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Weg vom Gummistiefel-Image

Digitalisierung In der vollbesetzten Notzinger Gemeindehalle ging es beim Landfrauentag des Kreis-Landfrauen­verbands Nürtingen um die Digitalisierung und deren Auswirkungen. Von Katja Eisenhardt

Der Landfrauenverband Württemberg-Baden hat die Thematik von 2020 bis 2023 zum Leitthema auserkoren: „Grenzen-los digital!? Total digital! Total menschlich?“ Als Experte war dafür Dr. Peter Westerhoff aus Berlin nach Notzingen angereist, Technologie-Scout und Innovationsmanager bei der W. O. M. World of Medicine GmbH. Zunächst ging es aber um die Erfahrungen der Anwesenden.

Die Vorsitzende des Kreis-Landfrauenverbands Nürtingen, Monika Deyle, berichtete im Hinblick auf die „in alle Lebensbereiche eingreifende Digitalisierung“ von den vereinseigenen Berührungspunkten. So waren Veranstaltungen und Zusammenkünfte der Landfrauen in Corona-Zeiten zeitweise nur noch online möglich. Gleichzeitig wurden die digitalen Möglichkeiten ausgiebiger genutzt, etwa dadurch, dass für ein Online-Seminar ein OECD-Vertreter direkt aus Kairo zugeschaltet wurde.

Hochpräzise Maschinen

Petra Rauch vom Landwirtschaftsamt des Landkreises Esslingen wies auf die technischen Fortschritte der hochpräzisen landwirtschaftlichen Maschinen hin. Ob das der Düngerstreuer ist, der digital erkennt, wie viel Dünger eine Pflanze benötigt, oder „Hacken mit einer automatischen Unkrauterkennung“. Für die vielen kleineren Betriebe, rund 80 Prozent sind im Kreis nebenerwerblich, rechne sich der Einsatz solcher Technikwunder allerdings wenig, da müsse man eine passendere Lösung finden.

Marie-Luise Linckh, Präsidentin des Landfrauenverbands Württemberg-Baden, ging auf die Nachwuchssorgen ein und erklärte, dass man sich weiterhin auf jüngere Generationen einstellen müsse. „Wir müssen nach wie vor unser Image verbessern, weg vom Bild der Frauen mit Gummistiefel, Kopftuch und Acker. Das sind wir nicht.“ Die vielseitige Bildungsarbeit und die Interessensvertretung auf politischer Ebene müssten noch mehr ins Bewusstsein gerückt werden: „Wir sind starke Frauen mit einer Schwäche fürs Land.“

Pro und Contra der digitalen Entwicklung in sämtlichen Lebensbereichen hob auch Peter Westerhoff in seinem launigen Vortrag hervor. Er selbst stamme aus einer ländlichen Gegend in Norddeutschland und sei davon überzeugt, „dass die Digitalisierung auch den ländlichen Raum voranbringen werde“. Der Wissenschaftler fasste es so zusammen: Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Was vernetzt werden kann, wird vernetzt. Was nicht digitalisiert werden kann, gewinnt an Wert.

Zu letzterem Aspekt gehören für ihn etwa all jene Dienstleistungen, die ohne den persönlichen Einsatz der dahinter stehenden Personen nicht funktionieren. Sei das der Besuch beim Friseur: „Wollen Sie, dass Ihnen ein Roboter die Haare schneidet? Wohl eher nicht.“ Dazu gehören weitere wichtige Komponenten, die damit in Verbindung stehen: das Gespräch, die Empathie, die persönliche Beratung. Dasselbe gelte für die Versorgung der Patienten im Krankenhaus.

Westerhoff zeigte sich überzeugt, dass gerade das lokale Handwerk, kreative Ladengeschäfte und gute Gastronomie vor Ort eine gute Chance haben, wieder mehr an Bedeutung zu gewinnen. Anders als die großen, immer weniger frequentierten Einkaufszentren: „Was industriell produziert werden kann und wo es keine Interaktion braucht, wird auf längere Zeit gesehen alles digital gekauft werden“, so die Prognose.

Stichwort Homeoffice und Homeschooling – das sei mittlerweile normal. Vieles analoge werde digital, auch bei den täglichen Dienstleistungen. Nebst all den positiven Aspekten des technischen und digitalen Fortschritts berge dieser aber auch Gefahren in sich: Überwachungsstaaten wie China oder die enor­me Macht digitaler Monopole wie Google oder Versandhändler wie Amazon. Auch Autohersteller müssten darauf achten, ihre eigene Software in ihren Fahrzeugen zu platzieren und den Verdienst und die technische Macht nicht anderen zu überlassen, so der Experte.

Was das Thema künstliche Intelligenz angehe, brauche es klare Regeln und den Einsatz von Experten für deren Einführung, sagt Peter Westerhoff. „Das war beim Auto nicht anders. Auch hier gibt es Regeln im Straßenverkehr.“

Gerade auf dem Land hätten bereits die Kinder die Chance, draußen aufzuwachsen und live zu sehen, wie die Dinge und die Natur funktionieren, anstatt digital mit Informationen geflutet zu werden, die nicht immer die richtigen seien. Passend zu diesem Aspekt war die musikalische Umrahmung der Veranstaltung, gestaltet durch Kinder des Grundschulchors unter der Leitung von Sara Lindh-Schwarz.