Lenninger Tal

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Integration Im „Binku-Treff“ in Lenningen unterstützen Bürger, Ehrenamtliche und Betreuer Geflüchtete wie Alaghi, den jungen Schneider aus Gambia. Von Susanne Rytina

Konzentriert und mit Freude am Werk: Der 23-jährige Alaghi Fatty aus Gambia schneidert in der Lenninger Flüchtlingsunterkunft in
Konzentriert und mit Freude am Werk: Der 23-jährige Alaghi Fatty aus Gambia schneidert in der Lenninger Flüchtlingsunterkunft in einem kleinen Nähzimmer. Foto: Susanne Rytina

Alaghi Fatty faltet den Stoff auseinander, begutachtet ihn, dann legt er ihn fein säuberlich zusammen. Was daraus wird, wird sich bald zeigen: ein T-Shirt, ein Kleid, oder doch eine kleine Tasche? Gerade wurde ihm der neue Stoff in die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Höllochstraße in Oberlenningen gebracht. Dort schneidert er in einem kleinen Nähzimmer - und hilft seinen 40 Mitbewohnern: Er flickt, kürzt, näht neue Reißverschlüsse ein.

Alaghis liebster Platz ist hinter der hellblauen „Privileg“ und der beigen „Ideal“, zwei in die Jahre gekommenen Nähmaschinen. Eine hat er auf dem Flohmarkt billig erstanden, die andere ist eine Spende aus dem „Umsonstladen“, der örtlichen Tauschbörse für die Lenninger Bürgerschaft. Seine Mutter brachte ihm in Gambia den Umgang mit der Nähmaschine bei. Als er erstmals einen Faden einfädelte, war er neun. Jetzt, mit 23, kombiniert er afrikanischen und europäischen Chic. Die Stoffe bringen Farbe in sein Leben - seiner ungewissen Zukunft als Geflüchteter zum Trotz.

Wenn Alaghi konzentriert hinter der Nähmaschine sitzt und behutsam den Stoff führt, dann ist er ganz bei sich: „Mein Kopf ist frei von allem“, sagt er. Frei von den quälenden Erinnerungen an die Flucht. Und frei von Zukunftssorgen. Er schneidert flink - mehr als eine Stunde braucht er nicht für ein neues Kleidungsstück.

Beim Sommerfest in der Gemeinschaftsunterkunft hat ihn Heike Keller-Dieckmann, eine engagierte Lenninger Bürgerin, zum ersten Mal gesehen, an einem Stand mit Sonnenschirm, an dem bunte Kleidung im Wind flatterte. Darunter ein ruhiger junger Mann, der weniger mit Worten als mit einem freundlichen, offenen Lächeln umgarnt. Keller-Dieckmann fragte den jungen Schneider, ob er seine Sachen bei ihr im sogenannten „Binku-Treff“ ausstellen wolle. Das ist ein Café und eine Begegnungsstätte für Inklusion und Kultur - ein Treff, den die engagierte Lenningerin im Sommer in ihrem Privatgarten anbietet. Was für eine Chance für den jungen Afrikaner, auch etwas für Frauen und Kinder zu schneidern - und nicht immer nur für die Männer in der Unterkunft.

Schon im „Umsonstladen“ war Alaghi aufgefallen, weil es aus dem Hinterzimmer einmal die Woche leise ratterte, wo er gebeugt über seiner Nähmaschine saß. Die interkulturelle Trommel-Gruppe „Rasta Kunda“ gab bei ihm ein Outfit in Auftrag: dezente Tuniken und Kaftane aus beigefarbenem Leinenstoff mit gemusterten Bordüren im Stil seiner afrikanischen Heimat. Seitdem näht Alaghi auf Wunsch auch für Freunde, Bekannte und Lenninger Bürger - nicht für Geld, sondern gegen Stoffspenden. Auch Heike Widmann vom Fachdienst Jugend, Bildung, Migration (FJBM) der „BruderhausDiakonie“ beliefert ihn regelmäßig. Die Integrationsmanagerin berät und betreut die Geflüchteten in der Höllochstraße. Insgeheim wird sie vertrauensvoll „die Chefin“ genannt, weil sie die Männer zwischen 18 und 35 Jahren unterstützt. In Absprache mit dem Landratsamt haben sie und Funda Akin, die Sozialbetreuerin des FJBM, auch dafür gesorgt, dass Alaghi in der Unterkunft ein kleines Nähzimmer bekommt. Dort zeigt er anderen Flüchtlingen, wie man mit der Nähmaschine umgeht.

Heike Wiedmann unterstützt Alaghi bei der Suche nach einem Praktikum. Dafür will er einen Lebenslauf schreiben und lernt nachmittags in einem Sprachkurs Deutsch. Die Integrationsmanagerin Widmann versucht, Kontakte zu knüpfen zu einem größeren Bekleidungshaus mit Änderungsschneiderei: „Es wäre für ihn von unschätzbarem Wert, wenn er in einem solchen Betrieb Erfahrungen sammeln und die Abläufe kennenlernen könnte“, meint sie. „Alles was ich will, ist einmal als Schneider zu arbeiten“, sagt Alaghi und faltet ein neues Stück Stoff zusammen. Es ist der Stoff, aus dem seine Träume sind.