Lenninger Tal

Driften auf der Alb

Ärgernis Um ihrem Hobby zu frönen, nehmen Möchtegern-Rallyefahrer wenig Rücksicht auf die Natur. Sie fahren bevorzugt nachts über Wiesen und Äcker und verursachen landwirtschaftliche Schäden. Von Iris Häfner

Der Reussensteinparkplatz wird oft zum Driften missbraucht. Foto: Markus Brändli
Der Reussensteinparkplatz wird oft zum Driften missbraucht. Foto: Markus Brändli
Heinrich Rothfuß hat den zum Feuerkorb umfunktionierten Einkaufswagen auf sein Hofgut gebracht.Foto: Markus Brändli
Heinrich Rothfuß hat den zum Feuerkorb umfunktionierten Einkaufswagen auf sein Hofgut gebracht. Foto: Markus Brändli

Die Schwäbische Alb scheint für viele Menschen nichts anderes als ein großes Disneyland zu sein - freier Eintritt inklusive. Nichts wie raus und rauf auf die Alb. Diesem Drang geben viele nach, um der Enge in der Wohnung und dem Pandemiefrust zu entfliehen. Wer sich an die Regeln hält, ist willkommen. Schließlich wissen die „Älbler“ selbst am bes­ten, wie schön es direkt vor ihrer Haustür ist.

Doch leider vergessen manche, auf pures egoistisches Vergnügen gepolte Zeitgenossen, dass jeder Quadratzentimeter Land einen Eigentümer hat, die Flächen der Nahrungsmittelproduktion dienen. „Das scheint viele nicht zu interessieren - oder sie wissen es einfach nicht. Die Landwirtschaft hat keinen Stellenwert mehr, das ist echt traurig. Für den Durchschnittsbürger kommen die Lebensmittel anscheinend aus dem Supermarkt, wo und wie sie hergestellt werden, interessiert nicht“, sagt Roman Weiß, Bürgermeister in Erkenbrechtsweiler. Er ist sichtlich gefrustet. Seit Wochen bevölkern Heerscharen von Tagestouristen die Albhochfläche, die Einwohner sind ebenfalls genervt ob der Rücksichtslosigkeit mancher Ausflügler. Der Schnee hat die Lage verschärft.

Dazu kommt ein neuer Trend, an dem vor allem junge, männliche SUV-Fahrer beteiligt sind: Mit hochmotorisierten Geländewagen heizen sie über Wiesen und Äcker. Vor allem aber driften sie, das heißt, sie ziehen Kreise und hinterlassen dabei tiefe Spuren. Bevorzugte Aktivitätszeit, ­gerne im „Rudel“: nachts. „Um nach 20 Uhr unterwegs sein zu dürfen, braucht es einen triftigen Grund. Das passt gut zum Driften“, kalauert Roman Weiß mit Galgenhumor und sagt weiter: „Ein Jäger hat während der Ausgangssperre fünf Fahrzeuge gesehen. Deren Fahrer haben sich getroffen, um über die Wiesen zu fräsen.“ Die Entfernung sei jedoch zu groß gewesen, um die Kennzeichen erkennen zu können.

Besonders ärgerlich für die Landwirte ist es, wenn sich die Möchtegern-Rallyefahrer auf Äckern austoben. Auf vielen Flächen reift dort schon Wintergetreide heran. Zarte Pflänzchen trotzen der Kälte, um bei den ers­ten warmen Sonnenstrahlen im Frühjahr mit dem Wachstum gleich richtig loslegen zu können. Beim Driften werden sie aus dem Boden gerissen oder die Wurzeln zerstört. Der Schaden ist dann irreparabel, denn eine Nachsaat ist im Frühjahr nicht mehr möglich, der Ertrag für den Landwirt futsch.

Das Drift-Problem betrifft die ganze Albhochfläche. Auch am Messelberg bei Donzdorf zogen Vandalen ihre unübersehbaren Spuren, sie machten weder vor Äckern noch vor der Piste der Fliegergruppe Halt. Bei Böhmenkirch richteten Motocross-Maschinen auf mehreren Hektar Ackerfläche ebenfalls Schäden an. Die Polizei ermittelt, ist aber zurückhaltend bei der Berichterstattung, denn sie befürchtet Trittbrettfahrer. „Viele finden es cool und toll, über die gefrorenen und schneebedeckten Flächen zu fahren“, sagt Michael Schaal, Pressesprecher beim Polizeipräsidium Reutlingen, zu dem auch die Teck-Region gehört. Immerhin konnte am 6. Januar beim Parkplatz Reußenstein im Gewann Kohlhäusle jedoch ein 41-jähriger Porsche-Cayenne-Fahrer ausfindig gemacht werden, der um 16.30 Uhr über schneebedeckte Äcker und Wiesen gefahren ist. Für die Strafhöhe ist das Landratsamt zuständig, da es sich um eine Ordnungswidrigkeit entgegen naturschutzrechtlicher Vorschriften handelt. „In diesem Falle werden nach den naturschutzrechtlichen Vorschriften im Landkreis Göppingen je nach Ausmaß und Ort des Verstoßes bei Ersttätern Geldbußen von 50 bis 400 Euro verhängt. Hierbei werden im Landschaftsschutzgebiet oder gar im Naturschutzgebiet begangene Verstöße regelmäßig mit empfindlicheren Geldbußen, also eher in Richtung der genannten Obergrenze gehend, verfolgt“, erklärt Clarissa Weber von der Pressestelle.

„Für Bissingen und Ochsenwang sind uns derzeit keine gro­ßen Fälle bekannt und es liegen auch keine Beschwerden durch Jäger oder Landwirte vor“, erklärt Sarah Neckernuß vom Ordnungsamt im Bissinger Rathaus. Einzelfälle wurden in Schopfloch registriert, weiß Günter Kern, Hauptamtsleiter in Lenningen.

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Reußenstein-Parkplatz ist beliebter Treffpunkt - mit Feuerchen auf dem Asphalt

Manch absurde Situationen erlebt Heinrich Rothfuß vom Hofgut Reußenstein. Der Landwirt ist auch für den Winterdienst bei Wiesensteig zuständig. Bläsiberg und Ziegelhütte sind sein Revier. Während solch eines Räumdienstes hat er einen Fahrer beobachtet, der seine Runden am helllichten Tag auf seinen Wiesen drehte. Die Diskussion war wenig fruchtbar, der Angesprochene uneinsichtig, er fühlte sich im Recht. Schließlich sei er dienstlich unterwegs und würde den Werkswagen für einen Bericht testen. „Die Grasnarbe war kaputt“, musste Heinrich Rothfuß feststellen.

„Zweierlei Charaktere“ macht er bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus: diejenigen, die sich bei „Fridays for Future“ und somit für Umwelt und Klima engagieren, und solche, die das überhaupt nicht schert. Letztere hätten gerne gute Klamotten an und würden gute Autos fahren. „Die haben überhaupt keinen Bezug mehr zur Natur“, muss er feststellen. Nahezu jeden Abend würden sich 20 bis 30 Autofahrer auf dem Reußenstein-Parkplatz treffen. „Die haben mittlerweile ein ausgetüfteltes System. Sechs bis acht Autos stehen außen rum und beleuchten den Platz.

Beim Vollgas geben bleibt es nicht. „Es wird ausgemacht, wer driften darf“, erzählt der Landwirt. Außerdem werden sogar Lagerfeuer direkt auf dem Asphalt entzündet. Noch vor geraumer Zeit züngelten die Flammen in einem Einkaufswagen. Der wurde mittlerweile im nahen Wald entsorgt und steht jetzt bei Heinrich Rothfuß auf dem Hof. Vom hinterlassenen Müll will er gar nicht erst reden. „Die kommen auf immer noch bessere Ideen. Jetzt haben sie alle Schilder abgeschraubt, sie müssen gute Schraubenschlüssel gehabt haben“, sagt er sarkastisch.

Die Schäden auf dem Parkplatz und insbesondere auf den angrenzenden Flurstücken wird das Frühjahr zeigen. „Es ist äußerst schwierig, ein vernünftiges Gespräch zu führen - es ist enttäuschend. Die sehen nur ihre eigenen Belange und ihr Vergnügen“, resigniert Heinrich Rothfuß. Die Einflussmöglichkeiten seien gering. Viele Anzeigen würden wegen Geringfügigkeit eingestellt oder erst gar nicht eingeleitet. Eine unbefriedigende Situation - nicht nur für Heinrich Rothfuß. Gegen 19 Uhr werde es jetzt wegen der Ausgangssperre immerhin ruhig. ih