchtende Schlangen bahnt sich das Spektakel seinen Weg vom Horizont in die Weite. „Das mal zu sehen, war ein kleiner Traum von mir“, schwärmt Turian.

Einige Tage nach den Strapazen des Schneesturms sitzen er und Wagner in einem Hotelzimmer rund 200 Kilometer vor Stockholm. Gerade haben sie ihr Gepäck aus dem Wagen entladen und ihr Quartier für die Nacht bezogen. Ihr Auto lädt für die nächste Etappe. In wenigen Tagen wollen sie wieder in Deutschland sein.

Langsam stellt sich wohl etwas Heimweh bei den beiden ein. Eine Sache wird Turian an Skandinavien aber besonders vermissen: „Als wir am Nordkap standen, habe ich auf mein Handy geschaut und hatte 5G“, sagt er, lacht und fügt hinzu: „Und im Tiefenbachtal funktioniert manchmal Whatsapp nicht.“