Lenninger Tal
Der „Urwald“ dient Tieren als Rückzugsort

Serie Von wegen „Schwäbisch Sibirien“! Die Alb ist Geopark, Biosphärengebiet und spannendes Entdeckerland mit Millionen Jahre ­alter Geschichte (8). Von Michael Hägele

Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb ist ­gekennzeichnet durch charakteristische Landschaftselemente des Mittelgebirges. Ebensolche unverwechselbaren Landschaftseinheiten sind als „Alleinstellungsmerkmale“ wichtiges Kriterium für die Anerkennung von Biosphärenreservaten durch die Unesco. Über Jahrhunderte durch die ­erschwerte Nutzung relativ wild ­gebliebene Hang- und Schluchtwälder am steilen Albtrauf gehören genauso dazu wie endlos scheinende Streuobstwiesen im nördlichen Albvorland und die besonders im Bereich der Kuppenalb sehr abwechslungsreiche Kulturlandschaft mit Wacholderheiden, Kalkmagerrasen, Ackerflächen und Wäldern.

Obwohl es Heiden mit Wacholder weltweit gibt, gelten sie als Charakterlandschaft der Schwäbischen Alb. Sie liegen auf der Alb häufig an Südhängen, beispielsweise im Bereich der zahlreichen Trockentäler. Aufgrund geringer Bodenbedeckung, Nährstoffarmut und Trockenheit, bedingt durch die Verkarstung des Kalkgesteins sowie sehr große expositionsbedingte Temperaturschwankungen im Jahresverlauf, handelt es sich um Extremstandorte. Außer der Beweidung mit Schafen und Ziegen ist keine andere landwirtschaftliche Nutzung möglich. Durch den Verbiss der Schafe und die Beanspruchung durch den Tritt der Tiere wurde die Vegetation geprägt. Zusätzlich gestaltete der Schäfer die Heide, indem er von Zeit zu Zeit mit Schippe und Axt von den Schafen verschmähte Gehölze beseitigte. Die auf diese Weise entstandenen Biotope sind durch eine große Artenvielfalt gekennzeichnet.

Durch den Rückgang der Schäferei gingen seit den 60er-Jahren viele Flächen mit Wacholderheiden verloren. Entweder wuchsen sie von alleine wieder zu, oder sie wurden mit Kiefern oder Fichten mehr oder weniger erfolgreich aufgeforstet. Die meisten der Wacholderheiden und der ebenfalls schützenswerten Kalkmagerrasen liegen als Flächen mit extensiver landwirtschaftlicher Nutzung in der Pflegzone des Biosphärengebietes.

„Dschungel“ vor der Haustür

Weniger beachtet, aber nicht minder wertvoll sind die sogenannten Hang- und Schluchtwälder, die sich am nördlichen Albtrauf und in den steil eingeschnittenen Talhängen befinden. Diese seltenen Waldtypen, die oft nur kleinflächig vorkommen, weisen im Vergleich zum verbreiteten Wirtschaftswald sehr viele seltene und auffällige Pflanzen- und Tierarten auf. Aus diesem Grund sind sie in der Regel vom Gesetzgeber geschützt.

Im Biosphärengebiet sind die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sowieso nur schwer nutzbaren Wälder Hauptbestandteil der Kernzonen. Weitgehend ohne menschliche Eingriffe sollen sie nach und nach wieder zu einer Art „Urwald“ werden und so auch Tieren als ungestörter Rückzugsort dienen. Letzteres ist nicht ganz unproblematisch. Für die Landwirtschaft schädliche Wildschweinpopulationen können sich von Jägern ungestört in den Kernzonen vermehren, außerdem kann sich in geschädigten Waldbeständen der von Waldbesitzern gefürchtete Borkenkäfer ausbreiten.

In der vor- und frühindustriellen Zeit gehörten neben dem eigenen Most zahlreiche weitere Obstprodukte ganz selbstverständlich zur kleinbäuerlichen Selbstversorgung. Die aus diesem Zusammenhang heraus entstandenen Streuobstwiesen im Albvorland bilden mit etwa 26 000 Hektar und über 1,5 Millionen Apfel-, Kirsch-, Birnen-, Zwetschgen- und weiteren Obstbäumen eine der größten zusammenhängenden Streuobstlandschaften Europas.

In der kleinteiligen, halboffenen Landschaft finden bis zu 5000 Tier- und Pflanzenarten ihren Lebensraum, darunter viele seltene und gefährdete. Außerdem ist diese Region attraktiv für den Tourismus und die Streuobstprodukte lassen sich gewinnbringend vermarkten. Ähnlich wie die Wacholderheiden sind auch die Streuobstwiesen auf Bewirtschaftung angewiesen. Ohne kontinuierliches Mähen der Wiesen und eine zeitraubende Baumpflege werden die Parzellen binnen weniger Jahre zu überwuchertem Unland. Um dies zu verhindern und Obstwiesenbesitzer zu unterstützen, gibt es auch vonseiten der Biosphärengebietsverwaltung verschiedene Unterstützungsangebote und Projekte.

Schützen durch Nützen

Es ist eines der erklärten Ziele des Biosphärengebietes, diese und weitere typische Alblandschaften zu erhalten, indem gewährleistet wird, dass sich eine Nutzung auch weiterhin finanziell lohnt. Als eine solche nachhaltige Nutzung fördert man neben einem vernünftig gelenkten Tourismus auch die Vermarktung regional erzeugter Lebensmittel, beispielsweise unter dem Logo „Schmeck die Teck“, „Albgemacht“ oder im Rahmen der „Biosphärengastgeber“, die als Gastronomen auf regionale Produkte setzen.