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„Wo sind meine Schuhe?“

Der Paartherapeut Hans Jellouschek gibt Tipps zum achtsamen Umgang miteinander

Was ist Achtsamkeit? Wie lässt sie sich in der Partnerschaft praktisch leben? Diese Fragen und der Psychotherapeut, Paartherapeut und vielfache Buchautor Hans Jellouschek als Referent lockten rund 150 Zuhörer ins Alte Gemeindehaus: Einzelne und Paare und etwas mehr Frauen als Männer.

PETER DIETRICH

Kirchheim. Endlich einmal wieder zusammen ausgehen, in ein Konzert. Die Kinder sind bei ihrer Mutter, der Mann kam zeitig von der Arbeit heim. „Doris, wo sind meine Schuhe?“ Franks Frage lässt Doris explodieren: „Bin ich deine Mutter?“

Hinter diesem Dialog steckt viel. Jellouschek, von pro familia und der Familien-Bildungsstätte Kirchheim eingeladen, untersuchte ihn gründlich. Er hat zum einen damit zu tun, dass wir oft nicht in der Gegenwart leben, sondern manchmal in der Zukunft und noch öfters in der Vergangenheit. Da verarbeitet Frank noch manches aus der Firma, Doris hat sich beim Abliefern der Kinder von der Mutter wieder Vorwürfe anhören müssen. Noch viel tiefer liegen die Verletzungen der „inneren Kinder“. Doris wurde als älteste Tochter sehr oft als Ersatzmutter eingespannt, das freie Spielen kam zu kurz. Nun will Frank von ihr versorgt werden. Frank, bei dem es als Kind stets auf Leistung ankam, hat das Gefühl: „Wenn ich nicht funktioniere, haut mir Doris das um die Ohren.“

Jellouschek erläuterte den Unterschied zwischen innerer und äußerer Reaktion. „Es würde helfen, wenn wir die beiden unterscheiden könnten. Dann entsteht dazwischen eine Lücke, sie bringt Freiheitsgrade.“ Doris könnte diesen winzigen Moment nutzen, um äußerlich anders zu reagieren. Sie könnte einfach mit einem „nein“ antworten, mit einem „ja, dort“ oder sie könnte die Frage mit Humor nehmen: „Natürlich weiß Mutti das.“ Oder sie könnte Frank sagen, dass man ein andermal darüber reden sollte, warum er nie etwas findet.

Immer wieder, so Jellouschek, fallen Menschen in die gewohnten Verhaltensmuster zurück. Auch wenn ein Krach verschieden sei, gehe es um Ähnliches. Einer möchte Autonomie, der andere suche die Bindung, einer suche Veränderung und räume immer wieder das Wohnzimmer um, der andere das Gleichbleibende. „Jedes Mal, wenn wir uns in diesen Konflikt verwickeln, lernen wir ihn ein Stück weit mehr kennen.“

Bei der Achtsamkeit gehe es da­rum, im Hier und Jetzt zu leben und das wahrzunehmen, was ist – und nicht, wie es sein sollte. Die Achtsamkeit werte und beurteile nicht und nehme den anderen Menschen an. Die Achtsamkeit oder „Übung der Achtsamkeit“ komme aus der buddhistischen Meditation, fand Eingang in die Verhaltenstherapie und lasse sich in einem „MBSR-Kurs“ einüben.

In der Paarbeziehung empfahl Jellouschek unter anderem die Pflege von Ritualen. Er bestelle für sich und seine Frau immer wieder einen Prosecco und frage sie: „Worauf können wir einen trinken?“ Natürlich gebe es auch entleerte Rituale – wie die Umarmung, während man innerlich schon weg sei. Schlechter werde eine Paarbeziehung von alleine. „Sie muss genährt werden, sonst geht sie ein.“ Manchmal trete man sich auf die Füße, müsse sich beim Partner entschuldigen. „Oder man macht den anderen auf etwas aufmerksam, aber verbunden mit der Bereitschaft, es ihm zu verzeihen.“ Jellouschek rät zur „Großzügigkeit der Liebe“. Eine Liebesbeziehung dürfe nicht zur Handelsbeziehung werden, mit ständiger Aufrechnung: „Ich gebe, dann will ich auch von dir.“ Wenn nötig, sei es gut, für die Beziehung Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.

„Muss ich mir jeden Satz überlegen?“, fragte eine Zuhörerin nach. „Spontanität ist gut, aber nicht auf Kosten des anderen“, sagte Jellouschek. Schlechte Gefühle seien kein Grund für schlechtes Benehmen. Noch etwas machte er deutlich: „Wenn nur einer der Partner sich um Achtsamkeit bemüht, dann wird es schwer. Es ist viel leichter, wenn beide an ihrem Anteil des Problems arbeiten. Das muss nicht gleichzeitig und das muss auch nicht 50:50 sein.“