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Wieland als früher Vertreter der Emanzipation

Dr. Jutta Heinz sprach in einer Matinee im Max-Eyth-Haus über „Wieland und die Frauen“

Kirchheim. „Christoph Martin Wieland ist der älteste und heute wohl leider unbekannteste der vier ‚Weimarer Großen‘“. Das war der erste

Satz des Vortrags von Dr. Jutta Heinz über Wieland. Dieser Dichter lebte von 1733 bis 1813 und war zu Lebzeiten ein hoch angesehener und populärer Autor.

Literaturgeschichte ist ungerecht. Der in Biberach geborene Wieland war in vielen Dichtungsgattungen äußerst produktiv. Er ebnete mit seinem „Agathon“ den Weg für den Prosaroman, speziell für den Entwicklungsroman, und leitete mit seinen Shakespeare-Übersetzungen die Shakespeare-Renaissance im deutschen Sprachraum ein.

Dem Vergessen dieses Autors will Jutta Heinz entgegensteuern. Sie ist intime Kennerin von Wielands Werk, gibt das Wieland-Handbuch heraus und erforscht derzeit für das Wieland-Forschungszentrum Oßmannstedt die politischen und amtlichen Schriften Wielands. Um den Poeten an die Oberfläche zu holen, wählte sie einen Aspekt, der auch in der Gegenwart interessiert: „Wieland und die Frauen“, und kündigt an: „Sie werden zum einen Wieland ganz persönlich kennenlernen, von seinen frühen Liebschaften bis hin zu seinen Altersschwärmereien.“

Wieland war ein Bewunderer des schönen Geschlechts. Als Einstimmung zeigte Jutta Heinz die Fotografie eines dreiseitigen Obelisken, der im Park bei der Grabstätte Wielands in Oßmannstedt bei Weimar steht. In seinen Sandstein ist ein Distichon Wielands eingraviert: „Liebe und Freundschaft umschlang die verwandten Seelen im Leben/und ihr Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein“. Wieland hat diese Verse 1806 gedichtet, für seine späte Liebe Sophie Brentano, für seine Ehefrau Dorothea und für sich.

Der Obelisk veranschaulicht, wie sehr sich Wieland von Frauen beeinflusst fühlte. Jutta Heinz dröselte nun die Beziehungen Wielands zu einzelnen Frauen auf, unterstützt von Projektionen von Folien. Eine Folie gehörte der ersten Verlobten Sophie Gutermann. Er gesteht ihr später, dass er nicht die wahre Sophie, sondern in einer „idealischen“ Zauberwelt die „Idee der Vollkommenheit“ geliebt habe. Er erkennt, dass Sophie, die später selbst zur Dichterin reifte, ihn zum Dichter gemacht hat.

Die nächste Folie gehörte Julie Bondeli, einer hoch gebildeten Schweizer Patriziertochter, mit der er sich bald verlobte. In ihr lernt der junge Hauslehrer eine selbstbewusste Frau kennen, die keine Ehe anstrebt, sondern „Freundschaft für eine vernünftige und beständige Liebe“ hält.

Die nächste Folie zeigte die zwanzigjährige Christine Hogel, „Bibi“. Wieland hat sie als Stadtschreiber in Biberach kennengelernt. Sie hat Wieland „endgültig von seiner platonischen Liebesschwärmerei geheilt“. Sie wurde allerdings von ihm schwanger, ein Skandal für ein katholisches Mädchen damals in einer Kleinstadt. Nach einem Jahr starb das Kind. In der Dichtung lebt „Bibi“ weiter als Muse des „Agathon“. Außerdem mutierte Wieland vom „prüden Platoniker“ zum erotischen Skandalautor.

Wieland fand es nun an der Zeit, nach einer Ehefrau zu suchen. Ausgerechnet die Exverlobte Sophie von La Roche geb. Gutermann vermittelt eine Konventionsehe mit der neunzehn Jahre alten Anna Dorothea Hillenbrand. Die Konventionsehe bewährt sich gut. Sie werden fünfunddreißig Jahre verheiratet sein, sie wird ihm vierzehn Kinder gebären. Nach ihrem Tod hat Wieland immer wieder betont, dass sie für ihn die ideale Ehefrau war und ihr Verlust unersetzlich.

Wieland hatte also Frauenbeziehungen verschiedenster Schattierungen. Als alter Mann spiegeln sich diese Frauentypen in seinen theoretischen Äußerungen und in seinen Werken. Die weiteren Folien veranschaulichten dies.

Höchst erstaunt erfährt man von der Referentin, dass Wieland, der ein Leben lang den „Service“ einer ihm zuarbeitenden Ehefrau genossen hat, „einer der energischsten Vertreter“ des Emanzipationsgedankens war. Im Geiste der Aufklärung stellt er fest, dass die Frau „eben so wohlbegründete Ansprüche an alle Mittel zur Aufklärung, Bildung und Verschönerung des Geistes mit auf die Welt bringe wie wir“. Ja, die Frauen seien sogar „bessere Dichterinnen“, wenn man sie mit ihrer ganzen „Originalität“, „Genialität“ und – oha! – „Sexualität“ sein lässt wie sie sind. Das, so stellt Jutta Heinz fest, ist ja schon eine frühzeitige Theorie weiblichen Schreibens, in dem sogar das Skandalwort „Sexualität“ auftaucht.

Die Zuhörer folgten dem inhaltsreichen Vortrag mit aktuellen Bezügen mit großem Interesse. Für den Literaturbeirat war es naheliegend, die ausgewiesene Wieland-Spezialistin einzuladen. Sie musste nur aus Notzingen anreisen.

Wieland, der die Frauen ernst nahm, ihnen zuhörte und sie in seinem Werk verewigte

Feministische Passagen hat Wieland in seinen Altersroman „Aristipp und einige seiner Zeitgenossen“ eingefügt. Eine Figur des Romans, die Hetäre des Klassischen Altertums Lais von Korinth, stimmt ein Klagelied an über die Unterdrückung der Frau im „Geschlechterkrieg“. Doch Lais erliegt selbst der Verführung und stirbt. Eine der Vorbilder für Lais ist Sophie Brentano, eine Schwester Clemens Brentanos, die Enkelin von Sophie Gutermann. Diese Sophie besuchte den 66-jährigen Wieland. Er schwärmt für sie und für sie ist er immerhin ein „liebenswürdiger Greis“. Sie stirbt plötzlich und ist jetzt auf dem Obelisken verewigt. Auch in den Werken „Menander und Glycerion“ und „Krates und Hipparchia“ werden die Geschlechterrollen thematisiert. Glycerion lehnt eine Ehe ab, denn erotische Reize nutzen sich ab. Ebenso Hipparchia, wenn auch aus anderem Grund: Eine Ehe bringt eine Versklavung der Frau in jeder Hinsicht mit sich. In der Diskussion kam die Frage auf, was Wieland für die Frauen so anziehend machte. Denn Herders Frau äußert sich über ihn: „Er ist im ersten Anblick nicht einnehmend, mager, blattnarbicht, kein Geist und Leben im Gesicht, kurz, die Natur hat an seinem Körper nichts für ihn getan.“ Als Antwort mutmaßt Jutta Heinz, dass Wieland die Frauen ernst genommen hat. Er hat ihnen zugehört und manchmal auch in seinem Werk verewigt.ust