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„Wir haben zu viel Zeit“

Andrang beim Informationsabend zur Flüchtlingshilfe – Viele Aufgaben, 27 Interessenten

Der Informationsabend zum Thema „Flüchtlingshilfe Kirchheim“ war für 30 Leute geplant. Doch dann saßen die Zuhörer dicht gedrängt im Saal des Mehrgenerationenhauses Linde. In die ausgelegten Listen trugen sich 27 Interessenten ein, die helfen möchten. Dazu gibt es viele Möglichkeiten.

Der große Andrang in der Linde zeugt vom großen Interesse am Informationsabend zum Thema „Flüchtlingshilfe Kirchheim“.Foto: Deni
Der große Andrang in der Linde zeugt vom großen Interesse am Informationsabend zum Thema „Flüchtlingshilfe Kirchheim“.Foto: Deniz Calagan

Peter Dietrich

Kirchheim. Ein Vater stelle sich Folgendes vor: Aus Angst um sein Leben muss er fliehen. Seine Familie mit drei Kindern kann er nicht mitnehmen, die Flucht wäre zu gefährlich. Zwei Wochen verbringt er auf einem Boot, ungewiss, ob er je wieder Land sehen wird. Solange er nicht als Asylbewerber anerkannt ist, kann er seine Familie nicht nachholen. Er hat ein Foto seines zwölfjährigen Sohns bekommen, mit einem Maschinengewehr in der Hand. Islamisten wollen, dass der Sohn für sie kämpft.

Dies ist die Geschichte von Fayez Alali aus Syrien. Seit 1. April lebt er in der Flüchtlingsunterkunft in der Dettinger Straße. Der Ingenieur mit besten Englischkenntnissen arbeitete bei Shell. „Wie kann ich hier sein, ohne an meine Familie zu denken?“, fragt er die lauschenden Zuhörer. Dann spricht er auch für seine syrischen Freunde: „Wir wollen gute Mitglieder eurer Gesellschaft sein, wollen nicht abhängig sein, wollen unsere Fähigkeiten einbringen.“ Am härtesten ist das Warten. „Wir haben zu viel Zeit.“

Immer wieder klingt, auch bei einem weiteren Flüchtling, die Dankbarkeit durch. Dank für die Hilfsbereitschaft, Dank für das Interesse an der Situation der Flüchtlinge. Dank, dass nun endlich der Deutschkurs begonnen hat, und Dank für den 1,05-Euro-Job beim Bauhof. Fast alles Geld schickt der Somalier nach Hause zu seiner Familie.

Ähnlich bewegend waren die Filmausschnitte zu Beginn des Abends. Schüler der VABO-Klasse der Kirchheimer Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule, selbst Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund, ließen andere Flüchtlinge zu Wort kommen. Eine Frau erzählt, wie die Schlepper sie in der Türkei von ihrem Bruder trennten. Bis heute weiß sie nicht, wo er ist. Flüchtlinge erzählen von ihrer Ankunft. Mit vier Personen in einem Raum, keine Arbeit, die fremde Mentalität, das ist schwer. „Hast du Heimweh?“ „Und wie.“ „Sehr.“ Schon ein Geruch, der sie an den Garten zu Hause erinnerte, brachte eine junge Frau zum Weinen.

Renate Hirsch von der Flüchtlingsberatung Chai gab einen kompakten Überblick, unter anderem über Fluchtgründe. Oft kommen mehrere Gründe zusammen: Krieg, Zwangsrekrutierung, zerstörte Existenzgrundlage, Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen, Folter. Theoretisch umfasst das Asylverfahren fünf Schritte, von der Erstaufnahmestelle über die Anhörung, die Verteilung auf die Landkreise, das Warten auf den Bescheid aus Karlsruhe bis zur eventuellen Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Doch im Moment, so Renate Hirsch, sei vieles durcheinander, die Behörden kämen nicht nach.

5,2 Prozent der Flüchtlinge für Baden-Württemberg kommen in den Landkreis Esslingen, gut 400 sind bisher in Kirchheim untergebracht. Nach 24 Monaten in der Unterkunft des Landkreises steht die schwere Wohnungssuche an. Es gibt ein wachsendes Netzwerk, als Koordinatorin knüpft Theresa Ringwald von der Bruderhausdiakonie fleißig an vielen Fäden.

Viele Flüchtlinge sind sportliche junge Männer. Sportvereine nehmen sie gerne auf, sie spielen Fußball und Basketball und werden zum Karate eingeladen. Es fehlt aber ein Angebot zum Schwimmen. Es gibt noch viele Ideen, vom Handarbeitskreis über die Radwerkstatt bis zum interkulturellen Gärtnern. Seit zwei Monaten gibt es eine Kleiderkammer.

Dann gibt es da noch so eine typisch deutsche Frage. Wie ist das mit der Versicherung? Gudrun Müller von der Fachstelle Bürgerschaftliches Engagement der Stadt Kirchheim kann beruhigen: Haftpflicht und Unfall sind über den Träger versichert. Weitere rechtliche Unsicherheiten kommen bei der Diskussion zur Sprache. Darf man einer Flüchtlingsfamilie den Schwarzwald zeigen, darf sie den Landkreis verlassen? Ein Leitfaden wird gewünscht.

Am 24. Juli lohnt der Gang in die Dettinger Straße 132 besonders. Dann gibt es ein Buffetfest, Flüchtlinge kochen für ihre Gäste. Jens Schlagenhauf, der für den AWO-Sozialdienst Flüchtlinge betreut, ist nämlich auch gelernter Koch.