Weilheim · Lenningen · Umland

Win-win für Künstler und Einzelhändler

Kultur Auf Initiative des Lenninger Künstlers Rainer Hoffelner stellen lokale Maler und Bildhauer ihre Werke in Kirchheimer Läden und Schaufenstern aus. Von Helga Single

Normalerweise kommen die Menschen zu ihren Vernissagen und in ihre Ateliers. Doch in Zeiten wie diesen drehen die zehn Künstler, die ihre Werke in den Schaufens­tern der Kirchheimer Einzelhändler ausstellen, den Spieß um. In achtzehn Geschäften in der Innenstadt präsentieren sie bis Ende September eine kleine Auswahl ihres Schaffens.

Im Rahmen des Programms „Kulturgarten“ haben sich nun Interessierte zur Besichtigung der Werke aufgemacht. Ausgangspunkt war das Kirchheimer Lokal „K3“. Vorreiter dieses Projekts ist der Lenninger Künstler Rainer Hoffelner, der wie so viele durch Corona ausgebremst worden war und nach neuen Möglichkeiten suchte, seine Kunst einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Ihm schlossen sich neun Künstler an, die darin auch die Möglichkeit erkannten, ihre Kunst zu den Menschen zu bringen und der coronabedingten Flaute entgegenzuwirken. Seit Anfang August gibt es nun Kunst in Kirchheims Läden und Schaufenster zu bestaunen.

An diesem warmen Samstagvormittag bewegt sich die kleine Gruppe durch die Menschenmassen in der Fußgängerzone von einer Location zur nächsten. Die Werke sprechen für sich und bestechen durch ihre hohe Ausdrucksstärke und sind so unterschiedlich und individuell wie ihre Meister. Vor keinem Material wird haltgemacht. Obwohl mehrheitlich in Acryl oder Öl gearbeitet wird, gelingen großartige Effekte mit Säuren, Beton, Kiesel, Sand und Alkoholtinte. Letzteres mache besonders während des Arbeitens Laune und ersetze mühelos das Glas Wein am Abend, ­behaupten die Künstler.

Nicht nur Malerei, auch Objekte wie der zum Klopapierhalter umgearbeitete Feuerlöscher oder Skulpturen, die aus Sandstein in einem Stück gemeißelt sind und die Form eines Handschmeichlers haben, bereichern die Vielfalt. Dazu tritt die Fotografie, die den Charakter der Skulpturen widerspiegelt. Gefaltetes Papier und bearbeitete Bücher lassen interessante Papierobjekte entstehen.

Von der Teck bis zur Möhre

Genauso verschieden sind die Techniken. Es findet sich die mittelalterliche Manier in Schichten zu malen, mit stark ausgeprägten Hell-dunkel-Kontrast wie der wilde, expressive Pinselstrich oder der zarte Farbhauch einer Aquarellmalerei. Auch die Herangehensweise an ihre Themen reicht von „ich male, was ich seh“, wie die Burg Teck, über die „relaxte Möhre“, die als Hauptmotiv entspannt im Vordergrund liegt, vollständig naturalistisch dargestellt ist und durch ihre mittelalterliche Malweise besticht. Bei der „informellen Malerei“ hat der Künstler den Anspruch, den verfremdeten Gegenstand noch zu erkennen. Andere haben eine vollkommen realistische Darstellungsweise und zelebrieren einen Bildausschnitt wie unter einem Brennglas vergrößert, dessen Ursprungsmaterial einmal Plastik, unachtsam weggeworfener Müll oder gestapelte Textilien waren. Dinge, die ihre Identität verloren haben, werden zu Neuem zusammengesetzt und ergeben ein großes Ganzes.

Manche Arbeiten sind komplett abstrakt und wirken ausschließlich über Formen und Farbe und tragen Elemente der Collage. So entstehen Motive, in denen sich der Betrachter zuerst zurechtfinden muss, während sich andere auf Anhieb erschließen. Einige Marktbesucher nach der Kunst im Schaufenster befragt, antworteten oft, sie haben davon nichts mitbekommen. Tatsächlich ist für manch einen Passanten die Kunst so geschickt in die Deko integriert worden, dass nicht wenigen die Kunst noch gar nicht aufgefallen war und sie für eine gelungene Schaufensterdekoration hielten. Vielleicht das Resultat einer spontanen, viel zu wenig „geplanten und organisierten“ Aktion, wie es Rainer Hoffelner leicht durchklingen lässt. „Doch unser Projekt kann wachsen und hat Potenzial“, findet er. Das sei erst mal ein guter Anfang zurück in eine Normalität. „Und wenn wir mit unserer Aktion die Kunst zu den Leuten bringen können und erst mal die Einzelhändler diese Win-win-Situation erkannt haben, kann es sicherlich eine Fortsetzung geben.“