Als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Christ mit Zivilcourage ist Julius von Jan in die Geschichte eingegangen. Hinweise auf sein Wirken finden sich in Aufsätzen, Schulbüchern und Büchern zur Kirchengeschichte. Was bislang fehlte, ist eine Biografie. Diese Lücke hat Martin Stährmann nun geschlossen. „Julius von Jan. Ein aufrechter Pfarrer wider die Nationalsozialisten“, heißt das 192 Seiten umfassende Werk, mit dem der Autor auch ein politisches Ziel verfolgt: „Ich will die Erinnerung an Julius von Jan bewahren in einer Zeit, in der rechtes Gedankengut Aufwind hat“, schreibt er.
Mit einer beeindruckenden Detailfülle nimmt Martin Stährmann den Leser hinein in das Leben und Denken des außergewöhnlichen Kirchenmannes. Julius von Jan zeigt demnach Rückgrat wie kaum ein anderer in einer Zeit, in der sich die meisten wegducken. Sein Kirchheimer Kollege und enger Freund Otto Mörike bezeichnet ihn 1964 im Rückblick auf 1938 als „einzig wahrhaften ‚Protestanten‘ in unserem Land“.
Von Jan prangert die Greueltaten an und wird brutal zusammengeschlagen
„Es heißt oft, Julius von Jan führte ein ganz normales Leben als Gemeindepfarrer. Das stimmt nicht“, sagt Martin Stährmann. Schon von 1933 an wird der Seelsorger in seiner Zeit in Brettach immer wieder der NSDAP vorgeführt. Bekannt wird er aber durch seine Bußtagspredigt, die er am 16. November 1938 in der Oberlenninger St. Martinskirche hält. Damit reagiert er auf die Pogrome der Nationalsozialisten eine Woche zuvor gegen die Juden. In einer brechend vollen Kirche prangert er die Greueltaten an. Dafür wird er wenige Tage später nach einer Anzeige des Ortspolizisten Hermann Bäuerle von Parteianhängern aus Nürtingen brutal zusammengeschlagen.
Auch wenn die Nazis Julius von Jan und seine Familie schikanieren, indem sie ihn einsperren, ins Exil verbannen, finanziell bluten lassen und mit 46 Jahren an die Ostfront schicken - brechen können sie den „Fundamentalisten“, wie Martin Stährmann ihn bezeichnet, nicht. Trotz aller Brüche in seinem äußeren Leben - innerlich bleibt der Pfarrer seiner Linie treu. Mit seinem Gewissen kann er weder den Herrschaftsanspruch Hitlers vereinbaren noch die Gewalt gegen Juden. All das arbeitet der Autor anhand vielerlei Quellen heraus.
„Ich wollte schon immer eine Biografie schreiben über jemanden, der mich fesselt“, sagt Martin Stährmann. Gelungen ist ihm ein Buch, das seinerseits den Leser gefangen nimmt und aufzeigt, dass während des Nationalsozialismus „Gut und Böse, Schwarz und Weiß in vielen Grautönen verschwimmen“. Das gilt für manchen aus der Gemeinde. Das gilt aber auch für Leute wie den Kirchheimer Richter, der Julius von Jan in Untersuchungshaft steckt und ihn damit wohl vor der Verschleppung in ein Konzentrationslager bewahrt.
Beginnend mit einem Schlaglicht auf die Eltern Julius von Jans und dessen Kindheit und Jugend setzt der Biograf Mosaikstein für Mosaikstein zusammen. Eingebettet wird das Wirken des konservativen Pfarrers in die jeweilige politische Lage und den Konflikt zwischen der „Bekennenden Kirche“, deren Vertrauensmann er im Kirchenbezirk ist, und den „Deutschen Christen“. Letztere geißelt der Pfarrer am Bußtag 1938 als „Lügenprediger“.
Durch wertvolle Einordnungen macht Martin Stährmann in seiner gut lesbaren wissenschaftlichen Arbeit die am Ende des Buchs abgedruckte Predigt für den heutigen Leser verständlich. Keine einzige evangelische oder katholische Kirchenleitung in Deutschland habe nach den Pogromen gegen die brennenden Synagogen protestiert. Julius von Jan habe sich mit „aufrechten Pfarrern“ wie Martin Niemöller, die im Konzentrationslager oder im Gefängnis sind, solidarisiert und Kritik geübt an seinem jahrelangen Widersacher Landesbischof Wurm.
Ein moderner Prophet
Für Martin Stährmann ist Julius von Jan ein moderner Prophet. „Das ist fast eine Steilvorlage für den Religionsunterricht“, sagt er. Mit Mächtigen in Politik und Religion in Konflikt zu geraten, Zivilcourage zu zeigen, Missstände zu benennen, zeichne sie aus. „Hier wie dort geht es um Herrscher, die dem Größenwahn verfallen sind, und um Volksmassen, die ihnen willig und begeistert folgen. Hier wie dort geht es um großes Unrecht, um den Verstoß gegen Gottes Gebote“, schreibt Martin Stährmann. Und so beschränke sich der Oberlenninger Pfarrer am Bußtag 1938 nicht auf den vorgegebenen knappen Predigttext aus Jeremia: „Oh Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“ Vielmehr habe er sich entschlossen, das ganze Kapitel anzusehen, damit sich der Sinn erschließt, und eine prophetische Predigt zu halten.
Buchvorstellung fällt aus
Für den kommenden Freitag war in der Julius-von-Jan-Kirchengemeinde Lenningen eine Buchvorstellung mit Martin Stährmann geplant. Coronabedingt kann die Veranstaltung nicht stattfinden. Den Rahmen wollte Richard von Jan nutzen, um der Kirchengemeinde eine Medaille und Urkunde zu übergeben, die er im Oktober aus den Händen des israelischen Botschafters Jeremy Issacharoff in Berlin entgegengenommen hatte. Posthum hatte die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Julius von Jan 2018 den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen. Weltweit haben diesen Ehrentitel bislang über 27 700 Menschen bekommen, darunter 627 in Deutschland.