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Wann ist eine Straße fertig?

Baumaßnahme Der Neidlinger Rat rätselt, ob die Anwohner der Veitstraße Erschließungsbeiträge bezahlen müssen.

Neidlingen. Erschließungsbeiträge werden nur einmalig bei der Herstellung einer Straße fällig. An späteren Reparaturen müssen sich die Anwohner nicht beteiligen. Als endgültige Herstellung gilt, wenn die Straße nach einem verbindlichen Bauprogramm ausgebaut wurde. Dann ist sie kein Provisorium mehr.

Doch was ist mit ganz alten Straßen? Bei ihnen hängt es davon ab, ob ihr Ausbau am 1. Januar 1873 – also vor gut 150 Jahren – schon im Wesentlichen abgeschlossen war. Denn zu diesem Termin trat die „Neue Allgemeine Württembergische Bauordnung“ in Kraft. Straßen, die zu diesem Termin innerhalb eines geschlossenen Ortsbildes der Erschließung dienten, gelten als „historische Straßen“ und sind damit beitragsfrei.

Doch wie will man diese his­torische Funktion messen? Der Stuttgarter Rechtsanwalt Bernhard Rauscher hat sich tief in das Thema eingegraben. Mangels anderer Anhaltspunkte, sagte er im Neidlinger Gemeinderat, komme es darauf an, wie viele Häuser zum Stichtag schon an dieser Straße standen. In einem vorläufigen Fazit kam der Anwalt zum Schluss, dass es sich bei der Veitstraße nicht um eine historische Straße handelt, mit Ausnahme bis zum Gebäude Nummer 17. Die Bau­linie sei erst am 6. März 1876 genehmigt worden. Ein Lageplan zur Baukonzession von 1868 zeige nur einzelne Gebäude, und das nur auf einer Seite des Weges. Die Frage sei, wann die Baukonzession von 1868 umgesetzt wurde, das sei leider derzeit unbekannt. Wurde das betroffene Haus noch vor 1873 gebaut, wären zum Stichtag drei Gebäude fertig gewesen, ansonsten nur zwei. Im besten Falle, so Rauscher, seien also auf einer Länge von rund 75 Metern drei Gebäude nachweisbar. Dem vorläufigen Fazit folgten weitere Nachforschungen. Doch die Karten und Baulinienpläne aus Neidlingen, die das Kreisarchiv verwahrt, sind alle neueren Datums.

Zweitmeinung der Kommunalaufsicht

Bei einer Gegenstimme beschloss der Gemeinderat nun, weiter das Ziel der endgültigen Herstellung der Veitstraße zu verfolgen und dafür von den Anwohnern Erschließungsbeiträge zu erheben. Die Kommunalaufsicht im Landratsamt Esslingen wird um eine Beurteilung des Sachverhalts – als Zweitmeinung – gebeten. Im Juli hatten Anwohner die Gemeindeverwaltung zum Thema „Erschließung Veitstraße“ vollständige Akteneinsicht gefordert. Diese erhalten sie ab sofort.

Bei den Erschließungsbeiträgen geht es um erhebliche Summen. Laut einer Kostenschätzung vom August 2022 betragen die Erschließungskosten inklusive Straßenbeleuchtung und Umsatzsteuer rund 211 000 Euro. Davon trägt die Gemeinde nur fünf Prozent. Weil es dazu eine abschließende Gesetzesregelung gebe, sagte Bürgermeister Jürgen Ebler, hätten die Gemeinden kein Ermessen mehr, einen höheren Gemeindeanteil festzulegen.

Von den gut 211 000 Euro verbleiben also knapp 201 000 Euro, die auf insgesamt zehn Flurstücke umgelegt werden sollen. Die Höhe ist dabei je nach Nutzungsfläche extrem unterschiedlich. Käme das kleinste Flurstück noch mit 1854 Euro vergleichsweise glimpflich davon, wären es beim größten fast 43 000 Euro an Erschließungsbeiträgen. In der Mehrzahl der Fälle sind es zwischen 10 000 und 30 000 Euro. Peter Dietrich