Lenninger Tal

Das „Zahnbürschtle“ wird 100

Die Schwarzkiefern auf dem Hohenbol sind das Erbe eines historischen Aufforstungsprojekts

Die Schwarzkiefern auf dem Hohenbol gehören zu Owen wie die Teck und der Whisky. Vor einem Jahrhundert wurden die Bäume gepflanzt.

Wo vor über 100 Jahren kein einziger Baum zu sehen war, ragen heute etwa 50 Schwarzkiefern auf dem Hohenbol in die Höhe. Die Sch
Wo vor über 100 Jahren kein einziger Baum zu sehen war, ragen heute etwa 50 Schwarzkiefern auf dem Hohenbol in die Höhe. Die Schwarzkiefern können 800 Jahre alt werden. Für Dieter Bounin (unten) sind die Schwarzkiefern auf dem Hohenbol ein markantes Wahrzeichen, das untrennbar mit Owen verbunden ist.Fotos: Daniela Haußmann

Owen. Das Owener „Zahnbürschtle“, wie die etwa 50 Schwarzkiefern auf dem lang gezogenen Bergrücken an der Teck genannt werden, ist beliebt. Im Verlauf seiner 100 Jahre währenden Geschichte hat sich das unter Naturschutz stehende Fleckchen Erde nicht nur für viele Einwohner aus der 3 500-Seelen-Gemeinde, sondern auch für etliche Besucher aus der Umgebung zu einem wahren Lieblingsplatz entwickelt. Ein malerischer Ausblick lädt laut Landschaftsführer Dieter Bounin zum Verweilen, Entspannen und Genießen ein.

Klare, sonnige Tage bescheren Wanderern, Freizeitsportlern und Touristen eine schöne Sicht auf das schwäbische Karststeingebirge sowie die Wälder, Felder und Fluren, die sich unter ihm weithin ausbreiten. Dieter Bounins Blick fällt im Schatten der Kiefern zu Tale, streift über Schafherden und Obstbäume hinüber zum Stuttgarter Fernsehturm, wandert von dort aus zu den Umrissen der Stadt Ostfildern und bleibt schließlich auf einem entfernten Punkt am Horizont ruhen. „Das ist Walddorfhäslach“, weiß der Landschaftsführer und nimmt auf einer schroffen Felsnase Platz, die sich hoch über Owen erhebt.

„Vor 100 Jahren sah es hier ganz anders aus“, berichtet Dieter Bounin. „Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine wurden zum Weiden in den Wald getrieben und zerstörten ihn zusammen mit den großen Wildbeständen.“ Junge Bäume hatten kaum keine Chance aufzukommen. „Die Bürger holten Brenn- und Bauholz aus dem Wald, um ihre Öfen anzuheizen und Häuser zu bauen.“ Großflächig schlugen sie Stämme, um Geräte, Fässer, Wagen, Möbel oder Brücken aus ihnen zu bauen, wie der Landschaftsführer erzählt. Über einen großen Zeitraum der Menschheitsgeschichte hinweg war Holz der Rohstoff, auf dem das Fundament der Zivilisation ruhte. Der Raubbau zog im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts laut Bounin in Owen und den umliegenden Gemeinden einen regelrechten Holzmangel nach sich, der zum Handeln zwang.

„Um jährlich gleich bleibende Holzvorräte zu gewinnen, ohne dass der Bestandszuwachs beeinträchtigt wird, wurde“, dem Landschaftsführer zufolge, „eine planmäßige Waldarbeit eingeführt.“ In ihrem Rahmen kam es rings um den Hohenbol zu einer Aufforstung, der kahl geschlagenen Flächen. Fichten, die am Albrand nicht heimisch waren, wurden im Schwarzwald eingekauft und zwischen Käppele und Tiefenbach angepflanzt. „Das war die erste Nadelholzkultur im Bezirk Kirchheim“, berichtet Dieter Bounin. „Der Entschluss, Fichten für die Aufforstung zu nutzen, resultiert aus dem Umstand, dass die Baumart bis zum Erreichen der Erntereife nur halb so viel Zeit benötigt wie Eichen oder Buchen.“ Angestoßen aus den guten Erfahrungen, wurden 1908 auch auf dem Hohenbol neben Lärchen und Forchen auch Fichten gepflanzt. Allerdings ohne Erfolg.

Dass die jungen Bäume auf dem Hohenbol nicht wuchsen, braucht nicht weiter zu verwundern. Der Berg ist ein Vulkanschlot, der aus Basalt besteht. „Die dünne, über dem Gestein liegende Humusschicht ist nährstoffarm, das Regenwasser läuft schnell ab, und die exponierte Fläche auf dem Hohenbol wird von der Sonne rasch ausgetrocknet“, erklärt Dieter Bounin. „Unter diesen Bedingungen können nur langsame, schwach wachsende und sehr genügsame Pflanzen wachsen.“ Aus diesem Grund wurden an dem kargen Ort im Jahr 1916 Schwarzkiefern gepflanzt. Eine Baumart, die in den Mittelmeerländern Südeuropas, in Kleinasien, in den westlichen Gebieten Nordafrikas und in Teilen Österreichs wächst. „Dank ihres ausgedehnten und robusten Wurzelsystems kann die Schwarzkiefer sogar auf felsigem, weitgehend bodenfreiem Standort vorkommen“, weiß Bounin. „Die Wurzeln dringen in Spalten und Ritzen von Felsen vor und verankern dort den Baum.“ Eine Eigenschaft, von der sich diejenigen, die die Schwarzkiefern auf den Bergrücken brachten, viel versprachen. Kurzerhand wurde eine Probegruppe von etwa 50 Setzlingen gepflanzt. Ob die Jungbäume aus dem Mittelmeerraum kamen, aus Österreich oder dem Schwarzwald lässt sich historisch nicht nachverfolgen, wie Dieter Bounin bemerkt.

Als nachgewiesen gilt, dass die anfängliche Begeisterung über die Kiefernsorte, deren Stämme 800 Jahre alt werden können, bald der Ernüchterung wich. „Die Baumart wuchs für das Aufforstungsprojekt nicht schnell genug und konnte damit keinen effektiven Beitrag zur dringend benötigten Steigerung der Holzmengen leisten“, sagt der Landschaftsführer. So blieb es bei den circa 50 Bäumen, die den Hohenbol zu einem beliebten Aussichtspunkt, Naherholungsgebiet und – wie es Dieter Bounin formuliert – einem markanten Wahrzeichen für Owen machen.

Das „Zahnbürschtle“ wird 100
Das „Zahnbürschtle“ wird 100