Lenninger Tal
Abschied: In der „Moschde“ rinnt letztmals Saft

Tradition Ende Oktober schließt Harald Schneider in Unterlenningen seine Mosterei für immer. 121 Jahre lang konnten Besitzer von Streuobstwiesen an der Kirchheimer Straße ihre Äpfel pressen lassen. Von Anke Kirsammer

Wenn Harald Schneider nächste Woche am Freitag das letzte Mal seine „Moschde“ anwirft, geht eine Ära zu Ende: 121 Jahre lang trotzte die Mostpresse im Herbst zig Tonnen Äpfeln und Birnen jeden Tropfen ab. „Das ist die absolut letzte Saison“, sagt der 59-Jährige Unterlenninger. Er betreibt die Mosterei in der vierten Generation. Schon vor zwei Jahren sei er mit
 

Die Mosterei ist das beste Amtsblatt
Harald Schneider
Der Chef der Mosterei wird die Gespräche mit seinen Kunden vermissen.

 

dem Gedanken umgegangen aufzuhören. Jetzt zwingt ihn die Maschine dazu. „Sie gibt den Geist auf“, erklärt der Selbstständige, der seinen Lebensunterhalt weiterhin mit Branntweinhandel und einer Lohnbrennerei verdient. Schuld ist vor allem die Fruchtsäure. Sie zersetzte über die Jahre die Mühle, in der das Obst zerkleinert wird. Immer wieder musste der gelernte Werkzeugmacher zu Schraubenschlüssel und Hammer greifen oder seine Kontakte spielen lassen, um Ersatzteile für die betagte Dame zu bekommen. Auch wenn sie an vielen Stellen trügerisch glänzt wie neu: Für sie ist nun mit 66 Jahren Schluss.

Brachten in den Anfangsjahren überwiegend Unterlenninger Stücklesbesitzer ihr Obst an die Kirchheimer Straße, vergrößerte sich der Radius immer mehr. Der Grund: Nach und nach schlossen Kollegen ihre Mostereien. Mit der Aufgabe Harald Schneiders verschwindet zum Leidwesen eingefleischter Mostliebhaber eine der letzten Packpressen in der Umgebung. Fein säuberlich wird hier der Apfelmus Schicht für Schicht eingeschlagen. Erst dann quetscht eine schwere Metallplatte den süßen Saft durch die Tücher. In die Fässer rinnt Süßmost, der deutlich klarer ist als der, der aus modernen Bandpressen fließt.

Ob es die Faszination war, die ihn einst dazu antrieb, die Mosterei zu übernehmen? Die Antwort Harald Schneiders auf diese Frage ist fast so räß wie herber Birnenmost. „Man ist halt mit reingewachsen“, sagt er kurz und bündig. Nachdem der Vater früh krank geworden war, übernahm der Sohn schon als 14-Jähriger die Verantwortung. Damals erlebte er, wie Leute in jedem Herbst 1000 Liter des schwäbischen Nationalgetränks einkellerten. Es gehörte zum Vesper genauso wie zur Pause bei der Heuernte. „Morgens legten die Leute die Sutterkrüge in den Bach, um den Most zu kühlen“, erinnert sich Harald Schneider schmunzelnd an die typischen Tonkrüge und an Zeiten, in denen die Landwirtschaft im Lenninger Tal noch eine beherrschende Rolle spielte.

Und heute? „Mosttrinker sterben aus“, sagt er. Die Tendenz gehe zum Saft. Weil er über keine Bag-in-Box-Anlage verfügt, arbeitetet er mit Thomas Dieterich zusammen. Bei dem Betreiber der Besenwirtschaft „Zum Mostkrug“ in Erkenbrechtsweiler können sich die Kunden das flüssige Gold abfüllen lassen.

Besonders gern bringen die Streuobstwiesenbesitzer ihre Äpfel und Birnen in die Mosterei Schneider, weil sie dort Saft aus dem eigenen Obst bekommen – und seien es nur Kleinstmengen von weniger als 100 Kilo. „Jeder hat dann genau die Mischung, die er mag“, so der Experte. Er selbst schwört auf die Vielfalt, die das Streuobstparadies rund um die Teck bietet. Ob Luike, Trierer Weinapfel, Bohnapfel oder der spät reifende Bittenfelder – „den besten Most gibt es immer noch querbeet durch die Sorten“.  

Einen Spitzenjahrgang mit viel Oechsle hat Petrus Harald Schneider zum Abschied nicht beschert. „Sonne und Wärme haben gefehlt“, bedauert er. Doch während das Unwetter im Juni die Ernte in Kirchheim und Esslingen verhagelt hat, können sich die Baumwiesenbesitzer im Lenninger Tal wenigstens über ein durchschnittliches Jahr freuen.

Umgeben von dem süß-säuerlichen Apfelduft, der einem selbst am Ruhetag in die Nase steigt, wird Harald Schneider am Freitag die Presse mit einem lachenden und einem weinenden Auge das letzte Mal abschalten. Der Familie wurde viel abverlangt. Er freut sich auf mehr Zeit mit seinem Enkel und darauf, dass die 15-Stunden-Tage passé sind. Hart ist der Schnitt für ihn dennoch: „Weil eine Ära zu Ende geht“, sagt er. „Und weil ich die Gespräche mit den Kunden vermissen werde. – Die Mosterei ist das beste Amtsblatt.“