Weilheim · Lenningen · Umland

Zwei Pfarrer – zwei Wege zum Heil

Albrecht Esche referiert über die Freundschaft zwischen Mörike und Blumhardt

Kirchheim. Der Literaturbeirat war gut beraten, die Veranstaltung mit Albrecht Esche in die Stadtbücherei

zu verlegen. Denn trotz des Ausflugswetters sind zahlreiche Zuhörer gekommen. Albrecht Esche beschäftigte sich als Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll in den Jahren 1995 bis 2009 intensiv mit dem Wirken der Familie Blumhardt.

Im Vortrag ging es um die Beziehung zwischen Johann Christoph Blumhardt und Eduard Mörike, ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede. Beide waren Theologiestudenten im Tübinger Stift und Freunde. Beide wurden Pfarrer. Doch in ihren Lebensentwürfen, ihrem Wirken und ihrer Herkunft waren sie verschieden.

Blumhardt kam aus einfachen Verhältnissen und schaffte den Sprung ins Seminar aus eigener Kraft. Mörike entstammte der württembergischen „Ehrbarkeit“ und hatte Beziehungen nötig. In einem Brief von 1825 schreibt Blumhardt: „Lieber Eduard! Nicht wahr du liebst mich? Ja, ich glaube dir. Aber auch ich liebe dich, wie ich keinen Menschen geliebt habe...“. Nun ja, bei aller Leidenschaftlichkeit: Mörike thematisierte unter „Liebe“ etwas anderes. Esche zitierte ein Gedicht, in dem der Jüngling seine Erfahrungen mit seinem Bäsle Clärchen Neuffer in Verse gegossen hat. Es geht um ein erstes erotisches Erwachen. Esche malt sich aus, welchen „Aufschrei“ dies in Blumhardts Freundeskreis erregt hat. Dort las man die Bibel und pflegte einen frommen Lebenswandel. Bei Mörike finden sich erst recht in späteren Gedichten, der „Nimmersatten Liebe“ und dem „Ersten Liebeslied eines Mädchens“ eine „psychoanalytische Bilderwelt“ und „phallische Symbole“.

Blumhardt lebte in einer anderen Welt. Er sieht die Freundschaft mit Mörike als Fügung Gottes an. Mörike macht für diese Freundschaft die Schutzgöttin Weyla der Insel Orplid verantwortlich, einem Fantasiegebilde Mörikes, einem poetischen Kosmos.

Blumhardt wird von solchen Träumen über eine verlorene Heimat nicht gequält. Er folgt dem Theologen Albert Bengel, der das Reich Gottes für das Jahr 1836 angekündigt hatte. Esche: „Die Reich-Gottes-Erwartung wird für Blumhardt mehr und mehr zur tragenden theologischen und existenziellen Dimension seines Lebens“. „Jesus ist Sieger“ wird Lebensmotto. Aus dieser Glaubensgewissheit heraus wird Blumhardt auch auf poetischem Gebiet tätig. Er formt sämtliche 150 Psalmen so um, dass sie singbar werden.

Diese Glaubensgewissheit fehlt Mörike. Ihn plagen Zweifel und Gottverlassenheit. Erlösung findet nur in der Poesie statt. Blumhardt verurteilt ihn nicht. Er versucht sogar persönlich bei Mörikes Vormund, dem Onkel Georgii, zu erreichen, dass sein Freund nicht die Pfarrerlaufbahn einschlagen muss, sondern seine von Gott verliehene poetische Begabung ausleben dar. Vergeblich.

Mit dem Vikariat wird die Beziehung der beiden Theologenfreunde für 20 Jahre unterbrochen. Blumhardts Karriere verläuft gradlinig, Mörike landet nach den „Vikariatsknechtschaften“ in der Kirchheimer Region als unlustiger Pfarrer in Cleversulzbach.

1848 begegnen sich die beiden Freunde endlich wieder. Auf der Fahrt nach Bad Teinach, machen der kranke Mörike und seine Schwester Clara Station in Nöttingen, wo Blumhardt schon einen Ruf als Wunderheiler genießt. Clara berichtet, dass durch die Begegnung mit Blumhardt auf wundersame Weise die Beschwerden ihres Bruders verschwunden seien.

Esche stellt fest, dass sich mit Mörike und Blumhardt zwei Persönlichkeiten mit großer Wirkungsgeschichte begegnet sind, die utopische Lebensentwürfe pflegten, der eine auf religiöse, der andere auf säkulare Art. Als Beweis für Mörikes Unsicherheit zitiert Esche ausgerechnet die „frommen“ bekannten Gedichte „Zum neuen Jahr“ und „Gebet“. Selbst in ihnen entdeckt er moderne Glaubenszweifel. Die Erlösung findet irdisch statt, wie in der Kirchheimer „Lokalhymne“, dem Teck-Gedicht „Hier ist Freude, hier ist Lust...“.

Der Auftritt von Albrecht Esche beeindruckt durch seinen Vortragsstil . Gleich zu Beginn frappiert er, indem er ein langes Gedicht Mörikes auswendig vorträgt, Er rezitiert alle folgenden Gedichte frei in lebendigem Blickkontakt mit dem Publikum und schafft dadurch eine emotionale Nähe. Auf die erstaunte Frage am Schluss, wie er das schaffe, antwortete er: „Die Gedichte Mörikes haben mich in allen Lebenssituationen begleitet.“ Das glaubt man ihm. Das ist lebendige Literatur.