Lenninger Tal

Flüchtlingsdrama bekommt ein Gesicht

Gambier berichten Lenninger Realschülern von ihrer riskanten Reise ins Ungewisse

Schüler für das Thema Flucht zu sensibilisieren, war das Ziel einer zweiwöchigen Unterrichtseinheit von Acht- bis Zehntklässlern, die an der Lenninger Realschule den bilingualen Zug gewählt haben. Zum Abschluss des Schwerpunktthemas bekamen sie Besuch von zwei Flüchtlingen aus Gambia.

Samsudeen Kebbeh (links) und Yusupha Gomez erzählen Lenninger Realschülern vom Leben in Gambia und ihrer Flucht nach Deutschland
Samsudeen Kebbeh (links) und Yusupha Gomez erzählen Lenninger Realschülern vom Leben in Gambia und ihrer Flucht nach Deutschland. Mit 20 anderen Asylbewerbern wohnen die beiden Flüchtlinge derzeit in Ochsenwang.Foto: Deniz Calagan

Lenningen. „Habt ihr Kontakt zu eurer Familie?“, will ein Zehntklässler von den beiden Flüchtlingen aus Gambia wissen. Samsudeen Kebbeh, den alle kurz Sam nennen, und Yusupha Gomez ziehen ihre Smartphones aus der Tasche. „Mobile is so important“, betont Sam. „Es ist so wichtig, um Kontakt zur Familie zu halten“, sagt er auf Englisch, und er erzählt, dass er seinen dritten Sohn aufgrund der Flucht noch kein einziges Mal gesehen hat. „Manchmal ist es schwer, zu schlafen, weil meine Gedanken immer bei meiner Familie sind“, sagt er. Die Bilder aus dem Fernsehen über Flüchtlingsströme im Hinterkopf, erfahren die Schüler in dieser Unterrichtsstunde aus erster Hand, was Asylbewerber durchmachen, bis sie eine Bleibe gefunden haben. Für die Realschüler bekommt das Flüchtlingsdrama damit ein Gesicht.

Beide Flüchtlinge sahen für sich keine andere Lösung, als vor dem diktatorischen Regime ihrer Heimat zu fliehen. „Es gibt in Gambia keine Demokratie, keine Freiheit, keine Gewaltenteilung und es herrscht Korruption“, erklärt Sam Kebbeh. Viele Menschen verließen das westafrikanische Land, weil Folter und Verhaftungen an der Tagesordnung seien. Die Jugendarbeitslosigkeit liege bei 75 Prozent.

Nur mit einer kleinen Wasserflasche ausgerüstet, hatten die 34- beziehungsweise 24-jährigen Männer die Reise ins Ungewisse angetreten. Senegal, Burkina Faso und Niger lauteten unter anderem Etappen der Flucht, auf der sie teilweise mit 50 Leuten auf einem Pick-up unterwegs waren. Drei Monate saß Yusupha Gomez in Libyen im Gefängnis. Mit 500 Leuten zusammengepfercht, erreichte der Nichtschwimmer schließlich per Schlauchboot die italienische Insel Lampedusa. Weiter führte ihn die Flucht über die Schweiz und Freiburg in die Landeserstaufnahmestelle nach Karlsruhe, bevor er in Ochsenwang untergebracht wurde.

„Wir haben dort viele Freunde. Die Leute sind alle sehr nett. Trotzdem ist man da oben manchmal ein bisschen einsam“, sagt Sam Kebbeh. Dürfte er bleiben, würde er in Deutschland gerne wieder in seinem Beruf als Agraringenieur arbeiten. Wie Yusupha Gomez erzählt, ist das wöchentliche Highlight für ihn derzeit das montägliche Fußballspielen in Bissingen. Obwohl er neben Gambias Landessprache Englisch noch weitere nationale Sprachen beherrscht, fällt es ihm aufgrund der Artikel und der Aussprache nicht leicht, Deutsch zu lernen. Näheres wollen die Zehntklässler auch zum Schulsystem in Gambia und zu den Essgewohnheiten wissen.

Dass es den beiden Flüchtlingen nicht leichtgefallen ist, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, wird deutlich bei der Antwort auf die Frage, ob sie zurückgehen würden, wäre die politische Situation in Gambia eine andere. Sam Kebbeh und Yusupha Gomez müssen nicht lange überlegen: Ihnen kommt ein einhelliges „Ja“ über die Lippen.

„Die reale Begegnung hat viel ausgelöst“

„Wir wollten den Jugendlichen die Probleme von Asylbewerbern bewusst machen“, erklärt Alexander Tomisch, der in der Klasse 10 b an der Lenninger Realschule Englisch, Geschichte und EWG unterrichtet. Auch in den bilingualen Klassen 8 b und 9 b beleuchtete der Lehrer zwei Wochen lang das Thema Flüchtlinge. Der Besuch der beiden Englisch sprechenden Flüchtlinge aus Ochsenwang bildete den Schlusspunkt der Unterrichtseinheit. Hergestellt wurde der Kontakt über Tomischs Kollegin Judith Oelkrug. „Die reale Begegnung mit den Flüchtlingen hat viel in den Schülern ausgelöst“, meinte der Lehrer im Anschluss an den Unterrichtsbesuch von Samsudeen Kebbeh und Yusupha Gomez. „Wir müssen den Leuten helfen“, so die einhellige Meinung der Schüler.ank