Lenninger Tal
Drei-Sterne-Koch von der Schwäbischen Alb: Künstler mit Bodenhaftung

Gastronomie Joachim Wissler hat es vom Ochsenwanger Engelhof zum Drei-Sterne-Koch im Schloss Bensberg geschafft. Seiner alten Heimat fühlt sich der vielfach ausgezeichnete Küchenchef immer noch eng verbunden. Von Thomas Zapp

Sein Durchhaltevermögen verdankt Joachim Wissler zu einem Großteil seiner Kindheit auf dem Engelhof bei Ochsenwang. „Das ist sicher so“, sagt der Spitzenkoch. Seit 22 Jahren führt er sein Restaurant Vendôme im Schloss Bensberg bei Köln und verteidigt dort erfolgreich seit 18 Jahren drei Michelin-Sterne. Im vergangenen Jahr ist er in Köln zum Koch des Jahres gewählt worden. Es ist das Resultat konstanter und ehrlicher Arbeit auf höchstem Niveau.

Schon als Jugendlicher half Joachim Wissler mit seinen beiden Geschwistern beim Ackerbau mit. „Das war Schwerstarbeit auf der Alb. Wenn sie zwei Tonnen Erde umpflügten, kamen drei Tonnen Steine mit. Die mussten wir aussortieren.“ Dann gab es da noch das beliebte Ausflugslokal. „Wenn die Ausflügler aus Stuttgart und Umgebung massenweise gekommen sind, dachte man, die Alb senkt sich um zwei Meter“, erzählt er lachend. „Meinen Platz in der Küche habe ich schon früh im Alter von zehn Jahren gefunden“, erinnert er sich. Seine Eltern hatten das richtige Gespür: Der jüngste Spross der Familie hatte nicht nur Ausdauer und Zielstrebigkeit, sondern auch Talent, ein gutes Geschmacksgedächtnis und ein Gespür für Aromen. „Meine Mutter hatte eine sehr schmackhafte, ausgewogene Küche. Sie konnte mit wenig schmackhafte Gerichte zaubern, daran denke ich oft zurück“, erzählt der Spitzenkoch. Auf diesen Fundus greift er heute noch gerne zurück, ebenso wie auf die Erinnerung an den großen Gemüsegarten und den Duft von Schweinebraten am Sonntag.

Ständige Suche

Sternekoch zu sein, bedeutet eine ständige Suche nach neuen Geschmackskombinationen, aber für Joachim Wissler geht es um mehr. „Ich bin ein sehr bodenständiger Mensch. Mir geht es um die Bewahrung der Schöpfung, um Nachhaltigkeit. So wie jetzt können wir nicht weitermachen“, sagt er. Der Fleischkonsum habe jedes Maß verloren. Es brauche mehr Respekt vor Tieren und deren Aufzucht, das ist ihm ein innerstes Anliegen. Das Verantwortungsgefühl für die Umwelt: Mehr Demut zu zeigen und auch mal zu verzichten, das falle vielen noch zu schwer. Auch alte, regionale Gemüsesorten wieder zu entdecken, ist ihm wichtig. Das macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Deutschen Schule, die genau das propagiert. „Wir haben eine Verpflichtung, denn die Spitzengastronomie kann eine Vorbildfunktion übernehmen“, ist Joachim Wissler überzeugt.

Sein Arbeitstag hat in der Regel 13 Stunden. „Aber ich mache das aus Überzeugung und mit Zufriedenheit, sonst ginge das gar nicht“, sagt er. Wichtig ist ihm, dass die Qualität der Speisen unanfechtbar ist, auch wenn ein Gast oder Kritiker eine Komposition nicht gleich versteht, das sei wie bei einem Maler. „Geschmack ist subjektiv, mich spricht eben ein Toast Hawaii nicht an.“ Bei 40 Plätzen im Restaurant beschäftigt er 25 Menschen. „Das geht gar nicht anders, weil auf diesem Niveau viel Handarbeit notwendig ist“, sagt er. Wirtschaftlich ist das eine Herausforderung und das hat auch seinen Preis: „Mit dem, was wir machen, sprechen wir vielleicht 0,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland an.“ Das angrenzende Hotel subventioniere das Restaurant aber nicht, betont er. „Vielmehr ist es meistens umgekehrt: Die Leute wollen in unser Restaurant kommen und buchen dann das Hotel.“

„Es gibt nichts Schöneres“

Dennoch spiele die Lage zunehmend eine Rolle. „Immer weniger Menschen fahren in ein Restaurant, wo es weiter nichts gibt. Heute brauchen Sie eine Infrastruktur, das hat sich stark geändert.“ Joachim Wissler fühlt sich wohl im Rheinland, aber sein Herz hängt immer noch an der Heimat. „Zu gewissen Jahreszeiten gibt es nichts Schöneres als die Schwäbische Alb, vor allem am frühen Morgen.“ Seine Familie besucht er regelmäßig, wenn es die Zeit erlaubt, und geht dann auch in Kirchheim gerne mal einen Kaffee trinken.

Falls nun manch Kirchheimer frohlockt: Den vor 22 Jahren geschlossenen Engelhof wird er auch nach seiner Karriere nicht wieder eröffnen. „Mein heute 90-jähriger Vater hat entschieden, dass mein Bruder den Hof alleine erbt“, sagt Joachim Wissler. „Der Ort hätte Potenzial“, sagt der 59-Jährige mit einem Anflug von Bedauern in der Stimme. Aber Ideen für die Zeit nach der Sterneküche gibt es trotzdem: „Ich durfte viel erleben, die Arbeit hat mir viel gegeben. Deshalb wäre es an der Zeit, die Arbeit von den Händen in den Kopf zu übertragen: Etwa ein Buch zu schreiben, in dem es nicht nur ums Kochen, sondern auch um den Umgang mit Niederlagen geht. Wenn du etwas machst, was nicht Mainstream ist, kannst du nicht von allen Everybody’s Darling sein.“ Was ihn aber zunehmend beschäftigt, ist ein Konzept für eine klimaneutrale, gesunde und zukunftsorientierte Ernährung der Gesellschaft. „Es fehlt nur noch ein finanzstarkes Unternehmen zur Umsetzung“, sagt Joachim Wissler. Und viel Ausdauer, ließe sich hinzufügen.

Dass die ausreichend vorhanden ist, hat der Spitzenkoch von der Schwäbischen Alb mehrfach bewiesen.

 

Vita

Seine Ausbildung hat Joachim Wissler, Jahrgang 1963, in der „Traube Tonbach“ in Baiersbronn absolviert. Nach Stationen im Badischen wurde er als Küchenchef im Schloss Reinhartshausen in Erbach/Rheingau 1995 mit dem ersten Michelin-Stern ausgezeichnet.

Im Jahr 2000 wechselte Wissler ins Res­taurant Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg, wo er bereits nach einem Jahr den ersten, 2002 den zweiten und 2004 den dritten Stern erhielt. 2001 wählte „Der Feinschmecker“ das Vendôme zum „Restaurant des Jahres“. 2003 kürte der Gault Millau und 2004 „Der Feinschmecker“ Joachim Wissler zum Koch des Jahres. In den Jahren 2009, 2012 und 2015 wählten die 100 besten deutschen Köche Joachim Wissler zum „Koch der Köche“. 2017 belegte er Platz 1 der „Germany’s 50 Best Chefs“ und der „Best-of-the-Best-Awards“.

Im vergangenen Jahr kürten ihn die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Fine Food Days Cologne zum Koch des Jahres.