Die Kinderzimmer von Marion Wällisch und Petra Kugel waren mit Postern der schwedischen Band Abba tapeziert „Es blieb kein Fitzelchen frei“, erinnert sich Petra Kugel. „Als die Wände voll waren, haben wir an der Decke weitergemacht.“ Die Geschwister, die mit ihnen die Zimmer teilen mussten, waren davon wenig begeistert. Von „Dancing Queen“ bis „Waterloo“ – Abba-Musik lief bei den Freundinnen, die damals in der gleichen Straße in Esslingen-Zell wohnten, von morgens bis abends. „Unsere Familien haben wir damit richtig verrückt gemacht“, sagt Marion Wällisch. Die meisten Lieder hatten sie mit dem Kassettenrecorder selbst aufgenommen, wenn sie gerade im Radio liefen. Wehe, wenn dann ein Moderator mitten ins Lied quatschte.
haben wir an der Decke weitergemacht.
Als die Popband am 30. Oktober 1979 in der Sporthalle Böblingen auftreten sollte, gab es für die Teenager, damals 13 und 14 Jahre alt, kein Halten mehr. Da mussten sie hin. Sie beknieten Petras Vater, damit er sie begleitet. Auch ihre ältere Schwester und eine Freundin schlossen sich an. Die Jugendlichen haben das Konzert wie im Rausch erlebt. „Ich war eigentlich ständig kurz vor einer Ohnmacht“, erzählt Petra Kugel. Der Saal war wie damals üblich bestuhlt, was die Freundinnen nicht daran hinderte, trotzdem nach vorne zu stürmen. Sie waren so nah dran an der Bühne, dass das Mikrofonkabel von Agneta den Mund von Petra streifte. „Den wollte ich danach am liebsten nie mehr waschen“, erinnert sich die Esslingerin und lacht.
Allein mit Abba im Saal
Doch der eigentliche Höhepunkt ereignete sich nach dem Konzert. Die Menge strömte nach draußen. Weil aber die Freundin der Schwester plötzlich verschwunden war, gingen Petra Kugel und Marion Wällisch noch mal zurück, um sie zu suchen. Mitten in der Halle standen zwei Limousinen – und die vier Bandmitglieder. Frida sprach die Mädels an und lobte ihr Outfit. „Wir waren wie in Trance“, erzählt Marion Wällisch, die inzwischen in Altbach wohnt. Die Levis-Jeans mit Abba-Aufnähern, die die 56-Jährige damals getragen hat, bewahrt sie bis heute auf.
Die Freundinnen beschlossen, jedes Jahr wiederzukommen und diesen sensationellen 30. Oktober zu feiern. Diesmal war ihr 43. Jahrestag. Ausfallen ließen sie ihn praktisch nie, nur bei Todesfällen in der Familie oder wenn die beiden sich mal verkracht haben. Wenn die Halle offen stand, haben sie Tisch, Campingstühle und den obligatorischen Kuchen am liebsten auf der Bühne aufgestellt. Nachdem sie einmal kurzzeitig in der Halle eingesperrt waren, wurden sie aber vorsichtiger. Doch mit den Jahren kannte der Hausmeister sie. Probte gerade ein Orchester, ließen sich die Musiker auch mal hinreißen, ein bisschen Abba für sie zu spielen.
Kuchentafel, wo früher der Haupteingang war
Die Böblinger Sporthalle wurde 2008 abgerissen. Seitdem suchen die Frauen in dem dort entstandenen Wohngebiet den Punkt, wo ungefähr der Haupteingang gewesen sein muss – und feiern dort. Für einige Anwohner sind sie schon zur festen Größe geworden. Bei den Treffen geht es für die Frauen aber um mehr als um Abba. Es ist auch ein Tag, um ihre Freundschaft zu feiern und in der Vergangenheit zu schwelgen. „Wir behalten uns so ein Stück Jugend“, erklärt Petra Kugel. Schon in jungen Jahren wollten sie immer mal nach Schweden fahren. Aber erst 2019 haben sie diesen Plan auch umgesetzt. Tatsächlich haben sie gleich nach ihrer Ankunft Bandmitglied Benny vor seinem Tonstudio getroffen, als er gerade mit seinem Hund spazieren ging. „Es hat einfach so sein sollen“, schwärmt Petra Kugel. Wie schon beim allerersten Konzert 1979 waren die Frauen so perplex, dass sie erneut vergaßen, sich ein Autogramm geben zu lassen. Dass Marion Wällisch ihn einst sogar mal geküsst hatte, daran konnte der Musiker sich jedoch nicht mehr erinnern.
Den Kuss gab es übrigens 1982, als Abba in Saarbrücken in der Sendung „Showexpress“ einen Auftritt hatte. Moderator Michael Schanze ließ sich erweichen: Die Esslinger Fans durften bei den Proben zuschauen. Petra Kugel kann seitdem von sich sagen, dass sie der Schlagergröße Katja Ebstein vor Begeisterung mit dem Ellenbogen in die Seite geboxt hat, als Abba kam und sie eigentlich ihre Freundin neben sich vermutete. „Ebstein war sauer, und Lena Valaitis hat nur gelacht“, erinnert sich die 57-Jährige.
Lerche und Radio Barth in Stuttgart: Jagd nach der Single
Dass sie das alles erleben durften, dafür sind sie heute vor allem den Eltern dankbar. „Die haben das ja erlaubt und ermöglicht“, sagt Petra Kugel. Wie hartnäckig die beiden sein konnten, wenn es um ihre Idole ging, zeigt auch, wie sie im Jahr 1980 der Single „The Winner takes it all“ hinterherjagten. Die Lerche in Stuttgart, damals das Plattengeschäft schlechthin für Musikfans, hatte sie noch nicht. Bei Radio Barth harrten sie schließlich so lange aus, bis spätabends doch noch ein Lieferwagen ankam und ein Mitarbeiter ihnen die kleine Scheibe verkaufte.
Abba in Böblingen
Der Name der schwedischen Band ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus sowie Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad. Die Musikgruppe aus den beiden ehemaligen Ehepaaren formierte sich 1972 und gehört zu den erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte. 2021 gab die Band, die sich 1982 wegen privater Differenzen getrennt hatten, ihr Comeback im Rahmen einer virtuellen Konzertshow bekannt und veröffentlichte vier neue Singles sowie ihr neuntes Studioalbum „Voyage“.
Die Böblinger Sporthalle, 1966 eröffnet, war Veranstaltungsort für viele Großereignisse in der Region Stuttgart. Bis zur Schließung 2007 fanden Konzerte von Rock- und Popbands oder Schlagerstars statt. Übertragen wurden von dort auch bekannte Fernsehshows wie „Musik ist Trumpf“, „Wetten, dass . .?“ oder „Verstehen Sie Spaß?“. 2008 wurde die Halle abgerissen, eine Sanierung war nicht mehr rentabel. pp