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Wie die Züge Richtung Tübingen pünktlicher werden sollen

Mobilität Die Züge auf der Neckar-Alb-Bahn durch den Kreis Esslingen nach Tübingen sind nur zu 80 Prozent pünktlich – auch wenn Verspätungen unter sechs Minuten nicht mitgezählt werden. Hauptgrund für die Bummelbahn-Effekte ist die Überlastung der Strecke. Von Martin Metzger

Sie ist ein Opfer ihres Erfolgs, die Neckar-Alb-Bahn von Stuttgart über Esslingen, Plochingen, Wendlingen und Nürtingen nach Tübingen. Seit Langem eine der bundesweit bestfrequentierten Regionalverbindungen, fährt eine stetig wachsende Zahl von Fahrgästen auf der Schiene in die Uni-Stadt und ins dicht besiedelte Albvorland. Was die Schienenstrecke selbst an die Kapazitätsgrenze bringt: Das der Nachfrageentwicklung entsprechende, im Lauf der Zeit stark erweiterte Zug­angebot offenbart die „infrastrukturellen Schwachpunkte“, teilt die SWEG Bahn Stuttgart (SBS) mit, die den Großteil der Verkehrsleistungen auf dieser Linie erbringt. Konkret: Die Strecke ist überlastet vom Zugverkehr, zu dem sich bis zur Fertigstellung von Stuttgart  21 noch der Fernverkehr Richtung München gesellt, der in Wendlingen in die neue Schnellstrecke einfädelt.

 

Die Infrastruktur der Strecke ist mit der zunehmenden Zahl der auf ihr verkehrenden Züge nicht mitgewachsen.
Der Nürtinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel

 

Die Folge: Der Taktverkehr gerät aus dem Takt, die Neckar-Alb-Bahn verbucht eine relativ bescheidene Pünktlichkeitsrate, die die SBS mit 80 Prozent angibt. Damit ist der Nürtinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel bei Weitem nicht zufrieden. Im Sommer 2022 sei der Anteil pünktlicher Züge teilweise sogar auf 70 Prozent abgesunken. In der Diagnose gibt er dem Bahnunternehmen recht: „Die Infrastruktur der Strecke ist mit der zunehmenden Zahl der auf ihr verkehrenden Züge nicht mitgewachsen.“

Die Deutsche Bahn (DB) als Netzbetreiberin gelobt Besserung im Rahmen zeitnaher Möglichkeiten: Eine zusätzliche Weichenverbindung im Bahnhof Bad Cannstatt soll in diesem Jahr für Entlas­tung sorgen, sagt eine DB-Sprecherin. Fürs kommende Jahr sei dann eine „Blockverdichtung“ bei Bempflingen geplant – ein Block ist im Eisenbahnjargon der Streckenabschnitt zwischen zwei Signalen. Pro Block und Gleis darf, unabhängig von der Länge des Abschnitts, nur ein Zug verkehren. Bei einer Blockverdichtung wird die Zahl der Signale und damit die Kapazität erhöht.

Allerdings kommen laut der SBS-Sprecherin weitere Faktoren für Unpünktlichkeit hinzu, namentlich die „Durchbindung der Neckar-Alb-Bahn über den Knoten Stuttgart hinaus“, das heißt: die Weiterfahrt der von Tübingen kommenden Metropolexpresszüge nach Heilbronn oder Osterburken und umgekehrt. Die längere Laufzeit erspart etlichen Fahrgästen das zeitraubende Umsteigen, erhöht aber auch das Verspätungsrisiko. Auch „wiederkehrende Baumaßnahmen“ trüben die Pünktlichkeitsbilanz speziell der Strecke nach Tübingen.

Die Kirchheimer CDU-Landtagsabgeordnete Natalie Pfau-Weller treibt das Thema ebenfalls um. Im Rahmen einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung richtet sie den Blick vor allem in die Zukunft, wenn voraussichtlich Ende 2027 die Stuttgart-21-Strecke über den Flughafen vollständig fertig sein wird. Über diese künftige Schnellstrecke geht es dann von Tübingen/Reutlingen im Stunden- und von Nürtingen sogar im Halbstundentakt rasant in den Stuttgarter Tiefbahnhof und darüber hinaus. Da auch der Fernverkehr diese Route nimmt, wird die Teilstrecke über Wendlingen und Esslingen entlastet.

Für die künftige Pünktlichkeit verheißt das Verkehrsministerium neue, doppelstöckige und „besonders spurtstarke“ Triebwagenzüge sowie Geschwindigkeiten bis zu 200 Kilometer pro Stunde. Außerdem würden in die Fahrpläne Pufferzeiten als „zusätzliche Reserven“ eingearbeitet. Davon will die SBS noch nichts wissen: Eine Ausweitung der Wendezeiten an den Endbahnhöfen, die einen Puffer für Verspätungen bilden könnte, „würde einen nicht darstellbaren Mehrbedarf an Fahrzeugen generieren“.

Unklar ist, wer die Strecke in den kommenden Jahren befährt. Die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) hat mit einem Aufsichtsratsbeschluss im Oktober klargemacht, dass sie sich bis spätestens 2023 von ihrer Tochter SBS trennen wird. Als Grund wurde der Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft GDL angegeben. Die SBS entstand, nachdem die SWEG 2021 die insolvente baden-württembergischen Tochter des niederländischen Bahnunternehmens Abellio und den Betrieb der Abellio-Linien im Land übernommen hatte. An der anstehenden Neuausschreibung dieser zurzeit von der SBS erbrachten Verkehrsleistungen werde man sich nicht beteiligen.

Manche Branchenkenner erwarten, dass die DB Regio ins Rennen um die früher von ihr befahrenen Strecken gehen wird. Doch von dort ist nur zu hören: „Zu anstehenden oder laufenden Ausschreibungsverfahren äußern wir uns nicht.“

 

Relativ unpünktlich und relativ pünktlich

Methode: Die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) des Verkehrsministeriums ermittelt die Pünktlichkeitswerte im regionalen Schienenverkehr. Dabei galten bisher auch Verspätungen unter sechs Minuten als pünktlich. Anschlüsse sind dann oft weg, Verspätungen am Zielort weit größer. Die NVBW senkt daher die Grenze künftig auf unter vier Minuten.

Eher zu spät: Der NVBW zufolge zählt die Neckar-Alb-Bahn mit rund 80  Prozent Pünktlichkeit zu den Bummelbahnen im Land. Ausreißer nach unten waren 2022 Strecken von Karlsruhe in Richtung Schwarzwald oder Heilbronn mit 70,2 Prozent pünktlichen Zügen. Auch die Murrbahn (Stuttgart–Crailsheim) und die Schwarzwaldbahn kommen nur auf knapp über 80 Prozent.

Eher rechtzeitig: Die Spitzenplätze zwischen 96,5 und über 99 Prozent Pünktlichkeit belegen überwiegend die am Bodensee und Hochrhein von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) betriebenen, freilich relativ kurzen Linien. Offenbar verstehen sich die Schweizer nicht nur im eigenen Land auf einen Bahnverkehr mit der Qualität eines Präzisionsuhrwerks. mm