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„Wir verteidigen die Demokratie“

Bundestagswahl Der SPD-Bundestagskandidat Dr. Nils Schmid ist ein landespolitisches Schwergewicht und will jetzt ins Berliner Parlament einziehen. Wuchern kann er mit seinem Fachwissen als ehemaliger Wirtschafts- und Finanzminister. Von Irene Strifler und Frank Hoffmann

Das Bölle am Teckberg hoch über Owen und Brucken ist nicht nur ein Mekka der Modellflieger, sondern ein fantastischer Aussichtsp
Das Bölle am Teckberg hoch über Owen und Brucken ist nicht nur ein Mekka der Modellflieger, sondern ein fantastischer Aussichtspunkt. Der Blick schweift an der Bassgeige entlang bis über den Jusi zum Stuttgarter Fernsehturm und weiter in den Raum Kirchheim. Gut zu sehen ist beim Treffen mit dem SPD-Bundestagskandidaten Nils Schmid auch Filderstadt. Dort ist er aufgewachsen. Foto: Carsten Riedl

Quelle: Carsten Riedl

Noch gilt er als junger Politiker, und doch kann der 44-jährige Sozialdemokrat schon auf enorme politische Erfahrung verweisen: „Nach zwanzig Jahren Arbeit im baden-württembergischen Landtag reizt mich jetzt die Aufgabenvielfalt in Berlin“, sagt Dr. Nils Schmid. Unter Grün-Rot war er Wirtschafts- und Finanzminister im Land, jetzt ist er kunst- und kulturpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Im Bundestag spielen Wirtschafts- und Sozialthemen naturgemäß eine größere Rolle als kulturpolitische. Welche Rolle dabei seine werden könnte, darüber hält sich der Mann, der mit Listenplatz 6 ein sicheres Berlin-Ticket haben dürfte, ebenso bedeckt wie über Koalitionsprognosen: „Verhandelt wird nach der Wahl“, winkt er ab, räumt aber doch ein, dass Rot-Rot-Grün mindestens „extrem schwierig“ werden würde. Haupthindernis aus seiner Sicht: die außenpolitische Einstellung der Linken. Für den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz sieht Schmid eine große Chance darin, ein unverbrauchter und dennoch profilierter Kopf zu sein: „Wir haben uns bewusst für einen Kandidaten entschieden, der außerhalb der Regierung steht und die Erfolge der SPD repräsentiert“, lobt er den überzeugten Europäer Schulz. Der zeige auch mal klar Kante gegenüber Merkel. Dies will Schmid im Fernsehduell beobachtet haben, beispielsweise beim Thema Erdogan.

Mit der Türkei kennt sich der Schwabe aus. Als Landesminister war er mehrfach dort, zuletzt 2015. Zudem ist seine Frau türkischstämmig. „Wir müssen gegenüber der türkischen Regierung klarmachen, dass es Grenzen gibt“, sieht er sich in der Pflicht, täglich die Demokratie „zu verteidigen beziehungsweise zu erkämpfen“. Das ist für ihn ein wichtiger Grundsatz, fürchtet er doch, dass demokratische Staaten in den nächsten Jahren mehr und mehr mit „der Faszination des Autoritären“ zu ringen haben werden. Gerade im Falle der Türkei setzten - und hofften - die Menschen in den Großstädten und in touristischen Gebieten ganz stark auf Europa, wie Schmid aus eigener Erfahrung weiß.

Foto: Carsten Riedl

Deutliche Unterschiede zur CDU erkennt der hiesige SPD-Kandidat auch beim Thema Rente: „Einig sind wir uns da nur in dem Punkt, dass es die Rente mit 70 nicht geben darf.“ Ziel der SPD sei, das Rentenniveau zu stabilisieren. Auch die Selbstständigen, die bisher auf eigene Faust vorsorgen, sollen künftig in das System eingebunden werden. Dadurch steigt die Zahl der Beitragszahler. Im Gegensatz zu diesen konkreten Vorschlägen setze die CDU auf Abwarten, kann sich Schmid einen Seitenhieb nicht verkneifen.

Der Ex-Minister ist keiner, der leere Versprechungen macht, und so stellt er klar, dass kaum Spielraum für Steuersenkungen oder Schuldensenkung besteht. Denn in mindestens drei Bereiche müsse stark investiert werden, um Wohlstand und Wachstum im Land langfristig zu erhalten: Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur. Als Landespolitiker empfindet er es als richtig, dass „die Länder inhaltlich um den besten Weg in Sachen Bildung ringen“. Ebenso befürwortet er aber die bestehende Zuständigkeit des Bundes für die Ausstattung von Schulen. Investitionen in die Bildungsinfrastruktur hält der Vater zweier Kinder für enorm wichtig. Gleichzeitig nennt er als sein Ziel, eine Ganztagsgarantie für die Betreuung von Kindern vom Eintritt in den Kindergarten bis zum letzten Schultag zu geben. Mehr Chancengleichheit und gleichzeitig eine spürbare Entlastung für die Eltern soll die komplette Abschaffung von Kindergartengebühren bringen.

Foto: Carsten Riedl

„Wir haben einen riesen Sanierungsstau bei Straßen und Schienen“, stellt Schmid speziell für das Land fest. In der Regierungsverantwortung habe seine Partei seinerzeit ein großes Sanierungsprogramm bewirkt und 100 Millionen Euro bereitgestellt, vor allem für Straßen: „Da muss man weitermachen.“ Selbstverständlich müsse auch der ÖPNV gefördert werden: „Anders bekommen wir keine Entspannung in den Ballungsräumen hin.“ In seinem Wahlkreis lobt er, dass die Bahn immerhin bis Lenningen beziehungsweise Neuffen fährt. Doch natürlich müsse das Busnetz verbessert und das Tarifsystem des VVS vereinfacht werden - ganz zu schweigen von den zu hohen Preisen.

Das Bölle am Teckberg hoch über Owen und Brucken ist nicht nur ein Mekka der Modellflieger, sondern ein fantastischer Aussichtsp
Foto: Carsten Riedl

Von Fahrverboten will der SPD-Mann, der im sportlichen Passat zum Treffpunkt kommt, nichts wissen: „Im Geburtsland des Autos müssen wir jetzt den Wandel zur emissionsfreien Mobilität schaffen“, betont er und wehrt sich dagegen, den Diesel pauschal zu verteufeln. Einstweilen will er sich dafür einsetzen, die Fuhrparks von Taxi- oder Busunternehmen und Handwerkerflotten schnell zu ersetzen, sodass die Emissionen gesenkt werden. „Da kriegen wir auch ohne Fahrverbot viel hin“, zeigt er sich zuversichtlich und zieht als Lehre aus dem Dieselskandal, sich künftig mit noch mehr Gutachten gegenüber Versprechen der Industrie abzusichern. - Nicht zuletzt zum Wohle und im Dienste des Bürgers.

Nils Schmid stellt sich vor

Biografisches Ich bin 44 Jahre alt, evangelisch, in Filderstadt und Nürtingen aufgewachsen. Meinen Zivildienst habe ich bei der AWO geleistet. Ich habe in Tübingen Jura studiert, weil ich an unseren Rechtsstaat glaube. Ich will, dass es gerecht zugeht. Deshalb bin ich Politiker geworden. Meine Frau Tülây hat türkische Wurzeln, wir haben einen Sohn und eine Tochter. Eines unserer Lieblingsziele für Ausflüge ist die Wilhelma. Dort bin ich auch Mitglied im Vorstand des Fördervereins. Weitere Ehrenämter habe ich im Bereich von Kunst und Kultur, der internationalen Verständigung sowie des sozialen Miteinanders. So bin ich Gründungsmitglied der Werner-Weinmann-Stiftung.

Politischer Werdegang 1991 bin ich in die SPD eingetreten. Zuerst habe ich mich für die Gründung eines Jugendgemeinderates in Nürtingen eingesetzt. Später war ich zehn Jahre lang Ortsvereinsvorsitzender, 2009 - 2016 SPD-Landesvorsitzender. Landtagsabgeordneter bin ich seit 1997. In der grün-roten Landesregierung war ich Minister für Finanzen und Wirtschaft sowie stellvertretender Ministerpräsident. Dabei habe ich viele Erfahrungen gesammelt, die ich künftig im Bundestag für den Wahlkreis einbringen will.

Politische Ziele Europa bedeutet Frieden und Freundschaft, aber auch Export, Arbeit und Wohlstand. Deshalb setze ich mich für Vielfalt und Weltoffenheit ein. Wir brauchen Zusammenhalt statt Hass, damit wir uns alle in unserer Heimat wohl fühlen. Um auch in Zukunft ein starker Standort zu sein, brauchen wir eine gute Infrastruktur: mehr bezahlbaren Wohnraum, leistungsfähige Schienen-, Straßen- und Datennetze. Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit mit sicherer Rente, Abschaffung der Zweiklassenmedizin durch die Bürgerversicherung und bessere Unterstützung von Familien sowie Alleinerziehenden.pm