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„Wohnen ist ein Menschenrecht“

Jubiläum Der Deutsche Mieterbund Esslingen-Göppingen feiert in Esslingen sein 100-jähriges Bestehen und setzt auf den sozialen Wohnungsbau. Von Thomas Krytzner

In seiner Festrede zum 100-jährigen Bestehen des Mieterbundes Esslingen-Göppingen im Alten Rathaus in Esslingen macht der Journa
In seiner Festrede zum 100-jährigen Bestehen des Mieterbundes Esslingen-Göppingen im Alten Rathaus in Esslingen macht der Journalist Heribert Prantl die Spekulation für die Kostenexplosion bei Baulandpreisen verantwortlich. Foto: Thomas Krytzner

Auskömmliche Arbeit und bezahlbares Wohnen sind zwei Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben. Um bezahlbares Wohnen zu garantieren, wurde vor 100 Jahren der Mieterbund Esslingen-Göppingen gegründet. Im Alten Rathaus in Esslingen wurde das Jubiläum gebührend begangen.

Die Situation von vor 100 Jahren ist fast mit der heutigen vergleichbar: Schon damals befanden sich Mieter in einer schwierigen Situation: Der Erste Weltkrieg brachte den Wohnungsbau fast vollständig zum Erliegen, und der Mangel an Wohnungen wurde zur existenziellen Bedrohung für die Bevölkerung. Der Vereinsvorsitzende Udo Casper machte deutlich, dass kein soziales Mietrecht bestand. „Die Vermieter schlossen sich zusammen, um ihre Interessen noch wirkungsvoller zu vertreten.“ Es sei deshalb höchste Zeit gewesen, sich gegen die Übermacht zu wehren. Der junge Mieterverein beschränkte sich aber nicht nur darauf, Verbesserungen der Wohnungssituation zu fordern. „Eine eigene Baugenossenschaft wurde gegründet und trug damit aktiv zur Überwindung der Wohnungsnot bei“, so Udo Casper. Im Lauf der Zeit sei aus der laienhaften Selbsthilfeorganisation ein professionell arbeitender regionaler Dienstleister und Interessenvertreter geworden.

Derzeit gibt es sechs Beratungsstellen in Esslingen, Göppingen, Geislingen, Nürtingen, Kirchheim und Ostfildern. Rund 7 000 Haushalte sind Mitglied im Mieterbund. Udo Casper nahm den neu eingesetzten Heimatminister beim Wort: „Heimat zu haben ist ein menschliches Grundbedürfnis. Dazu gehören angemessene und bezahlbare Wohnungen.“ Casper wünscht sich, dass die Politik den Zusammenhang erkennt und dementsprechend handelt.

Wilfried Wallbrecht, Erster Bürgermeister der Stadt Esslingen, stellt die Wohnungsnot auch in Esslingen fest. Er versprach: „Die Stadt will lindern, aber was vor zehn Jahren falsch eingeschätzt wurde, kann nicht binnen kurzer Zeit korrigiert werden.“ Rolf Gaßmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbundes, sieht die schwarzen Listen der Vereinigung Grund und Boden als Auslöser für die Gründung des Mieterbundes. Sie seien für mögliche Mieter zum Hindernis geworden. Laut Gaßmann wurden sie als Druckmittel eingesetzt: „Wer an der Wohnung oder an der Wohnsituation rumnörgelte, kam auf diese Liste.“ Daher sei die Organisation der Mieter so wichtig, auch in der heutigen Zeit. Er lobte den Esslinger Mieterbund als aktiven Verein.

Prantl für Renaissance des sozialen Wohnungsbaus

Heribert Prantl ist dafür bekannt, dass er bei innen- und rechtspolitischen Themen kein Blatt vor den Mund nimmt. Der Professor mit zwei Doktortiteln ist vielfach preisgekrönt und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. In seiner Festrede setzte er sich für bezahlbaren Wohnraum ein. Für die Kostenexplosion der Baulandpreise macht Prantl die Spekulation verantwortlich. „Bei der derzeitigen Höhe der Grundstückpreise erklärt es sich von selbst, warum sich fast keiner mehr das Leben in der Stadt leisten kann.“ Er forderte, dass die sogenannten Boom-Städte wieder bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Regionen in der Provinz die Verbindung zwischen Arbeit und Leben bilden. Der Journalist stellte fest, dass die Mieten derzeit das Familieneinkommen auffressen. „Viele Mieter haben Angst, in zwei Jahren die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können.“ Die Folge sind Umzüge aufs Land.

Die Wohnungsmisere treffe vor allem Arme und Arbeitslose existenziell. „Das ist für ein reiches Land wie Deutschland beschämend.“ Heribert Prantl erinnert daran, dass Eigentum auch verpflichtet. „Die Bodenreform wurde wie kein anderes Thema so lange diskutiert und Maßnahmen daraus immer wieder aufgeschoben.“ Er sieht aber Lösungsansätze: „Eigentum ist nicht unumschränkt.“ Die Republik brauche dringend eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus. Die Obdachlosigkeit der Menschen werde in der Welt oft verharmlost. „Das sind Millionen Leben.“ Dabei bräuchten die Menschen eine Heimat. „Sie haben und brauchen Rechte. Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht.“ Heribert Prantl fordert die Politik auf, die soziale Ausgrenzung durch das Schaffen von angemessenem Wohnraum zu verhindern. Seinen Vortrag schloss Prantl mit dem Ausruf: „Die beste Heimatpolitik ist eine gute Wohnungspolitik.“kry