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Wie die Generation Z unser Leben durcheinander wirbelt

Kultur Was steckt eigentlich hinter dem Begriff gendern? Was ist noch erlaubt? Und wo fängt Diskriminierung an und hört Rassismus auf? Von Sylvia Horlebein

Mama, du diskriminierst!“ Mit diesem Vorwurf fing alles an. Mareike Fröhlich, Schriftstellerin, freie Lektorin, Dozentin und Coach aus Ostfildern hat sich immer als tolerante und offene Frau gesehen. Doch die Anschuldigung ihrer Töchter stellte Anfang 2022 ihr Weltbild auf den Kopf. Gezielt suchte sie die Diskriminierung, die ihre Töchter so störte, und zu ihrem eigenen Erstaunen und Erschrecken wurde sie tatsächlich fündig.

Doch was genau ist eigentlich Diskriminierung? Mareike Fröhlich hat mittlerweile eine genaue Vorstellung davon und trägt ihre Erkenntnis in Verlage und zu den Autoren und Autorinnen. Sie stößt nicht immer auf Gegenliebe, wenn sie anfängt zu gendern, aber ihr wird zugehört. Warum wird in vielen Büchern ein schwarzer Mann in eine Raumecke gestellt? Warum sind Hautfarbe oder sexuelle Gesinnung überhaupt wichtig? Fröhlich stellt das infrage und macht deutlich, dass das schon diskriminierend ist. Den Ausruf: „Da darf ich ja gar nichts mehr schreiben“, den sie häufig gleich zu Anfang ihrer Seminare zu hören bekommt, lässt sie nicht gelten.

 

„90 Prozent der Menschen wissen nicht, dass sie diskriminieren.
Mareike Fröhlich
 

Sie versucht mit ihrer Arbeit den Menschen die Angst vor Neuem zu nehmen und sensibel zu machen für die Belange, Sorgen und Nöte der anderen Menschen. „Es ist einfach so, dass wir Dinge in der Schule gelernt haben, die heute nicht mehr okay sind.“ Ein typisches Beispiel für den Wandel der Zeit ist unser Alphabet. Wenn wir Worte buchstabieren, nutzen wir fast ausschließlich Vornamen: Anton, Berta oder Cäsar. Beim „N“ ist es dann auf einmal Nordpol. Die Mehrheit der Deutschen hat das in der Schule gelernt und macht sich darüber gar keine Gedanken. In Wahrheit war es aber vor Jahrzehnten „Nathan“, ein jüdischer Name, der erst in der Hitlerzeit ersetzt wurde. Diskriminieren wir also schon mit dem allseits bekannten Nordpol? Fröhlich sagt ja, räumt aber ein, dass das ein ganz klares Beispiel für die unwissende Diskriminierung ist. Genauso wie „türken“ oder „mauscheln“, zwei Worte aus dem täglichen Sprachgebrauch, die in der Vergangenheit ganz gezielt negativ behaftet wurden. Sie sollten klar machen, dass Türken „türken“ und Juden eben mauschelten.

„Sprache ist Macht!“

Auch das Gendern sieht Fröhlich mittlerweile als richtig und wichtig an und hat sich von der Generation Z – alle zwischen 1997 und 2010 Geborenen – bekehren lassen. Besonders in diesem Bereich sieht sie die Verantwortung bei den Medien, der schreibenden Zunft und den Buchläden und Verlagen. Sie selbst sieht sich als Autorin und nicht als Autor und findet es befremdlich, dass in unserer modernen und aufgeklärten Welt immer noch das generische Maskulin die Vorherrschaft hat. Im letzten Jahrtausend gab es einen Grund für die Berufsbezeichnung KFZ-Mechaniker oder Arzt, denn Frauen waren viel seltener oder gar nicht in den meisten Berufen vertreten. Heute gibt es aber immer mehr Frauen, die in ehemals typischen Männerberufen erfolgreich tätig sind. Eine Tatsache, die auch in unserer Sprache Einzug halten sollte, findet Fröhlich.

Sie hat nichts gegen Bücher von Astrid Lindgren, die echte Klassiker sind, findet es aber merkwürdig, dass heute immer noch Bücher vorgelesen und verschenkt werden, die 50 Jahre alt sind. Natürlich dürfen diese Bücher noch gelesen werden, aber können sie überhaupt zeitgemäß sein? Die Welt hat sich gewandelt. Früher waren die Mehrheit der Schüler und Schülerinnen weiß und hießen Markus und Peter oder Lisa und Anna. Heute ist das Bild bunt und vielfältig, es gibt Fundas und Ahmeds oder männliche und weibliche Kims. Diese Entwicklung sollte sich ebenso in den Büchern und den Tageszeitungen widerspiegeln wie die Taucherinnen, die 2018 an der Rettung einer thailändischen Kinder-Fußballmannschaft beteiligt waren, obwohl in der Überschrift nur von Tauchern die Rede war.

Darüber zu diskutieren ist der erste Schritt in die richtige Richtung

Zum Schluss räumt Fröhlich mit einem weit verbreiteten Irrglauben auf. Gendern bedeutet nicht, dass ein Stern, der Unterstrich oder das Doppelzeichen mit dem Zusatz „In“ oder „Innen“ verwendet werden muss. Wer beide Geschlechter anspricht, gendert schon. Eine Tatsache, die viele Menschen, die das gendern kategorisch ablehnen, verwundern wird.

Die Autorin

Mareike Fröhlich ist am 11. September 1974 geboren und lebt und arbeitet in Ostfildern. Sie hat zwei Töchter der Generation Z, die ihr Leben definitiv durcheinanderwirbeln. Sie arbeitet als Autorin, freie Lektorin, Dozentin und Coach. Folgende Bücher sind von ihr erschienen: „Frauen morden schöner“ (2018), „Glücksorte in Tübingen“ und „Geschmackvoll morden“ (2019), „Schwabens Abgründe“ und „Tour de Mord“ (2021). 2023 kommt ihr erstes Kinderbuch in die Buchläden.