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Wertanlage wird Schrott

Wandel Dettingen war einst Hochburg des Antikhandels. Große Ami-Autos verstopften die Straßen und ein General entstieg einem Hubschrauber am Ortsrand. Von Iris Häfner

Wie ein Haufen Schrott liegt das WMF-Silberbesteck auf einem Tischchen – und genau das ist beabsichtigt. Der große Schöpflöffel ist grau und matt, seine strahlende Glanzzeit, wo er bei Festen feierlich zum Einsatz kam, ist eindeutig vorüber. Die wahllos hingeworfenen Messer und Gabeln haben tatsächlich nur noch Schrottwert. Das Silber wird vom Rest getrennt und in kleine Barren geschmolzen, dem restlichen Metall ergeht es ebenso.

Wolfgang Diez sowie Claus und Reinhold Breier (von links) sitzen auf Ausstellungstücken. In der Galerie sind derzeit alte Schätze zu entdecken, die heute hierzulande niemand mehr will – dafür aber in Australien und China. Foto: Carsten Riedl

Das Silber steht exemplarisch für die Verkaufsausstellung „Sammlerstücke, Überfluss, Wohlstandsmüll“ in der Dettinger Galerie Diez. Auch im Schaufenster liegt ein Haufen Schrott, in dem Fall Zinn in Form von Kelchen, Krügen, Tellern und Schalen. Dabei handelt es sich nicht um Originalware, sondern um original nachgemachte in den 1970er-Jahren, die aber selbstverständlich 1783 als Entstehungszeit eingraviert haben. In den 70er- und 80er-Jahren waren es nicht nur beliebte Sammlerstücke, sondern galten als Geldanlage. Die ist nun futsch. Ein Relikt aus vergangenen Zeiten ist auch ein edel gearbeiteter Pelzmantel, und ein nobel gedeckter Tisch ziert den Raum. Im Regal dahinter sind Krüge mit schillernden Motiven: etwa Bayernkönig Ludwig II. oder martialische Kriegsszenen, die die Freude über den Sieg über die Franzosen verherrlichen.

 

Ich sehe mich als Kulturgut-Retter.
Claus Breier, Inhaber von Antiquitäten Breier

 

Dettingen – da war doch was. In den 70er- und 80er-Jahren war es die Hochburg des Antiquitätenhandels. In dem Dorf am Fuße der Teck gab es zu Glanzzeiten zwölf Geschäfte. Vor allem freitags und samstags steppte dort der Bär. Und wem war das zu verdanken? Den Amerikanern. „Die waren aufsehenerregend mit ihren großen Schlitten und den kurz geschorenen Haaren. Die kamen ja aus den Kasernen. Unsere Haare waren länger“, erinnert sich Galerist Wolfgang Diez an diese Zeit. Er schwelgt nicht nur in Erinnerungen, sondern outet sich als Cleopatra-Fan. Der Film mit Richard Burton und insbesondere Liz Taylor hat es ihm damals angetan. „Ich habe immer gehofft, dass Liz Taylor auch mal nach Dettingen kommt – leider habe ich vergeblich gewartet“, gibt er lachend preis.

Das Schicksal der Zinnkrüge: Was einst begehrtes Sammelgut war, landet heute einem Schrotthaufen gleich im Schmelzofen. Foto: Carsten Riedl

„Die Amerikaner waren die Hauptkunden“, sagt Reinhold Breier, und sein Sohn Claus Breier ergänzt: „Damals war ein Dollar fünf Mark wert. Die haben gut kaufen können. Manche waren jede Woche da.“ Dieser Massenan­drang freute die Dettinger Landwirte wiederum überhaupt nicht. Weil die Antiquitätenläden vorwiegend in der Kirchheimer Straße lagen, versperrten sie mit ihren riesigen Autos die Ortsdurchfahrt. Mit schweren landwirtschaftlichen Geräten am Schlepper war da oft kein Durchkommen.

Ein edel gedeckter Tisch mit handbemaltem Geschirr und Sammelgläsern, begutachtet von einer Puppe im Pelzmantel, sind Teil der Ausstellung. Foto: Carsten Riedl

„Alles was glänzt. Auf das sind sie gestanden – egal ob vergoldet oder versilbert. Vor allem aber hieß es ständig ,Clocks‘. Uhren in jedweder Form fanden reißend Absatz, auch Standuhren“, erinnert sich Reinhold Breier, der seit 55 Jahren im Geschäft ist. Geschnitzte Goldengel gingen immer, silbern glänzende „Clocks“ mit passenden Kerzenhaltern links und rechts ebenso. Möbel gingen ebenfalls nach Übersee, hier war vor allem Jugendstil gefragt. „Wenn die Soldaten wieder nach Hause gingen, konnten sie einen Container kostenlos füllen“, erklärt Claus Breier. Ab und zu musste er das eine oder andere Stück in die Patch Baracks bringen. „Ohne Ausweis bist du überhaupt nicht reingekommen, und dann sind sie mit dem Spiegel unters Fahrzeug gefahren“, erinnert sich Claus Breier. Als besonderer Stammgast entwickelte sich ein General. Der kam nahezu jeden Samstag – und zumindest einmal mit dem Hubschrauber, der am Ortsrand gelandet ist. „Der hat mich immer wieder nach Florida eingeladen, aber ich hatte doch keine Zeit“, sagt Reinhold Beier ohne Bedauern.

Claus Breier repariert in seiner Werkstatt Möbel. Foto: Carsten Riedl

„Die Amis fand ich schon toll. Da war die große weite Welt in unserem kleinen Flecken zu Gast“, sagt Wolfgang Diez. Die Stuttgarter Schickimicki-Szene kam auch regelmäßig, einschließlich Politiker mit Chauffeuren. „Da gab es Künstler mit Backenbart. Die waren ganz anders angezogen. Bei uns war man in Arbeitskleidung unterwegs“, sagt Wolfgang Diez, und Claus Breier erinnert sich an eine „Puffmutter“ mit Porsche und großer Leidenschaft für Puppen. „Die kam regelmäßig. Als Erstes ging sie zum Frisör, dann schaute sie sich in den Läden um, und zum Schluss kaufte sie beim Metzger ihre Wurst ein.“ Da sei man als Dettinger schon auf Sightseeing gewesen. „Damals war alles anders, viel lockerer. Da lagen Gewehre, Vorderlader und mehrschüssige Pistolen einfach in Vitrinen und keinen hat’s gestört. Daneben lagen alte Bücher, in denen ich mit Begeisterung gestöbert habe. Das war eine lässige Zeit“, erinnert sich der Galerist an gemütliche Nachmittage im benachbarten Antikladen.

Die Putten waren bei Amerikanern beliebt, die standen „auf alles, was glänzt“. Foto: Carsten Riedl

Von der einstigen Herrlichkeit ist nicht mehr viel zu sehen. „Antiquitäten Claus Breier – An- und Verkauf“ ist das einzig verbliebene Geschäft. In Australien und China sind seine Hauptkunden zu Hause. Ein komplettes Meissner-Service kam so ins Reich der Mitte, 31,5 Kilo darf ein Paket wiegen. „Ich sehe mich als Kulturgut-Retter. Aber oft werde ich erst gar nicht gerufen und alles landet im gro­ßen Container, oder ich komme zu spät“, bedauert er. Nicht selten kommt es vor, dass Claus Breier einen leeren Schrank abholen soll, da der Inhalt schon entsorgt ist. „Oftmals ist das, was im Schrank drin ist, das Beste“, warnt er vor Übereifer.

So eine Burg stand in vielen Kinderzimmern von Jungs. Foto: Carsten Riedl

Die Auswahl aus dem gro­ßen Lager für die Ausstellung in der Kirchheimer Straße 85 trafen Wolfgang Diez und seine Frau Gabriele sowie Claus Breier. Geöffnet ist die Ausstellung bis zum 6. Februar samstags und sonntags jeweils von 15 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter der Telefonnummer 0152/34 36 15 30.