Lenninger Tal

Der „Rocky“ von Owen an Bord

Hobby Thomas Weber hat passend zum einstigen Wirtshaus „Zum Anker“, das ihm gehört, aus einer Laune heraus ein Boot bei einer Internet-Auktion erstanden. Diesen „Lustkauf“ hat er noch keine Sekunde bereut. Von Iris Häfner

Boot vor dem Haus
Thomas Weber fühlt sich schon als Kapitän – auch wenn die „Balboa“ auf dem Trockendock mitten in Owen liegt. Fotos: Jean-Luc Jacques

Flohmarktwaren stehen vor dem Haus, ein Schild weist auf den Standort der Kasse hin, in die Jahre gekommene Autos parken im Hof, und eine Schaufensterpuppe, die locker auf einem Stuhl sitzt, scheint die ganze Szenerie zu überwachen. Das ungewöhnlichste Objekt ist allerdings die „Balboa“. Ihr hat Thomas Weber sogar eine große Grube gegraben. „Fängst jetzt an, aufzuräumen?“, haben ihn die Nachbarn hoffnungsfroh gefragt, als er eine Teilfläche seines Hofs direkt neben dem Schulhof freiräumte. Als dann ein Bagger anrückte, vermuteten viele, er würde ein Haus bauen. Doch Thomas Weber verriet nichts, legte sogar noch Finten, damit die Spekulationen ins Kraut schießen konnten. „Bausch a Schwemmbad?“ - Diese Idee ist sein Favorit, hat sein Projekt doch irgendwie mit Wasser zu tun. Eines schönen Wintertags kam ein riesiger Kranwagen angefahren. „Und dann schwebte ein 11,2 Tonnen schweres Schiff über den Dächern von Owen und wurde zentimetergenau in das Trockendock gesetzt - das ist im Flecken rumgegangen wie ein Lauffeuer. Pro Stunde waren etwa 30 Leute da, mit Rad, Moped, Auto oder zu Fuß. „Die meisten sind kommentarlos weitergefahren“, freut sich Thomas Weber heute noch über seinen Coup. Bei der Stadtverwaltung musste er jedoch früher Farbe bekennen, da er eine „polizeirechtliche Verfügung“ beantragen musste, da wegen des Krans die Straße gesperrt werden musste. Aber auch da ließ er die Katze nicht aus dem Sack. „Ich erwarte eine Lieferung“, lautete seine Begründung.

Ein Treffpunkt soll entstehen

Vor zehn Jahren hat sich Thomas Weber zu seinem 50. Geburtstag die einstige Wirtschaft „Zum Anker“ gekauft. Er hatte sich in das Objekt verliebt. „Ich habe es ausgebeint. Sonst ist aber nicht viel passiert. Ich habe es jahrelang als Lager genutzt“, sagt er. Die ursprüngliche Idee damals: aus dem Verkaufsraum der alten Metzgerei wieder eine Wirtschaft machen samt Außenbewirtung. Jetzt will er dieses Vorhaben endlich umsetzen. „Das soll ein Treffpunkt für die Owener werden, wo man das verhandelt, was am Tag passiert ist. Wie beim Stammtisch halt, wo man auf ein Vesper und Bier vorbeikommt“, sagt Thomas Weber. Ob seine Wirtschaft wieder „Zum Anker“ heißen wird, ist noch ungewiss. „Club der Dommbabbler“ oder „Zur Rederei“, in Anlehnung an das Boot namens „Balboa“ vor dem Haus, stehen auch zur Auswahl. Neben der „Balboa“ steht ein Backofen. Den würde er auch gerne zwei- bis dreimal in der Woche anwerfen.

Da die Katze bekanntlich das Mausen nicht lassen kann, war er auch im Urlaub auf „Malle“ auf einem Flohmarkt und hatte danach zwei Anker im Handgepäck beim Heimflug dabei. „Die sollen mal die Thekenbeleuchtung werden“, beschloss er beim Kauf. Doch irgendwann wollte Thomas Weber mehr als nur zwei Anker passend zum alten Wirtschaftsnamen als Symbol haben: „Ein Anker ohne Boot bringt nichts“, war für ihn eines Tages klar.

Erbsache eines holländischen Künstlers

„Ich kaufe regelmäßig bei der Zoll- und Justiz-Auktion. Die findet nur im Internet statt. Verkauft wird da Diebesgut, Hehlerware, Insolvenzdinge und Erbsachen, die die Erben nicht annehmen - so wie die Balboa“, erzählt er. Das Land Rheinland-Pfalz war somit automatisch Eigentümer des Boots, und das Schifffahrtsamt wollte es loswerden. „Ich wusste, die Auktion endet bald, deshalb bin ich im Januar nach Bingen am Rhein gefahren, um mir das Boot anzuschauen. Es gab kaum Daten im Internet“, sagt er. Noch auf der Werft ist die Entscheidung gefallen, das Boot zu kaufen. Mit seinem Mitarbeiter Lulzim Krasniqi hat er das Schiff vermessen, um maßgenau die Grube graben zu können. Vor Ort hat erfahren, dass das Boot einem Künstler aus Holland gehört hat, „der damit den Rhein rauf und runter gefahren ist“. Irgendwann sei er in einem Bootshaus sesshaft geworden. Deshalb musste die „Balboa“ von Bingen zum nächsten Hafen nach Budenheim bei Mainz geschleppt werden. Von dort ging es mit dem Tieflader nach Owen - auf einer vorab festgelegten Strecke, weil es sich um einen Sondertransport handelte. „Der war teurer als das Schiff selbst. Da habe ich nur den reinen Schrottpreis bezahlt“, verrät Thomas Weber.

Den Entschluss, die „Balboa“ zu kaufen, hat er noch keine Sekunde bereut. „Da ist nie ein blödes Gefühl aufgekommen - wie manchmal wenn man einen Sch . . . macht“, gibt er offen zu. Für ihn ist rund um die „Balboa“ alles stimmig. Als er das Trockendock aushob, kam plötzlich ein Keller zutage. „Das hier ist eigentlich der Stadtgraben, hier drunter läuft ein Bach - und deshalb ist das hier eigentlich eine Insel. Das alles passt mit dem Schiff zusammen“, sagt er. Das steht jetzt direkt neben dem Schulhof der Grundschule und - dem abgerissenen Gebäude sei Dank - innerhalb des Baufensters. Möglicherweise bietet Thomas Weber dort mal Fish and Chips sowie Fischstäbchen an, Shanty-Musik soll erklingen, und auf jeden Fall soll Seemannsgarn gesponnen werden. Vielleicht wird es auch ein Hausboot, ähnlich einem Schäferkarren. „Das heißt dann Boat and Breakfast, wobei ich noch nicht weiß, ob das rechtlich geht“, gibt er zu.

Das Unterdeck will er als Salon ausbauen. Die Lampen sind teilweise noch original erhalten. Einen Kamin hat die „Balboa“ auch. Der ist erlaubt, denn das Schiff steht unter freiem Himmel. „Das ist etwas, das nicht morgen fertig wird“, ist er sich bewusst. Sollte es zu seinem 60. Geburtstag im Mai nächsten Jahres fertig sein, „wäre das ein Leuchtturm“. Der Ehrgeiz ist groß, das Schiff soll nach der Restaurierung nicht nur schön aussehen, sondern auch fahrbar sein. „Wenn ich im Rentenalter bin, fahr ich vielleicht Boot und stationiere es in Plochingen“, spintisiert er.

Das Schiff birgt noch viele Geheimnisse. Das Baujahr vermutet er um 1910. „Damals konnte man noch nicht Elektroschweißen. Es ist genietet wie der Eiffelturm. Gebaut wurde es als Schlepper, dann zur Barkasse umgebaut und als Kriegsschiff verwendet“, fand er heraus. Der vordere Teil des Boots ist noch im Urzustand. „Es ist knifflig, das Boot so zu restaurieren, dass kein Schwitzwasser entsteht. In der Sonne ist es heiß, das Wasser hat fünf Grad. Dem allem muss man gerecht werden“, sagt er. Sandwichplatten, wie sie beim Wohnmobilbau zum Einsatz kommen, sind keine Alternative für ihn. „Das passt nicht zu 1910. Ich will es ja dem Baujahr entsprechend ausbauen.“

Auch der Name weckte seine Neugier. Wikipedia verriet ihm, dass Balboa ein Paartanz aus der Familie der Swing-Tänze ist. Vasco Núñez de Balboa, geboren 1475 in Spanien und 1519 in Panama hingerichtet, war ein Entdecker, Konquistador und Abenteurer. Als erster Europäer erblickte er 1513 den Pazifischen Ozean vom amerikanischen Kontinent aus. Und dann gibt es da ja noch die berühmte Hollywood-Reihe „Rocky“: Balboa heißt der Boxer-Filmheld mit Nachnamen.

Boot vor dem Haus
Vieles auf der „Balboa“ ist noch im Originalzustand erhalten. Zur Verwunderung der Nachbarn schwebte das Boot eines schönen Wintertags über den Dächern von Owen ein.
Boot vor dem Haus
Vieles auf der „Balboa“ ist noch im Originalzustand erhalten. Zur Verwunderung der Nachbarn schwebte das Boot eines schönen Wintertags über den Dächern von Owen ein.
Boot vor dem Haus
Boot vor dem Haus