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Welche Musik versteht Europa?

Konzert Bei der Aufführung von Franz Schuberts Messe As-Dur für Chor, Soli und Orchester in der Martinskirche waren alle Akteure gut vorbereitet. Der frenetische Beifall blieb aus. Von Ernst Leuze

Trotz nur weniger Proben: Die drei Chöre und das Schwäbische Kammerorchester boten eine Meisterleistung. Fotos: Markus Brändli
Trotz nur weniger Proben: Die drei Chöre und das Schwäbische Kammerorchester boten eine Meisterleistung. Fotos: Markus Brändli

Welche Musik versteht heutzutage in Europa wirklich jeder? Popmusik, natürlich in englischer Sprache, was auch sonst. Warum dann aber Schubert im Partnerschaftskonzert am vergangenen Samstag in der Martinskirche Kirchheim? Dort waren vier europäische Nationen vertreten: Frankreich, Serbien, Ungarn und Deutschland. Und es gab gute Gründe, ein Werk von Franz Schubert auszuwählen, die Messe As-Dur für Chor, Soli und Orchester.

In Rambouillet und Kalocsa sind Protestanten eine kleine Minderheit. Mit einer Messkomposition kommen wir dem religiösen Gefühl unserer Gäste entgegen. Doch warum war der Applaus der übervollen Kirche nicht stürmisch, sondern nur höflich. Keine Standing Ovations, wie die Darbietung und der Anlass es eigentlich verdient hätten. An der Aufführung selbst kann es nicht gelegen haben. Alle Beteiligten waren glänzend vorbereitet.

Dass drei Chöre zusammenwirkten, die nur zwei Mal proben konnten, war nicht zu spüren. Dirigent Ralf Sach hatte es in kürzester Zeit geschafft, die unterschiedlichen Singtraditionen anzupassen.

Ein Glück, dass der Text lateinisch war. Auch wenn die französische, deutsche und ungarische Sprachmelodie, auch bei Latein, sehr verschieden ist. Doch in der sinfonischen Chormusik steht die Sprachverständlichkeit ja auch nicht an erster Stelle. Deswegen war auch der Messetext im Programm abgedruckt.

Die zentralen Begriffe des Messetextes sind längst in unsere Umgangssprache eingegangen. Jedermann weiß, was mit Kyrie, Gloria, Credo und Sanctus gemeint ist. Auch wenn Franzosen ihre ­Gloire etwas anders verstehen als wir unser Gloria und die Ungarn ihr dicsöség. Trotzdem wird in diesen Worten verständlich, was wir meinen, wenn wir vom „Christlichen Abendland“ sprechen. Und die Freunde aus Serbien? Mit einer gemeinsamen Kirchenmusik tun wir uns da schwer. Kyrillische Schrift, orthodoxe Konfession, und die serbokroatische Sprache! Doch weil die Serben viel kirchlicher sind als wir Deutschen, Franzosen und Ungarn, müsste die Partnerschaft für die Kirchen und damit auch für die Kirchenmusik eine interessante Herausforderung sein.

Wunderbar, dass das Schwäbische Kammerorchester die Begleitung übernommen hat und sein Dirigent Matthias Bauer den Part des Solobasses sang. Sehr gut übrigens, nicht so dröhnend und rumpelnd wie so viele Oratorienbässe, sondern schlank, gut artikuliert. Ähnliches kann man auch von den übrigen Solisten sagen. Der Tenor, Daniel Schmid, intonierte nicht so laut wie die meisten Solotenöre im Ensemble. Die Mezzosopranistin Mareike Bender glänzte mit enormem Stimmumfang. Neben ihr hatte es die Sopranistin Christina Schmid nicht ganz leicht. Ihr Organ hielt den Klangmassen von Chor und Orchester nicht so mühelos stand.

Jedenfalls war der Zusammenklang des Solistenquartetts makellos. Solche Momente der Übereinstimmung waren auch beim Chor zu erleben. Am eindrucksvollsten die Pianissimo-Stelle vor dem „Incarnatus“. Diese Glücksmomente, zumal nach der extrem anstrengenden Amen-Fuge des Gloria, ließen auch verschmerzen, dass manche hohen Soprantöne etwas müde wirkten. Dasselbe gilt für die manchmal abenteuerliche Intonation, etwa im Incarnatus. Im Gedächtnis bleibt das schön atmende Kyrie, der kultivierte Männerchor im Osanna und das ergreifende Dona nobis pacem.

In diesem Stück hörte man auch die beste Orchesterleistung. Es ist geradezu ein Wunder, dass der Klangkörper, eingezwängt von Menschenmassen, überhaupt einigermaßen zum Klingen kam. Die Instrumentalisten waren dem steil gestaffelten Chor gegenüber eindeutig im Nachteil. Auf weite Strecken waren die Streicher gar nicht zu hören. Doch keine Schelte - es sind die Naturgesetze: Unsichtbares wird allzu leicht überhört. Es sei denn, das Orchester spielte allein, was nur selten vorkam, aber dann sehr gekonnt.

Dass Blechbläser bei Oratorienaufführungen meist zu laut sind, galt zumindest nicht bei den Trompeten. Ihnen gebührt ein Sonderlob für perfekte klangliche Integration. Schon schwieriger wurde es bei den Hörnern, die zudem mit der Intonation nicht immer zurechtkamen. Durchweg zu laut waren leider die Posaunen. Die modernen Posaunen passen heute besser in die Big Band als in das klassische Sinfonieorchester.

Wenn wir schon bei der Lautstärke sind: Wenige weiche Paukenschlägel hätten passender geklungen. Dagegen tat dem Kontrabass die überfüllte Kirche ausgesprochen gut. Ohne jedes Rumpeln rundete er die Cellogruppe perfekt ab. Erstaunlicherweise gab es trotz der heiklen Tonart As-Dur und den verwegenen Schubertschen Modulationen nur wenige Ausrutscher im Orchester. Wunderbar stabil die Oboen und Streicher. Zwar riskierten die Klarinetten gelegentlich einen Ausbruchsversuch. Nicht nur sie wären dringend auf ein Nachstimmen zwischen Credo und Gloria und Sanctus angewiesen gewesen. Untadelig die Fagotte!

Insgesamt erlebte das Publikum eine Höchstleistung aller Beteiligten, einschließlich des Dirigenten. Sie haben das Benefiz-Partnerschaftskonzert zugunsten der Martinskirche zu einem musikalischen Fest gemacht.

Der Zusammenklang der Solisten war ohne Fehl und Tadel.
Foto: Markus Brändli
Der Zusammenklang der Solisten war ohne Fehl und Tadel.
Der Zusammenklang der Solisten war ohne Fehl und Tadel. Foto: Markus Brändli