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Warum die Bergwacht immer mehr gefordert ist

Rettung Die Bereitschaft Lenninger Tal muss seit der Corona-Pandemie viel häufiger ausrücken als früher. Oft manövrieren sich Leute ohne Ortskenntnisse in ausweglose Situationen. Von Anke Kirsammer

Morgens einen Gleitschirmflieger vom Baum holen, abends wegen eines gestürzten Mountainbikers in unwegsames Gelände ausrücken. Es sind solche „Klassiker“, mit denen es Maximilian Groh von der Bergwacht Lenninger Tal kürzlich zu tun hatte. Fünfmal mussten die Retter mit den rot-blauen Jacken allein in der ersten Wochenhälfte los. Am Dienstag und Mittwoch vibrierte der Piepser bereits vormittags während der Arbeitszeit. Kurz nach Feierabend wurde an beiden Tagen schon wieder Hilfe angefordert. „Ich habe gedacht, es flacht wieder ab“, sagt der Pressesprecher. Doch nach den jüngsten Erfahrungen geht er davon aus, dass sich die Zahl der Einsätze auf einem hohen Niveau stabilisiert. Über lange Zeit hatten sich die jährlichen Alarmierungen zwischen 20 und 30 eingependelt. Dass weniger gereist wurde und Angebote wie Kinobesuche, Weihnachtsmärkte oder Ausstellungen flachfielen, machte sich während der Pandemie im Freizeitverhalten bemerkbar. Menschen, die bislang weniger in der Natur unterwegs waren, erkundeten nun die  Umgebung vor der eigenen Haustür. Hinzukam ein fulminanter Winter 2020/21. Die Bergwacht Lenninger Tal war entsprechend gefordert: 55 mal war ihre Hilfe im vergangenen Jahr gefragt. Dieses Jahr musste sie bereits zu 34 Einsätzen ausrücken.

 

Die Arbeitszeit muss ich hinterher wieder reinholen.
Maximilian Groh
Der Bergwachtler betont, dass es für die ehrenamtlichen Mitglieder keine Freistellung gibt. 

 

„Häufiger als früher sind es Leute mit wenig Outdoor-Erfahrung und schlechter Ausrüstung, die uns rufen“, sagt Maximilian Groh. Dass Wanderer sich in missliche Lagen manövrieren und weder vor noch zurück können, kenne man aus den Alpen. Er denkt an den Fall, als im Juni im Kleinwalsertal rund 100 Schüler mit ihren Lehrern per Hubschrauber gerettet wurden. Ganz so spektakulär geht es am Albtrauf zwar nicht zu. Es kommt aber durchaus vor, dass Kleingruppen an steilen Hängen abrutschen und nicht mehr ein noch aus wissen. „Sie folgen einfach irgendwelchen Spuren oder lassen sich über Google Maps leiten“, so der Schlattstaller. Dabei sei eine vernünftige Karte oder eine fürs Wandern geeignete App wie Outdooractive das A und O.

Nicht immer ist es einfach, die „Blockierten“ auf verlassenen Trampelpfaden zu orten, wie es im Bergwacht-Jargon heißt. „Ohne Handyempfang ist das noch schwieriger“, erklärt Maximilian Groh. Häufig sind es Ortsunkundige, die die Helfer dann mit Gurt und Seil sichern, um sie aus ihrer ausweglosen Situation zu bringen. Von der Studentin bis zum Rentner seien querbeet alle Personengruppen dabei.

Knapp 40 aktive Mitglieder hat die Bereitschaft Lenninger Tal. Die Hälfte davon gehört zu dem Stamm, der rund um die Uhr erreichbar ist. Pro Einsatz gehen zwischen fünf und 15 Leute raus. „Bisher kriegen wir das irgendwie hin, aber unter der Woche kommen wir an unsere Grenzen“, sagt der Familienvater. Wie vier weitere Mitglieder der Bereitschaft fungiert er werktags zusätzlich zehn Wochen pro Jahr als Leiter sämtlicher Bergwachteinsätze im Landkreis Esslingen. Der Bergwacht kommt entgegen, dass viele ihrer Mitglieder derzeit im Homeoffice arbeiten und deshalb schnell vor Ort sind. „Wir haben keinen Anspruch auf Freistellung“, betont der im Göppinger Umweltschutzamt Beschäftigte. Pro Einsatz setzt er im Schnitt rund drei Stunden an. „Die Arbeitszeit muss ich hinterher wieder reinholen.“ Dass die Mitglieder der Bergwacht ihren Dienst als Ehrenamtliche versehen, ist vielen, die die Hilfe in Anspruch nehmen, nicht klar. Umso dankbarer sind sie, wenn sie aus einer vertrackten Lage gerettet werden. „Manche bringen uns ein Vesper, werden Fördermitglied oder halten anderweitig Kontakt“, erzählt der Lenninger.

Während Maximilian Groh über die Eltern in die Bergwacht hineingewachsen ist, finden andere erst mit Ende 20 den Weg zu der Hilfsorganisation. Die Rettung von Menschen auch abseits von Pisten, Klettern, technisches Wissen und eine notfallmedizinische Grundausbildung sind Fähigkeiten, die sich die Bergwachtler in Schulungen im Laufe von drei Jahren erworben haben. Fast zwei Jahre lang vereitelte Corona gemeinsames Üben. Das ist jetzt wieder jeden Donnerstagabend angesagt. „Wir müssen ins Gelände, auch bei Wind und Wetter und bei Dunkelheit“, sagt der 34-Jährige. „Es gibt einfach Sachen, die müssen funktionieren.“ Er denkt dabei etwa an spezifische Themen der Bergrettung wie Seiltechnik und notfallmedizinisches Knowhow. Schon jetzt ist klar, dass die Fertigkeiten in der anstehenden Wandersaison wieder gefragt sind, wenn der Piepser vibriert.

Vorher das Handy laden

Die Bergwacht Lenninger Tal hatte vor Corona im Schnitt zwischen 20 und 30 Einsätze pro Jahr. So musste sie  2019 insgesamt 24 Mal ausrücken. 2020 waren es 28 Einsätze. Im Jahr darauf verdoppelte sich die Zahl fast auf 55. Hinzu kamen zehn Einsätze als First Responder. Wer Hilfe von der Bergwacht benötigt, sollte die 112 wählen und mitteilen, dass er sich in unwegsamem Gelände befindet.

Zuständig ist die Bereitschaft unter der Woche für den gesamten Bereich vom Boßler in Weilheim bis zum Jusi in Kohlberg. Die Bereitschaft Esslingen deckt den nördlichen Landkreis ab. Dazu gehören der Schurwald und das Siebenmühlental. Am Wochenende ist die Bergwacht Lenninger Tal für den Bereich von Römerstein über Schlattstall bis Kohlberg zuständig. Die Bereitschaft Esslingen kümmert sich um Unfälle in den Gebieten um das  Randecker Maar und den Breitenstein, die Bereitschaft Stuttgart deckt den Bereich um Schopfloch, den Reußenstein und das Neidlinger Tal ab.

Diese Tipps gibt Maximilian Groh Wanderern: Wichtig sind gute Schuhe, eine vernünftige Karte, ein Erste-Hilfe-Set und ein geladenes Handy. Genügend zu trinken, Sonnenschutz und benötigte Medikamente sind ebenfalls unabdingbar. „In den Nachbarlandkreisen gab es dieses Jahr viele Einsätze wegen Insektenstichen“, sagt er. Mittel dagegen in den Rucksack zu stecken, ist deshalb ebenfalls ratsam. Hilfreich sind außerdem Stöcke, ein Regenschutz vor allem in der kühleren Jahreszeit, und ein Licht, das den Rettern bei der Ortung gute Dienste erweist. ank