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„Wer rastet, der rostet“

Immer mehr ältere Menschen arbeiten, weil sie nicht zu Hause bleiben wollen – oder können

Ältere Menschen, die arbeiten, sind keine Seltenheit mehr: Im Landkreis Esslingen boomen die Minijobs für Rentner. Und auch in Kirchheim steigt die Zahl. Das hat zweierlei Gründe. Ein Besuch bei einer Seniorenfirma.

Werner Glasenapp wird seine Runden in Kirchheim auch noch als Rentner drehen.Foto: Jean-Luc Jacques
Werner Glasenapp wird seine Runden in Kirchheim auch noch als Rentner drehen.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Werner Glasenapp ist 61. Er ist kein Rentner. Doch weit ist die Rente nicht mehr. Er war lange arbeitslos, nachdem seine Firma ihn mit 58 entlassen hat. Zwei Dinge erschreckten ihn damals: Sollte er noch länger ohne Arbeit bleiben, ginge es an seine Ersparnisse. Und: Mit Anfang sechzig war er noch längst nicht bereit, die Hände in den Schoß zu legen. Der Elektroinstallateur weiß jetzt schon, dass er nicht zu Hause bleiben wird, wenn er in ein paar Jahren in Rente geht. Er wird auf 450-Euro-Basis weiterjobben.

Bis Werner Glasenapp endlich wieder einen Job bekam, hat er lange gesucht. Denn ab einem bestimmten Alter wird es schwer, etwas Neues zu finden. Das weiß auch sein neuer Chef Joachim Baum. Zu Unrecht, wie er findet.

Wenn der von der heutigen Rentner-Generation spricht, fängt er ein wenig an zu schwärmen. Attribute wie Verlässlichkeit, Erfahrung und Vielseitigkeit schreibt er ihnen zu. Die Jungen heute würden nicht einmal mehr die Kehrwoche richtig machen. Viele Aufgaben würden einfach delegiert. Die ältere Generation hingegen habe früher noch viel mehr selber schaffen müssen. In seiner Firma arbeiten deswegen ausschließlich „Senioren“: Menschen mit genau diesen Eigenschaften.

Arbeitende Rentner sind längst keine Seltenheit mehr: Im Raum Kirchheim gibt es laut Arbeitsagentur 287 Menschen im Rentenalter, die beruflich aktiv sind. Letztes Jahr waren es noch 264. Außerdem verdienen sich viele Menschen im Rentenalter etwas in Minijobs dazu: Im Landkreis Esslingen ist die Zahl in den letzten zwölf Jahren um 87 Prozent gestiegen – derzeit gibt es 6 250 Jobber über 65 Jahren. Die meisten sind Männer. Der Trend geht immer mehr dahin, dass Menschen auch im Alter noch arbeiten. Doch woran liegt das?

Joachim Baum versucht eine Erklärung: „Wir sind heute mit 60 noch viel fitter als die Generation unserer Eltern.“ Wenn er sich vorstellt, dass er statt zu arbeiten einfach zuhause rumsitzen soll, wird dem 66-Jährigen schlecht. „Da fällt mir die Decke auf den Kopf.“ Und so ginge es vielen. Viele wollen einfach etwas tun – das müsse gar nicht anspruchsvoll sein.

Baum hat also eine Firma mitgegründet, um wieder Schwung in sein Leben zu bringen. Und um Menschen, die sich genauso jung fühlen, einen Platz zu geben. Aus Prinzip stellt er vor allem Menschen ein, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Stelle mehr finden. Die Beschäftigten arbeiten in Vollzeit, Teilzeit, Minijobs, im Einsatz sind sie als Hausmeister, Reinigungskraft oder Landschaftspfleger. Und auch wenn sich das Unternehmen wirtschaftlich noch nicht trägt: Überzeugt von der Idee ist er allemal. An möglichen Mitarbeitern mangelt es nicht.

Denn es gibt auch eine andere Seite der Medaille: Viele Rentner wollen nicht nur arbeiten, sondern müssen, weil das Geld sonst nicht reicht. Wer frühzeitig seinen Job verliert und in Hartz IV fällt, ist seine Ersparnisse schnell los, noch bevor er in den Ruhestand geht. Und selbst viele, die ihr Leben lang gearbeitet und eingezahlt haben, kommen am Ende mit der Rente gerade so über die Runden.

Hätte Werner Glasenapp beispielsweise den Job bei „pro58plus“ in Kirchheim nicht bekommen, wäre auch er in Hartz IV gerutscht. Lange ist er aus Angst für Zeitarbeitsfirmen durch die Republik gezogen. Mit dem Alter wird die Jobsuche nicht leichter. Er ist froh, dass das jetzt vorbei ist. „Ich bin ja kein Zugvogel“, sagt der 61-Jährige.

Seine Runden dreht er jetzt nur noch in und um Kirchheim. Er arbeitet im Garten, repariert tropfende Wasserhähne oder räumt bei anderen Menschen den Schnee weg. Eigentlich erledigt er so gut wie alles. „Handwerklich macht mir so schnell keiner was vor“, sagt er selbstbewusst. Im Handwerk sieht er auch in ein paar Jahren noch seine Zukunft, denn: „Wer rastet, der rostet.“

Das Konzept der Firma ist einzigartig, glaubt Chef Joachim Baum. Das ergebe jedenfalls die Google-Suche. Firmen wie seine hätten es schwer auf dem Markt, weil kaum noch jemand bereit ist, für Leistung zu zahlen. Zukunft hat das Konzept wohl trotzdem: „Das Rentenproblem wird uns noch lange begleiten“, sagt Baum nachdenklich: „Wir machen aus der Not eine Tugend.“

Lesen, reisen, Sprachen lernenInterview

Norbert Nadler. Foto: B. Moulin
Norbert Nadler. Foto: B. Moulin

Die heutige Rentner-Generation ist so fit wie keine vorher. Stimmt das überhaupt?

NORBERT NADLER: Ja, das würde ich unterschreiben. Sie sind mobiler, die lernen gerne noch Neues dazu. Das beobachte ich jedes Jahr bei unserer Rentner-Feier: Viele könnten gut noch arbeiten.

Woran liegt das?

NADLER: Meine Vermutung: Der körperliche Fleiß bei der Arbeit ist inzwischen viel geringer. In den letzten Jahrzehnten wurden viele belastende Jobs durch Maschinen ersetzt. Wir haben jetzt 30 Tage Urlaub, arbeiten insgesamt weniger als früher. Allgemein rückt das Thema Gesundheit in der Arbeitswelt mehr in den Fokus. Diese Entwicklung hat auch die heutige Rentnergeneration noch mitgekriegt und ist körperlich längst nicht mehr so ausgelaugt wie ihre Eltern.

Das heißt, das ist ein allgemeiner Trend?

NADLER: Ja, das Gesundheitsbewusstsein ist enorm gestiegen. Die Menschen achten heute auch viel mehr darauf, gesund zu essen und sich zu bewegen – das sieht man vor allem an 50- und 60-Jährigen. Die Prävention greift da sehr.

Werden die Rentner der Zukunft also noch fitter sein?

NADLER: Sicherlich werden die Menschen in 20 oder 30 Jahren älter werden.

Heutzutage unternehmen Rentner eine Menge: Sie engagieren sich in Vereinen, bereisen die Welt und lernen nebenbei noch eine neue Sprache. Sind sie aktiv, weil sie fit sind, oder bleiben sie fit, weil sie so viel machen?

NADLER: Sie machen viel mehr, weil sie fitter sind. Aber auch, weil das Geld dafür bei den meisten da ist. Viele haben sich über die Jahre ein gewisses Vermögen angespart. Das liegt sicherlich auch an der Sparmentalität der Nachkriegsgeneration. Die Jüngeren ticken ganz anders. Bei denen spielt Vorsorge kaum noch eine Rolle. Trotzdem lässt sich auch die andere Seite bestimmt nicht bestreiten: Wer im Alter gesund und aktiv lebt, hält sich länger.

Was speziell kann man tun, um möglichst lange auf den Beinen zu bleiben – Haben Sie einen Tipp?

NADLER: Neues ausprobieren. Eine neue Sprache lernen, sich engagieren, ein vollkommen neues Interesse entwickeln. Oder, ganz simpel: Mal mit der anderen Hand die Zähne putzen. So werden Gehirnpartien angeknipst, die sich sonst zurückentwickeln würden. Und der Kopf bleibt fit. Es ist auch wichtig, Bekanntschaften zu pflegen und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Und täglich Sport machen schadet auch nicht.