Lenninger Tal

„Die Nerven liegen blank“

Corona Eva-Maria Schaaf-Heinsch aus Lenningen appelliert an die Politiker, bei ihren Entscheidungen mehr an die Kinder zu denken. Die dreifache Mutter fürchtet um die Psyche des Nachwuchses. Von Anke Kirsammer

Familie intensiv: Wie so oft in der Pandemie wird bei Heinschs gemeinsam Kuchen gebacken. Die Schulaufgaben laufen mitunter nebe
Familie intensiv: Wie so oft in der Pandemie wird bei Heinschs gemeinsam Kuchen gebacken. Die Schulaufgaben laufen mitunter nebenher. Fotos: Markus Brändli
Wenn Markus Heinsch im Homeoffice ist, klettert die zweijährige Tochter gerne auch mal auf Papas Schoß.
Wenn Markus Heinsch im Homeoffice ist, klettert die zweijährige Tochter gerne auch mal auf Papas Schoß.

Es ist ein sehr emotionaler und offener Brief, den Eva-Maria Schaaf-Heinsch aus Lenningen verfasst und nicht nur in den sozialen Netzwerken veröffentlicht, sondern auch an die Zeitung geschickt hat. Es ist der Hilferuf einer Mutter, die tagtäglich das Beste gibt, um ihre drei Kinder möglichst unbeschadet durch die harte Zeit des Lockdowns zu bringen. Ihrer Arbeit als Wellness- und Massagetherapeutin kann sie praktisch seit einem Jahr nicht nachgehen. „Aktuell bin ich stattdessen Lehrerin für die beiden Großen, Erzieherin für die Kleine, Motivatorin, Tränentrocknerin und Hausfrau“, schreibt sie. Abends, wenn die drei Kinder im Bett liegen und sie mit ihrem Mann auf dem Sofa einen weiteren anstrengenden Tag Revue passieren lässt, fließen auch bei ihr die Tränen. Schlucken muss sie, wenn in Aussicht gestellte Lockerungen in immer weitere Ferne rücken und Politiker Schulöffnungen kurzfristig wieder abblasen, wie das im Januar der Fall war.

Jetzt richtet sich ihre Hoffnung auf den kommenden Montag. Schrittweise sollen in Baden-Württemberg nach den Faschingsferien Kitas und Grundschulen wieder öffnen. Für die dreifache Mutter ein kleiner Lichtblick. Sie geht davon aus, dass die zweijährige Tochter dann wieder in den Kindergarten und der neunjährige Sohn wenigstens zeitweise wieder in die Schule gehen darf.

„Ich bin keine Querdenkerin“, stellt Eva-Maria Schaaf-Heinsch klar. „Wir müssen gemeinsam gegen Corona kämpfen. Ich habe alle Einschränkungen so gut es ging umgesetzt.“ Doch langsam schwindet die Kraft. Aus Telefonaten mit Freundinnen weiß die engagierte Elternvertreterin, dass es anderen genauso geht. „Viele sagen, ‚ich kann nicht mehr. Ich stoße an meine Grenzen‘“, erzählt sie. Bei manchen kommen Existenz- ängste hinzu.

Finanzielle Sorgen hat die Lenningerin nicht, weil ihr Mann arbeiten kann. Doch es sind die Kinder, um die ihre Gedanken kreisen. Abgeknabberte Fingernägel, plötzlich auftretendes Lispeln, ein Kind, das an einem Tag nicht aufsteht, weil es nur noch schlafen möchte, Frustessen - all das sind kleine Verhaltensauffälligkeiten, die die Mutter wahrnimmt und die sie schmerzen. „Rona“, hat kürzlich die Zweijährige gesagt, nachdem sie ihre Puppe zwischen zwei Körbe gepackt hatte. Corona und all die Einschränkungen -, das macht etwas mit den Kindern, da ist sie sich sicher. Und sie geht davon aus, dass davon etwas bleiben wird. Im Hinblick auf die Entwicklung und die Psyche der Sprösslinge möchte die Mutter deshalb nicht stillschweigend hinnehmen, was die Einschränkungen aus ihnen machen. Ihr Appell richtet sich an Entscheidungsträger: „Ich sehe natürlich, dass an einen normalen Alltag aktuell nicht zu denken ist, aber bitte denken Sie mehr an die Kinder.“

Die Sechstklässlerin, die sich vor der Pandemie so gerne mit der Clique getroffen hat, sitzt in ihrem Zimmer vor dem Bildschirm, die Maske baumelt griffbereit über dem Schreibtisch. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder hat inzwischen das Giraffenkostüm abgestreift. Die Faschingsparty in der Schule fand wie das wöchentliche Handballtraining und manch Unterrichtsstunde online statt. Jetzt beugt er sich über das Mathebuch und löst Multiplikationsaufgaben. Etwas später taucht er in der Küche auf. „Fünf Jahre“, sagt er, als er gefragt wird, wie lange die Corona-Pandemie für ihn gefühlt schon geht. Und er schiebt hinterher: „Ich finde es schade, dass ich meine Freunde nicht sehen kann“, gießt Milch in seine Müslischüssel und verschwindet wieder nach oben.

„So ruhig wie heute ist es sonst nicht“, betont die Mutter. „Im Normalfall kommt mein Sohn alle 15 Minuten runter und braucht mal hier, mal da Hilfe. Dazwischen wurschtelt die Kleine rum.“ Heute ist die Jüngste ausnahmsweise bei der Oma, auch, um das Gespräch ungestört führen zu können.

Nicht im Chaos versinken

Ordnung ist für Eva-Maria Schaaf-Heinsch das A und O. Dazu gehört, dass die Kinder nach dem Homeschooling ihren Schreibtisch aufräumen. „Wenn wir auch noch im Chaos versinken, hilft das nicht weiter“, sagt sie. Auch ist ihr wichtig, beim Schulstoff am Ball zu bleiben. „Ich habe Angst, dass sie nicht hinterherkommen, wenn es wieder weitergeht.“

Montags sitzt ihr Mann im Keller im Homeoffice. Wenn er telefoniert, bemüht sich Eva-Maria Schaaf-Heinsch darum, dass die Kinder leise sind. Vier Tage in der Woche geht er früh morgens zur Arbeit. Nach Feierabend und am Wochenende nimmt er seiner Frau viel ab. „Wir schaffen das zusammen“, lautet das Motto des 39-Jährigen, den seine Frau als „tollen Papa“ bezeichnet und den sie als große Stütze empfindet.

Die vielen Stunden ohne soziale Kontakte dehnen sich für die Mutter indes nach zwei Monaten Lockdown schier endlos: „Irgendwann ist jeder Kuchen gebacken, die Puppen wurden millionenfach gewickelt und umgezogen, die umliegenden Spielplätze alle besucht, Knete, Wasserfarben und die Kreativität gehen zum wiederholten Mal aus“, schreibt sie.

Die Streitereien in der Familie, vor allem unter den Kindern, nehmen zu. „Die Nerven liegen blank“, sagt die Frau, die bis vor der Geburt ihrer Jüngsten im Kinder- und Jugendhospiz tätig war, weil sie angesichts des eigenen Glücks etwas zurückgeben will. Das familiäre Beisammensein am Abend, das sie sonst immer sehr genossen hat, wird nicht selten zur Zerreißprobe. „Jetzt bin ich froh, wenn sich mein Mann nach dem Essen um die Kinder kümmert, ich in Ruhe Klarschiff machen kann und wir dann wenigstens zwei, drei Stunden haben, in denen niemand ‚Mama!‘ oder ‚Papa!‘ ruft.“

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