Lenninger Tal

Aus Textil wurde Hightech

Serie Von wegen „Schwäbisch Sibirien“! Die Alb ist Geopark, Biosphärengebiet und spannendes Entdeckerland zugleich mit millionenjahrealter Geschichte (4). Von Michael Hägele

Für internationale Kundschaft produziert die Münsinger Firma Setec heute automatische Textil-Lagersysteme. Schafe, oben vor der
Für internationale Kundschaft produziert die Münsinger Firma Setec heute automatische Textil-Lagersysteme. Schafe, oben vor der Kulisse der Burg Teck, lieferten den Wollnachschub. Fotos: Setec/Dieter Ruoff

Das Leben der Bauern auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb war früher hart und entbehrungsreich. Da die Landwirtschaft oft nicht ausreichte, um eine Familie zu ernähren, versuchten viele, ihre Situation durch eine Nebentätigkeit zu verbessern. Heimische Schafwolle ließ sich beispielsweise gut verarbeiten, außerdem Flachs. Aus dem Flachs wurden in Handarbeit hochwertige Leinenstoffe gewebt, aus der Wolle entstanden Strickwaren.

Diese Heimarbeit, bei der die ganze Familie mithelfen musste, steht in engem Zusammenhang mit den natürlichen Rahmenbedingungen der Alblandschaft und am Anfang verschiedener, noch heute wichtiger Industriezweige. Im Gegensatz zur Schafhaltung findet man den Flachsanbau heutzutage fast nur noch zu musealen Zwecken.

Kulturlandschaft Wacholderheide

Obwohl es weltweit Wacholderheiden gibt, gelten diese doch als die charakteristische Alblandschaft. Aufgrund der geringmächtigen Bodenbedeckung, häufiger Südhanglage, Nährstoffarmut und Trockenheit durch das poröse Kalkgestein, sowie sehr großen Temperaturschwankungen im Jahresverlauf war es hier nie möglich Ackerbau zu betreiben. Das Rentabelste war noch die Nutzung als Schafweide. Durch den Verbiss der Schafe und die Beanspruchung durch den Tritt der Tiere wurden bestimmte Pflanzen, etwa der Wacholder, begünstigt. Zusätzlich gestalteten die Schäfer die Heiden, indem sie Gehölze beseitigten. So entstanden Biotope als Zeugnisse jahrhundertelanger extensiver Bewirtschaftung. Eine wichtige ökologische Bedeutung besitzen sie als Lebensraum und Rückzugsgebiet für gefährdete Pflanzen und Tierarten. Allerdings wird es immer schwieriger, die Schafweiden zu erhalten. In vielen Gegenden der Alb sind die Flächen nach Aufgabe der Schäferei verbuscht, teilweise hat sich wieder Wald gebildet. Häufig wurde mit artenarmen Fichtenmonokulturen aufgeforstet.

Die Menschen vor Jahrhunderten nutzten die natürlichen Rahmenbedingungen ihres Lebensraumes nach bestem Wissen, denn davon hing ihr Überleben ab. Dass ursächliche Zusammenhänge zwischen Umwelt und Industrie auch heute noch vorhanden sind, ist schwerer nachvollziehbar. Letztlich haben aber nicht wenige Industriebetriebe im Bereich der Schwäbischen Alb ihre Wurzeln in der Zeit boomender Alb-Textilindustrie.

Die Anfänge der Mechanisierung bei der Textilherstellung lagen im 17. Jahrhundert, als es gelang, das Stricken durch Wirkmaschinen erheblich zu beschleunigen. Ein Zentrum der Strickerei war Albstadt-Ebingen, wo zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon 700 Wirkmaschinen in Betrieb waren und mehr als 2000 Menschen in Heimarbeit damit beschäftigt waren, Wolle und Garn für die Maschinen vorzubereiten. Aus den anfänglichen Familienbetrieben entstanden Textilfabriken. Die Branche boomte bis in die 1970er Jahre, allein in Urach gab es zu Hochzeiten über 1000 Arbeitsplätze in der Textilindustrie! Bis auf wenige Ausnahmen wurde seit den 80er Jahren die Textilproduktion in Länder mit niedrigeren Produktionskosten verlagert. Was in der Region blieb, sind wenige, teils hoch spezialisierte Firmen, die innovative technische Textilien für die unterschiedlichsten Bereiche herstellen. Aus manchen der Handwerksbetriebe, die sich vor allem auf die Reparatur von Strickmaschinen und Webstühlen spezialisiert hatten, entstanden Maschinenbaufirmen.

In anderen Städten sind auch meist nur Firmen geblieben, die zumindest indirekt infolge des vergangenen Textilbooms existieren. So wird beispielsweise in Münsingen inmitten des Biosphärengebietes von der Firma Genkinger Textiltechnik hergestellt, die Firmen Topcut-Bullmer und Setec bauen international gefragte Maschinen zum Lagern, Schneiden und Legen von Stoffen. Insofern verdanken auch heute noch etliche Bewohner der Schwäbischen Alb ihr Auskommen dem vergangenen Textilboom.