Mit ihrer Einstiegsfrage geht Simone Bauer gleich in die Offensive: „Habt ihr eine Ahnung, warum wir hier sind?“ Als sich unter den rund zwei Dutzend Schülerinnen und Schülern der 8 c kein Arm hebt, spricht sie die Jugendlichen eben direkt an. Wegducken gilt nicht am Projekttag. Was früher mal Berufsorientierung hieß, nennt sich heute „Coaching4Future“. „Es ist ein Training für die Zukunft“, sagt die promovierte Genetikerin.
Beim Coaching4Future geht es nicht nur darum, den Kids coole Technologietrends näherzubringen, sondern vor allem darum, mit welcher Ausbildung die Schüler von heute morgen aktiv daran mitwirken können. Es geht um die MINT-Berufe,
denn Berufseinstiege in den Bereichen Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik bieten eine fast 100-prozentige Job-Garantie. „Die Nachfrage nach MINT-Arbeitskräften ist so hoch wie nie. Gerade in Baden-Württemberg, dem Land der Erfinder und Tüftler, bieten Unternehmen nie dagewesene Berufschancen“, steht in der Coaching-Broschüre.
Dass es nicht mehr die klassischen Männerberufe sind, die zukunftsweisend sind, beweisen die beiden Coaches selbst. „Ich habe in der Krebsforschung gearbeitet“, erzählt Dr. Simone Bauer. „In der Corona-Zeit habe ich fast nur alleine im Homeoffice vor dem Computer gesessen“, erzählt Simone Bauer. Deshalb ist die Aufgabe für sie eine spannende Abwechslung. Ihre Kollegin Katharina Prager ist studierte Chemikerin und langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Stuttgart.
Wer einen MINT-Beruf ergreift, rettet vielleicht einmal die Welt mit Plastiksammlern im Meer oder erfindet das Wohnen in den Städten neu. Aber diese Pläne stehen für die Schülerinnen und Schüler der 8 c der Realschule Lenningen zumindest jetzt noch nicht auf der To-do-Liste. Aber als die Coaches Katharina Prager und Simone Bauer die Themenfelder Mobilität und Maschinen und Roboter aufrufen, stehen die Jugendlichen auf. Damit stimmen sie dafür, dass es in den kommenden vier Unterrichtsstunden um fliegende Autos und 3-D-Drucker geht.
Um die Aufmerksamkeit der potenziellen MINT-Arbeitskräfte zu gewinnen, greifen Katharina Prager und Simone Bauer auch in die naturwissenschaftliche Trickkiste. Ein Magnet fällt senkrecht durch ein Kupferrohr, aber so langsam, dass Simone Bauer ihn oben loslassen und unten mit derselben Hand problemlos wieder auffangen kann. Oder die Knete, die man zu einem Ball formen kann, der Eigenschaften wie ein Flummi hat.
Die anfängliche Zurückhaltung ist dann auch bald abgelegt, und manche beweisen schon ein ziemlich großes Allgemeinwissen. „Das ist Carbon“, sagt ein Schüler, als Simone Bauer eine schwarze Platte zeigt. Der Verbund aus Kohlenstoff und Harz ist ein wichtiges Material für leichte und stabile Konstruktionen, zum Beispiel für Fahrräder. Die Wissenschaftlerinnen haben auch ein Pulver mitgebracht, das Wasser innerhalb von Sekunden zu einer wachsartigen Masse werden lässt. „Wo könnte so ein Effekt zum Einsatz kommen?“, fragt Simone Baue. Auch wenn die Zeit für die Achtklässler schon länger her ist, kommt irgendwann die richtige Antwort: „Windeln.“ Beim Themenfeld Robotik darf die Esslinger Firma Festo nicht fehlen: Ihr flexibler FinGripper ist einer Fischflosse nachempfunden und schmiegt sich automatisch an jegliche Formen an. Bionik nennt sich der Nachbau tierischer Fähigkeiten.
Am Ende jedes Themenfelds zeigen die Coaches auf einem Videobildschirm eine Übersicht der Ausbildungsberufe, in denen man sich mit diesen Themen beschäftigt: Chemikanten, die aus Rohstoffen anorganische Grundchemikalien für Oberflächen herstellen, Mechatroniker, Kunststoff- und Kautschuktechniker.
Insgesamt 200 Ausbildungsberufe und 400 Studiengänge gehören zu den MINT-Berufen, erklärt Simone Bauer. „Heute haben wir nur zehn vorgestellt“, fügt sie hinzu. Das Interesse scheint nach 90 Minuten jedenfalls geweckt, und die „Cubelets“, magnetische Roboterbausteine mit teils erstaunliche Funktionen, stehen für den zweiten, spektakulären Teil bereit. Die Coaches können zufrieden sein: Sie haben an diesem Tag einen Baustein für künftige neue Fachkräfte gesetzt.
Programm für Schulen
Seit 2008 unterstützt das Programm die MINT-Berufsorientierung an Schulen ab Klasse 7 in ganz Baden-Württemberg. Rund 30 Coaches arbeiten für das Programm „Coaching4Future“, das vom Branchenverband Südwestmetall, der Baden-Württemberg Stiftung des Landes und der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg finanziert wird. Zudem machen unter dem Motto „Discover Industry“ zwei Erlebnis-Lern-Trucks mit handfesten und virtuellen Einblicken in Industriearbeitsplätze auf Anfrage gratis Station an den Schulen. Weitere Infos gibt es unter
www.coaching4future.de. pm