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Wie der gemütvolle Mörike sich mit Humor selbst therapiert

Reiner Strunk stellt in der Ochsenwanger Kirche eine weniger bekannte Seite des schwäbischen Dichterpfarrers vor

Bissingen. Dem „Lokalmatador“ unter den schwäbischen Dichtern hat sich nicht nur das Mörikehaus Ochsenwang verschrieben, sondern

Andreas Volz

auch Dr. Reiner Strunk, der frühere Leiter der Fortbildungsstätte Kloster Denkendorf: Im Ochsenwanger Kirchlein, in dem Eduard Mörike vor über 180 Jahren selbst gepredigt hatte, gab Reiner Strunk Proben von Mörikes Humor zum Besten.

Bei Mörike denkt man eher an häusliche Beschaulichkeit als an Humor. Wie falsch diese Vorstellung ist, zeigte Reiner Strunk an vielen Beispielen auf. Die Liste humorvoller Textpassagen, die er aus zeitlichen Gründen weglassen musste, wäre freilich länger gewesen als die der vielen Köstlichkeiten, die er vortrug.

Zunächst definierte Reiner Strunk für die Besucher des Kunst- und Aktionspfads und des Mörikehauses, was Humor bedeutet: „Humor haben ist nicht dasselbe wie witzig sein.“ Witz sei auf Pointen aus und habe seinen Sitz im Kopf. Er sei eine Leistung des Verstandes. Humor dagegen habe seinen Sitz im Herzen, im Gemüt. „Menschen mit Humor sind Menschen mit Gemüt.“ Mit heutiger „Comedy“ habe das nichts zu tun. Da fehlt es wohl nicht nur an Herz und Gemüt, sondern auch an Geist und Verstand.

Drei Merkmale für Mörikes Person und für seine Dichterexistenz stellte Reiner Strunk heraus: Mörike war Schwabe. Er war 17 Jahre lang Pfarrer, Pfarrverweser oder Pfarrvikar. Und er schrieb „Verse von volkstümlicher Einfachheit“, in de­nen es häufig um die Natur geht oder um Liebesglück und Liebesleid. Alle drei Merkmale lassen nicht direkt auf Humor schließen, und es wird nicht viel besser, wenn man bedenkt, dass Mörike „ein Leben lang kränklich“ war und „ständig in Geldnöten steckte“. Auch seine Beziehungen zu Frauen waren allesamt schwierig – von denen zu Mutter und Schwestern vielleicht abgesehen.

Um mit den Schwierigkeiten eines solchen Lebens umgehen zu können, ohne dabei unterzugehen, ist Humor unerlässlich. War Mörike – nicht nur wegen seiner unglücklichen Frauengeschichten – „ein Fall für den Psychologen“, so hat er sich zugleich selbst therapiert, durch seinen Humor. Selbst die Liebe zur „femme fatale“, zur als „Peregrina“ bedichteten Maria Meyer, hat Mörike mit Humor bewältigt, indem er im „Stuttgarter Hutzelmännlein“ seinen Schustergesellen Seppe in Ulm gänzlich unbeholfen um die männermordende Meisterwitwe werben lässt: Kurz nach der erfolgreichen Werbung ergreift er genauso erfolgreich die Flucht.

Humor sei es bekanntlich, wenn man „trotzdem“ lacht. Gerade dieses „Trotzdem“ sei bei Mörike wichtig. Dazu kommt beim Humor, dass man über sich selbst lachen kann – wie Mörike über sein erfolgloses Predigtschreiben im „alten Turmhahn“ von Cleversulzbach. Feiner Wortwitz tut ein Übriges bei Mörikes Humor, etwa wenn sich ein kleines Elflein im „Elfenlied“ beim Namen gerufen fühlt, nur weil der Wächter im Dorf „Elfe!“ ruft. – Auch dass eine Naturidylle oft nur vermeintlich idyllisch ist, hat Mörike schon erkannt. Ganz deutlich zeigt er das mit dem Gedichttitel „Waldplage“. Wer je im Wald Klopstocks Oden lesen möchte, bekommt es bis heute mit ähnlichen Problemen zu tun: Er nutzt das Buch nicht mehr zur Lektüre, sondern um Schnaken zu bekämpfen, also um „Das schwebende Geziefer, wie sich eines naht’, / Mit raschem Klapp zu töten“.

Humor bedeutet aber auch, auf Kleinigkeiten zu achten, die sonst achtlos übergangen werden. Im Gedicht „Erbauliche Betrachtung“ sind das auch einmal die eigenen Füße, „Wie sie, in Schuhn bis übern Knöchel eingeschnürt, / Bestäubt da vor mir liegen im verlechzten Gras“.

Herzhaften Humor beweist Mörike im „Märchen vom sichern Mann“, wo der Riese einmal nicht „Heim“ heißt, sondern „Suckelborst“, aber auch in den zwei „humorvollen Spitzen“, die Reiner Strunk abschließend zitierte. Im einen Fall geht es um die Bauern, die vom Pfarrer eine „scharfe Predigt“ begehren. Deswegen gibt er ihnen – die ihm am Vorabend den Salat gestohlen haben – in der Predigt den „Essig“ dazu, nur um dann versöhnlich zu enden: „Der Predigt Schluss fein linde sei: Sie wollen gern auch Öl dabei.“ Die letzte Spitze war eine Lebensbilanz, die Mörike vier Jahre vor seinem Tod verfasst hat:

„Mein Wappen ist nicht adelig,

Mein Leben nicht untadelig –

Und was da wert sei mein Gedicht,

Fürwahr, das weiß ich selber nicht.“