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Zerrissene Welt größter Kontraste

Schemann Klavierduo präsentiert faszinierendes Konzert in Kirchheim

Kirchheim. Ein wenig konnte man schon stutzig werden angesichts dieser Programmzusammenstellung: Schuberts erschütternde „Fantasie f-Moll“ (D 940) für vierhändiges Klavier, umrahmt von Gaetano

Donizettis „Sonate D-Dur“ und Sergej Rachmaninows „6 Stücken op.11“. Konnte das gut gehen? Widerruft nicht die plakative Al-fresco-Malerei eines Rachmaninow die seelische Tiefendimension, die aus Schuberts Hauptwerk aus seinem letzten Lebensjahr spricht? Und kann ein leichtfüßig-unterhaltsamer Donizetti eine angemessene Vorbereitung auf Schuberts „Spätwerk“ sein?

Das Musikerehepaar Susanne und Dinis Schemann ging dieses Risiko ein – und am Ende des Konzerts musste man eingestehen: Die Authentizität jedes Einzelwerks gewann gerade dadurch, dass es dem denkbar größten Kontrast ausgesetzt wurde! So entstand gewiss kein „geordneter Kosmos“, aber dafür ein glaubhaftes Bild eines Schmelztiegel-Jahrhunderts, der von Kontrasten zerrissenen Welt des 19. Jahrhunderts.

Das verlangt von den Musikern höchste Flexibilität, äußerste Konzentration und pianistisches Ausloten der Welt jedes Einzelwerks wie jeden Details. Genau dies gelingt dem Duo Schemann auf völlig unprätentiöse Weise. Fernab jeder aufgesetzten Theatralik spürt man, wie alles von innen heraus gestaltet wird, niemals routiniert oder gar distanziert, sondern engagiert bis zur Erschöpfung. Nichts konnte das besser bezeugen als die atemlose Stille, die nach dem Ende der Schubert-Fantasie im Saal eintrat. Dieser Schubert traf mitten ins Herz.

Und dies war kein Wunder angesichts der Fähigkeiten dieses Duos. Ohne eine perfekte Präzision im Zusammenspiel, eine unglaubliche Kunst der Übergänge, hätte Schuberts Welt nicht so in ihrer ganzen erschreckenden Zerrissenheit erstehen können. Ebenso wenig ohne die Fähigkeit, einer hämmernden Fortissimo-Tongebung (ohne jede Forcierung!) sofort ein Pianissimo voller Farbe und Sanglichkeit oder gar ein farblos hingehauchtes Verstummen folgen zu lassen – all das verlangt Schuberts Werk. Das Duo Schemann vermochte ihm genau dieses Leben einzuhauchen. Dazu gehörte neben höchster Aufmerksamkeit für Details (welche Durchsichtigkeit in polyfonen Abschnitten!) auch das Gespür für die große Linie: Das unendlich traurige Moll-Thema zu Beginn fand erst nach einem bewusst zögerlichen Anheben zu seiner fließenden Bewegung.

Oder: Schuberts Generalpause zwischen Largo und Scherzo wird von den Schemanns einfach ignoriert, sodass die Musik geradezu kopfüber in die Bewegung hineinstürzt und so ein atemloses unaufhaltsames Dahinstürmen auslöst, das alle Lyrik sich untertan macht und so das abrupte Abbrechen erst recht zum großen Erschrecken werden lässt – dasselbe noch potenziert in der Final-Fuge. Besser kann die Heimatlosigkeit der Moderne, die sich in Schuberts Musik bereits artikuliert, nicht dargestellt werden! Eine grandiose Leistung.

Und dem konnte weder ein vo­rausgehender Donizetti noch ein nachfolgender Rachmaninow Abbruch tun. Im Gegenteil: Im Nachhinein verdichtete sich sogar der Eindruck, dass gerade Schubert als das Zentralwerk den beiden anderen Werken ihre eigene Authentizität zurückgab. Schubert und Donizetti waren Zeitgenossen und im langsamen Satz der „Fantasie“ taucht ein lyrisches Thema auf, das so ähnlich auch von Donizetti stammen könnte – doch wie anders hört es sich im Kontext Schubertscher Musik an! Und auch Rachmaninows mehr als zwei Generationen später entstandenen „6 Stücke“ leben vom Kontrast ebenso wie Schuberts „Fantasie“ – aber man erlebt ihn auf einer viel äußerlicheren Ebene. Das muss nicht als Werturteil verstanden werden, und das Duo Schemann hat dies auch sicher nicht intendiert, denn nicht allein ihr bravouröses Können, sondern ebenso ihr Herzblut floss genauso in diese Charakterstücke wie in Schuberts Bekenntniswerk.

Von welcher Homogenität dieses Klavierduo getragen wird, zeigte sich im Wechsel von Primo- und Secondopart bei Schubert, ohne dass auch nur signifikante Unterschiede deutlich geworden wären. Kein Wunder, dass das Publikum Zugaben forderte. Das bescheiden und sympathisch auftretende Musikerpaar kam dem mit zwei Ungarischen Tänzen von Brahms gerne nach. Dank an den Kulturring für ein solch hochkarätiges Duo, verbunden mit dem Wunsch, es wieder erleben zu können.