Lenninger Tal

Ein Kleid mit Signalwirkung

Zeitgeschehen Frida Rothe war und ist am Puls der Zeit. Mit ihrer Kleiderwahl zur Abiturfeier hat sie ein Zeichen gesetzt, das bei der Landesausstellung noch bis Ende Juni zu bewundern ist. Von Iris Häfner

Frida Rothe war Pfarrerin in Schopfloch und Gutenberg und immer offen für fremde Kulturen. Ihr rotes Kleid, das sie einst zur Ab
Frida Rothe war Pfarrerin in Schopfloch und Gutenberg und immer offen für fremde Kulturen. Ihr rotes Kleid, das sie einst zur Abiturfeier getragen hat, ist heute noch ein Hingucker. Fotos: privat und Carsten Riedl

Es ist einfach ein Hingucker, an dem kein Besucher der 68er-Ausstellung im Stuttgarter Haus der Geschichte vorbeikommt: das rote Kleid von Frida Rothe. Diese Kleiderwahl zum Abi-Ball 1972 war ein Statement seiner jungen Trägerin, und so schaffte der markante Stoff die Aufnahmeprüfung zur großen Landesausstellung mit Bravour. Diese Karriere zu verdanken hat das gute Stück der Schwester von Frida Rothe. Die hatte im Landwirtschaftlichen Wochenblatt einen Artikel gelesen, in dem nach Kleidern aus den 60er- und 70er-Jahren für die Ausstellung gesucht wurde. Sie erinnerte sich an den Hingucker von damals und gab der Schwester die Telefonnummer weiter.

Frida vom Dorf macht Abitur

Frida Rothe ist Jahrgang 1952, war im legendären Jahr also 16 Jahre alt. Im Lenninger Tal ist sie keine Unbekannte: Von 2009 bis vergangenes Jahr war sie Pfarrerin in Schopfloch und Gutenberg. Aufgewachsen ist sie in dem kleinen, gerade mal 300 Einwohner zählenden Dorf Oberkollwangen bei Bad Teinach im Nordschwarzwald. Die Schule war einklassig, das heißt, die Klassen eins bis neun wurden gemeinsam unterrichtet. „Ich kam erst 1964 und damit recht spät aufs Gymnasium nach Calw“, erzählt Frida Rothe. Zu verdanken hatte sie dies der Initiative ihrer Lehrer. „In einer dörflichen Familie ging man nicht aufs Gymnasium. Ich musste gegen viele Vorurteile kämpfen“, sagt sie. Am Ende hat sie sich durchgesetzt. „Ich wollte aus der Enge des Ortes und dieser dörflichen Welt raus“, nennt sie ihre Motivation. Inspiriert dazu haben sie Praktikantinnen an der Schule, sie waren ein Stück weit Vorbild - und so war sie die Erste in ihrer Familie, die Abitur gemacht hat.

Das Kleid für die Feier hat sie allein in Calw gekauft. „Das rote Kleid hat mir recht schnell gut gefallen. 100 Mark habe ich dafür von meiner Oma bekommen, doch das hat nicht ganz gereicht. Für meine Verhältnisse war das ein sehr teures Kleid“, erzählt Frieda Rothe. Der Tag bleibt ihr in Erinnerung: Ihre Oma ist an diesem Tag gestorben. „Sie hätte sich empört, wenn sie es gesehen hätte“, ist sie sich sicher. Aber Frida Rothe war eigenständig und auf ihre Art aufsässig. „Ich wollte mich absetzen aus der Welt, aus der ich kam. Ich habe viel über Bord geworfen, was ich nicht eingesehen habe“, sagt sie. Das rote Kleid hatte für sie ganz klar Signalwirkung. „Es dokumentierte ihren Mut, ein neues Leben zu beginnen und das ländliche Umfeld für ein Universitätsstudium zu verlassen“, heißt es dazu im Ausstellungskatalog, in dem sie auf einem Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1972 zu sehen ist.

„Ich war aber nicht eine Vorreiterin der Studentenrevolution“, sagt Frida Rothe. Die Proteste in Heidelberg, die der damalige Kultusminister Wilhelm Hahn (CDU) auslöste, erlebte sie jedoch mit. Im Dezember 1972 ließ Hahn die Heidelberger Uni von rund 1 100 Polizisten komplett absperren. So verhinderte er eine Veranstaltung mit dem Psychologieprofessor Peter Brückner aus Hannover, der im Verdacht stand, die RAF zu unterstützen. Gegen das neue Hochschulgesetz hat Frida Rothe in Stuttgart demonstriert. „Das politische Bewusstsein war meiner Generation eingeimpft. Wir wollten noch die Welt verändern - und die Kirche. Wir sind eine aussterbende Spezies“, sagt Frida Rothe.

Eine aussterbende Spezies

Musik war diesen Jahrgängen wichtig. Das wird in der Ausstellung ebenfalls thematisiert. Frida Rothe war nicht festgelegt: „Mittwochs war Hitparaden-Zeit. Ich habe alles querbeet gehört: Schnulzen mit Drafi Deutscher und Roy Black, Peter Alexander, aber auch Cliff Richard, Tom Jones mit seiner Delilah - und natürlich die Beatles.“ Die Platten-Singles hat sie heute noch. Studiert hat sie in Heidelberg, Erlangen und Tübingen. „Die Theologie-Lehre hat mich interessiert, auch die alten Sprachen. Pfarrerin wollte ich zu der Zeit nicht werden - ich wollte doch nicht jeden Sonntag die Leute mit einer Predigt langweilen“, erinnert sie sich. Slawistik und Theologie ging in dieser Kombination jedoch nicht als Lehramtsstudium, deshalb entschied sie sich für Germanistik. „Ich saß aber immer zusätzlich in theologischen Vorlesungen“, erzählt sie. Irgendwann entschied sie sich aber für den Wechsel. In Erlangen gab es einen Lehrstuhl für Theologie und Geschichte des christlichen Ostens, das interessierte sie. Später studierte sie in Tübingen dann altrussische Geschichte.

Im Laufe der Zeit wurde ihr bewusst, dass die Gemeindearbeit ihr Freude macht, und so fand sie sich als Vikarin in Zuffenhausen wieder. Doch dann lockte der Nahe Osten, weshalb sie sich beurlauben ließ und nach Beirut im Libanon zog. „Als im Juni 1982 die Israelis in den Bürgerkrieg eingriffen, war dort aber kein Studium mehr möglich“, erzählt Frida Rothe. Im folgenden Jahr hat sie ihren Mann Heinrich Georg Rothe geheiratet, der ebenfalls Pfarrer und zwischenzeitlich unter anderem Islambeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist. Für die Jungvermählten folgte eine spannende Zeit in Jerusalem und Ramallah im Westjordanland. Als die Kinder kamen, war Frida Rothe in Deutschland wieder im Pfarramt tätig, da ihr Mann nochmals studierte. Wann immer es möglich war, ging es Richtung Naher Osten. „Mit einem alten Audi sind wir zum Bischof der Syrisch-Orthodoxen Kirche gefahren. Die Südosttürkei ist das Kernland der Christen“, sagt Frida Rothe. Manche Freundschaft hat bis heute gehalten. Vor wenigen Wochen war sie bei einer traditionellen Hochzeit - und erfüllt mit tollen Eindrücken wieder zurückgekehrt.

 

Info Noch bis zum 24. Juni ist die Ausstellung „. . . denn die Zeiten ändern sich - Die 60er-Jahre in Baden-Württemberg“ im Haus der Geschichte in Stuttgart im Untergeschoss zu sehen.

Frau Rothe Plochingen Schopfloch Gutenberg Pfarrerin 68er
Frau Rothe Plochingen Schopfloch Gutenberg Pfarrerin 68er
Frau Rothe Plochingen Schopfloch Gutenberg Pfarrerin 68er
Frau Rothe Plochingen Schopfloch Gutenberg Pfarrerin 68er