Lenninger Tal

Der Hund checkt die Realität

Psychologie Jules Hornung leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Gemeinsam mit seiner Lenninger Partnerin versucht er, die Kosten für einen tierischen Assistenten zu stemmen. Von Thomas Zapp

PTBS: Hinter diesen vier Buchstaben stecken meistens dramatische Lebensereignisse. Ein Unfall, ein Schock oder persönliche Katastrophen können zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen, als zeitlich verzögerte psychische Reaktion. Vor fünf Jahren wurde auch bei Jules Hornung PTBS diagnostiziert. Die Ursachen für seine Erkrankung liegen in seiner Kindheit und Jugend, die er in einem kleinen Dorf bei Heilbronn verbrachte. Darüber zu sprechen, fällt dem 21-Jährigen schwer. Seine Lebenspartnerin, die Lenningerin Nadja Wieland, erzählt an seiner Stelle, was die Krankheit für den Alltag bedeutet. Beide haben sich über eine Internetseite kennengelernt und Jules ist vor einem Jahr zu Nadja und ihren Eltern gezogen.

Schnell wird deutlich: Das gemeinsame Leben des Paares ist durch Jules‘ psychische Krankheit stark eingeschränkt. Ohne Begleitung traut er sich nicht aus dem Haus, größere Menschenansammlungen können bei ihm Panikattacken verursachen. „Er fällt häufig in Ohnmacht“, erzählt Nadja. Auslöser könne ein Geruch sein oder eine Person, die ihn an etwas erinnert. Jules habe zudem eine dissoziative Persönlichkeitsstörung. „In besonders schlimmen Momenten schlüpft er in die Rolle eines anderen, so als ob ihm das Leid gar nicht passieren würde.“

Das Paar hat aber erfahren, dass es Hilfe gibt: Speziell ausgebildete Assistenzhunde können den Alltag auch für PTBS-Patienten erleichtern. Als Beispiel nennt die Hundetrainerin Kathrin Riedy aus Donaueschingen den „Realitätscheck“. „Der Hund zeigt an, ob sich wirklich jemand im Raum befindet, wenn der Betroffene Angst davor hat“, sagt sie. Ist niemand dort, bleibt der Hund ruhig. Ist tatsächlich eine Person anwesend, geht er auf diese zu oder begrüßt sie. Außerdem kann der Hund bei einer Ansammlung von Menschen sein Herrchen oder Frauchen aus der Menge hinausführen oder andere Menschen abblocken, indem er sich vor den Patienten stellt. Auch kann er sie bei Ohnmacht wieder aufwecken, durch Anstupsen oder Drauflegen. Labrador-Hunde seien optimal aufgrund ihres Charakters, sagt Kathrin Riedy. All das hat seinen Preis: Inklusive Anschaffung und Ausbildung kostet so ein Tier rund 18 000 Euro. Geld, das Jules Hornung und Nadja Wieland, die vor einigen Wochen einen Job als Grafikdesignerin angetreten hat, nicht haben. Sie suchen aber Spender und haben im Internet eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Bislang ist nur ein Bruchteil der Summe zusammengekommen.

Die Krankenversicherung lehnt eine Übernahme der Kosten ab, mit der Begründung, dass ein Hund bei dieser Krankheit keine nachweisliche Verbesserung herbeiführen kann. „Wir haben Widerspruch eingelegt“, sagt Nadja Wieland. Der Ausgang ist noch ungewiss, aber viel Hoffnung haben die beiden nicht. „Bislang hat es noch keinen Fall gegeben, in dem ein Assistenzhund für einen Nicht-Blinden genehmigt worden ist“, sagt sie.

Jules‘ Krankengeschichte beginnt in seiner Kindheit. Nach der Trennung seiner Eltern lebte er ab seinem siebten Lebensjahr alleine bei seinem Vater, einem Hartz-IV-Empfänger, der im Dorf isoliert war. Der Mann galt als aggressiv und gewalttätig. Jules sei auch von seinem Vater misshandelt worden, erzählt Nadja Wieland. Jules Hornung, der während des Gesprächs abwesend wirkt und teilweise in einem Dämmerzustand zu verharren scheint, hakt zwischendurch ein. „Ich musste im Müll nach Essen suchen, weil mein Vater nichts im Hause hatte“, erzählt er mit leiser Stimme. Sein Körper hat sich damals auf wenig Nahrungszufuhr eingestellt. Das ist bis heute so geblieben. „Ich esse zu den Mahlzeiten, aber nicht weil ich Hunger habe“, sagt er. Im Dorf war er wegen seines Vaters weitgehend isoliert. Nur die Hunde seiner Eltern gaben ihm Trost. Vierbeiner begeistern ihn bis heute - sobald die Sprache auf Hunde kommt, blüht Jules Hornung sichtbar auf. Von seinem künftigen Assistenzhund hat er bereits geträumt. Es soll ein Golden Retriever namens „Lotte“ sein. Ein entsprechendes Profil bei einem sozialen Netzwerk (Jules und Lotte, mein PTBS-Assistenzhund) hat sich Jules Hornung schon angelegt.

Sollte das Geld nicht zusammenkommen, wird sich das Paar einen „normalen“ Hund zulegen, weil die Vierbeiner Jules offensichtlich guttun. Im kommenden Monat will er wieder eine Therapie beginnen und zeitnah eine Wohngruppe suchen, in der er betreut wird. Lebensgefährtin Nadja wird dann in seine Nähe ziehen und ein „normales“ Leben mit ihm führen, soweit es seine Krankheit zulässt.

Blüht an der Seite von Hunden auf: Jules Hornung mit „Dragan“, der Bekannten gehört. Foto: privat
Blüht an der Seite von Hunden auf: Jules Hornung mit „Dragan“, der Bekannten gehört. Foto: privat