Lenninger Tal

Ackern auf des „Teufels Hirnschale“

Serie Von wegen „Schwäbisch Sibirien“! Die Alb ist Geopark, Biosphärengebiet und zudem spannendes Entdeckerland mit Millionen Jahre alter Geschichte (9). Von Michael Hägele

Steinige Äcker wie hier am Rand des Truppenübungsplatzes Münsingen sind auf der Alb nicht selten.Foto: Michael Hägele
Steinige Äcker wie hier am Rand des Truppenübungsplatzes Münsingen sind auf der Alb nicht selten.Foto: Michael Hägele

Oft wird Boden schlicht als „Dreck“ wahrgenommen, als Schmutz, der die Schuhe verunreinigt. Damit wird man ihm jedoch nicht gerecht. Unter Boden versteht man im wissenschaftlichen Sinne die Übergangsschicht zwischen der Gesteinsschicht der Erde und der Atmosphäre. Böden bilden durch die Fähigkeiten, Wasser und Pflanzennährstoffe zu speichern, die Grundlage des Pflanzenwachstums und sind damit Grundvoraussetzung für das Vorhandensein fast aller irdischen Landlebewesen, auch des Menschen.

Im Gebiet der Schwäbischen Alb dominieren aufgrund des Ausgangsgesteins des Weißen Jura kalkhaltige Böden. Durch Bodenfrost, bei dem sich das gefrierende Wasser in Gesteinsspalten ausdehnt oder durch den Druck wachsender Wurzeln wird das Gestein gesprengt. Man spricht dabei von mechanischer und biogener Verwitterung. Die Kalksteinbruchstücke bieten verschiedenen Formen der chemischen Verwitterung eine größere Angriffsfläche. In erster Linie ist das auf der Alb die Kohlensäureverwitterung, bei der die natürlich im Regen- und Sickerwasser enthaltene Kohlensäure den Kalk langsam auflöst. Dabei können tonige und sandige Bestandteile zurückbleiben.

Seit der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren nahm die Vegetation auf der bis dahin baumlosen Tundra der Schwäbischen Alb zu. Dadurch konnte sich Humus, also verwittertes Pflanzenmaterial anreichern. Im Gegensatz zu wärmeren Gebieten Deutschlands entstand auf der kühleren Alb jedoch eine deutlich dünnere Humusschicht.

Es kratzt beim Pflügen

Der typische Boden der Schwäbischen Alb ist der so genannte Rendzina. Diese Bezeichnung kommt aus dem polnischen und bedeutet „Kratzer“: Beim Pflügen in den Karstgebieten der polnischen Landschaft Lya Gora erzeugten die Pflugscharen ein kratzendes Geräusch im steinigen Untergrund. Auch auf der Alb gibt es Flurnamen wie „Scherr“ von „Scharren“ oder „Rauscher“, die davon zeugen, dass sich die Landwirte auf „Teufels Hirnschale“ früher schinden mussten. Deshalb ist es auch verständlich, dass die steinigsten „Äckerla“ nur in Zeiten schlimmer Not bewirtschaftet wurden. In besseren Zeiten wurden sie teils aufgeforstet oder als Schafweide genutzt. Wer genau hinschaut, kann die ehemalige Nutzung an Ackerterrassen an den Hängen der Kuppenalb erkennen, die dadurch entstanden, dass Jahrzehntelang in dieselbe Richtung gepflügt wurde. Die Steine wurden über Generationen abgesammelt und zu Lesesteinhäufen zwischen den Parzellen aufgeschichtet, wo sich im Lauf der Zeit wertvolle Kleinbiotope bildeten.

An Stellen, an denen das Kalkgestein so stark verwittert ist, dass nur noch seine unlöslichen, lehmigen Bestandteile das Ausgangsmaterial der Bodenbildung darstellen, entsteht der ebenfalls für die Alb typische „Kalkverwitterungslehm“. Dieser ist zusammen mit der organischen Humusschicht darüber ein vergleichsweise guter Wasserspeicher in der trockenen Karstlandschaft, in der sonst jeder Niederschlag sofort im Untergrund versickert.

Auf den Lehmanteil kommt’s an

So entscheidet der Lehmanteil über die Leistungsfähigkeit des Pflanzenstandortes: Auf den Kuppen und an den Hängen, wo sowohl Lehm als auch Humus abgetragen wurden, herrscht oft nur kümmerlicher Pflanzenwuchs vor. In den Senken und Trockentälern, wohin das Material verfrachtet und wo es angereichert wurde, wird auch heute erfolgreich Landwirtschaft betrieben. Der Unterschied ist im Spätsommer besonders gut erkennbar, wenn die Trockenrasen an den Talhängen sich bereits gelb verfärbt haben, während in der Talsohle satt grüne Wiesen liegen.

Auch auf der Alb ist der Boden eine gefährdete Ressource. Auch hier werden wertvolle landwirtschaftliche Produktionsflächen durch Verkehrs- und Siedlungsflächen verbaut. Auch die Landwirtschaft selbst ist beteiligt an der Zerstörung ihres wichtigsten Produktionsfaktors: Durch Pflanzenschutzmittel können für die Bodenbildung unverzichtbare Bodenlebewesen geschädigt werden. Der im Zuge der subventionierten Biogaserzeugung inzwischen auch auf der Alb großflächig angebaute Mais kann den Boden viel weniger als andere Kulturpflanzen vor Abspülung durch Starkregen schützen. Ohne Boden wächst jedoch auch kein Mais.

Die Alb für Fans und Kenner

Wenn man in Urlaub fährt, macht man sich Gedanken über Land und Leute, die Geschichte, die Landschaft und ihre Entstehung, das Klima und das Wetter. Aber wie ist das zu Hause? Michael Hägele stammt aus Esslingen und lebt seit fast 20 Jahren als Geographielehrer und Autor in Münsingen. Als Fan und Kenner der Alblandschaft fasst er geographische und landeskundliche Fakten allgemeinverständlich zusammen.