Lenninger Tal

Gehen, bis die Fußsohlen qualmen

Weitwanderung Touren mit einer Länge von mehr als 50 Kilometern haben es in sich. Trotz der Erschöpfung empfinden die Teilnehmer pures Glück, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Von Anke Kirsammer

Lange Distanzen schrecken die Weitwanderer nicht. Die Gruppe nimmt sich auch Zeit, um lohnenswerte Punkte wie den Turm „Hursch“
Lange Distanzen schrecken die Weitwanderer nicht. Foto: Anke Kirsammer

Auch wenn die Fußsohlen brennen, jeder Schritt bis in die Hüfte schmerzt und sich die Strapazen des Tages in tiefen Furchen im salzverkrusteten Gesicht eingegraben haben: Überglücklich liegen sich die Teilnehmer der „50+x“-Kilometer-Tour am Abend in den Armen. Was andere zu Marathonleistungen auf dem Fahrrad anspornt, heizt die Weitwanderer jedes Mal aufs Neue an: Es geht darum, den inneren Schweinehund zu überwinden und sich zu beweisen, dass man an einem Tag eine Strecke bewältigt, für die sich Otto-Normalbürger ins Auto setzen. Sibylle Schmid-Raichle überlegt nicht lange, was sie an den Touren fasziniert: „Wenn man‘s geschafft hat. Yeah!!“, so bricht es aus ihr heraus, und sie strahlt dabei über beide Backen.

Zum zehnten Mal hat die Gebietsdirektorin der Sparkassenversicherung für Kunden eine „50+x“-Wanderung angeboten. Viele nehmen die Herausforderung nicht zum ersten Mal an, so wie Birgit Laubscher. „Das Miteinander ist super. Es ist einfach ein total tolles Gefühl, wenn man es gepackt hat. Zweimal in der Woche läuft sie zum Brucker oder zum Gelben Fels. Das genügt ihr als Training. Andere, wie Andrea und Ulrich Raichle, absolvieren im Vorfeld längere und anspruchsvollere Touren. Sieben der insgesamt zehn Tausender der Schwäbischen Alb unweit von Spaichingen haben sie wenige Wochen zuvor an einem Tag unter ihre Füße genommen.

Dass die gut 50 Kilometer wieder machbar sind, bezweifelt unter den „alten Hasen“ keiner. Die Stimmung kurz vor 5 Uhr am Owener Bahnhof ist locker. Nur die Frage, ob Petrus der Wandergruppe wohlgesonnen ist, drängt sich beim Blick auf die Wetter-App auf: „Ich bin oben Optimist“, sagt Hermann Barner, lüftet seinen Strohhut, „und hinten Pessimist“. Dass er seinen Rucksack vorsorglich mit einer Regenhülle überzogen hat, zahlt sich am Nachmittag aus, als der Himmel seine Schleusen öffnet und nicht mehr klar ist, ob die Klamotten durch den unablässig rinnenden Schweiß oder die Nässe von oben durchtränkt sind. „Heba“, wie alle in der Gruppe den 64-Jährigen nennen, bezeichnet sich als „Wegzeiger“, auf ihn und sein Wander-Navi ist Verlass. Vor gut 30 Jahren hat er mit dem CVJM seine ersten Weitwanderungen gemacht. Anfangs mit einer Handvoll Leuten. „Dann wurde das Interesse so groß, dass wir jede Tour dreimal anbieten mussten“, sagt er schmunzelnd. Er selbst schätzt, dass er bereits 60 Mal die Wanderschuhe für eine dieser Mammutstrecken geschnürt hat.

Die ersten Stunden sind Genuss pur: Außer dem munteren Stimmengewirr der Wanderer ist nur das Gezwitscher der Vögel in den Streuobstwiesen zu hören. Den steilen Anstieg zum Hohenbol belohnt eine atemberaubende Kulisse: Der Horizont hebt sich in zartem Rosa von der Bassgeige ab. Auch Wanderer, die vermeintlich jeden Meter auf der Alb kennen, werden auf der Tour überrascht: Unweit des Engelhofs öffnet sich der Blick auf die Teck, die in der aufgehenden Sonne in feuriges Orange getaucht ist. „Boah, das ist ja heiß. So habe ich die Teck noch nie gesehen“, entfährt es einem Teilnehmer. Trotz des ehrgeizigen Tagesziels: Ausgiebig nimmt sich die Gruppe Zeit, um an lohnenswerten Punkten halt zu machen und die Aussicht zu genießen, vom Römerstein oder dem Turm „Hursch“ auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz etwa - obwohl die Muskeln in den Oberschenkeln bei jeder Stufe ziehen, weil sie heute schon genug geleistet haben. Genau deshalb hat es diese Tour besonders in sich: Denn auf den gut 50 Kilometern sind rund 1200 Höhenmeter zu bewältigen. „Das ist unser Rekord“, sagt Sibylle Schmid-Raichle. Ließ sich die Gruppe sonst mit dem Bus an Ausgangspunkte wie zur Wurmlinger Kapelle oder zum Max-Eyth-See nach Stuttgart fahren, betritt sie mit der Idee, Start und Ziel nach Owen zu legen, Neuland.

Regelmäßig werden die notwendigen „Tankstopps“ eingelegt. Ein besonderer Service ist das Begleitfahrzeug, mit dem Roland und Christel Schmid alle anderthalb bis zwei Stunden auftauchen. Trinkflaschen können nachgefüllt und Schuhe gewechselt werden. Nüsse und andere Energiespender machen die Runde.

Nach dem ausgiebigen Mittagessen fällt es vielen besonders schwer, wieder in die Gänge zu kommen. Doch mit 33 Kilometern in den Beinen, liegt das „Bergfest“ längst hinter ihnen. Von jetzt an geht es überwiegend abwärts. Regengüsse, Nebel und schmierige Wege fordern nun Durchhaltevermögen mentaler Art. Aber auch davon lässt sich das Gros der Teilnehmer nicht schrecken.

Erst nach 20 Uhr ist Owen wieder erreicht. „Die Alb hat heute alles gezeigt, was sie in sich hat“, sagt Ulrich Raichle, nachdem er wie die übrigen Wanderer beim gemütlichen Ausklang wieder einigermaßen zu Kräften gekommen ist. „Ich bin mega zufrieden mit dem, was ich geschafft habe.“ Dass sie bei der nächsten Auflage von „50+x“ erneut dabei sind, versteht sich für die meisten von selbst. Obwohl: Die müden Knochen von Ulrich Raichle wären auch mit weniger zufrieden: „Heba, mein Vorschlag wären ,40+x‘.“

Lange Distanzen schrecken die Weitwanderer nicht. Die Gruppe nimmt sich auch Zeit, um lohnenswerte Punkte wie den Turm „Hursch“
"Wegzeiger" Hermann Barner hat dank Wander-Navi und Streckenplan alles im Griff. Foto: Anke Kirsammer
Die Gruppe nimmt sich auch für lohnende Aussichtspunkte Zeit, wie etwa den Turm "Hursch" auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in Münsingen. Foto: Anke Kirsammer

„Oft ist es reine Kopfsache“

Dr. Richard Warth
Dr. Richard Warth. Foto: Jean-Luc Jacques

Dr. Richard Warth, lange Jahre als Allgemeinmediziner in Owen tätig, hat selbst bereits an mehreren Weitwanderungen teilgenommen. Der 71-Jährige gibt Tipps, wie man auch lange Strecken zu Fuß gut bewältigt.

Ist es prinzipiell ratsam, an einem Tag 50 Kilometer oder noch mehr zu wandern?

Dr. Richard Warth: Das kommt auf den Gesundheits- und den Trainingszustand an. Solche Strecken schlauchen doch ziemlich. Man muss es gewöhnt sein, durchzuhalten.

Welchen Rat haben Sie für die Vorbereitung?

Warth: Man sollte in jedem Fall die Ausdauer trainieren. Ich hatte neben meiner Praxis nicht so viel Zeit. Deshalb bin ich jedes Wochenende von Owen auf die Teck gelaufen. An einem Tag auch zweimal.

Wie viel Liter sollte man trinken?

Das kommt ganz auf das Wetter an. Drei Liter als Minimum für so einen Tag sind jedoch eine Faustregel.

Was eignet sich als Vesper und in welchen Abständen würden Sie eine Rast einlegen?

Ich würde mich vom Hungerfühl leiten lassen. Ratsam ist eine gesunde Mischkost. Bevorzugt werden sollten leichte Sachen, die nicht zu lange im Magen liegen. Wenn man total schlapp ist, sollte man zu süßen Riegeln greifen. Damit kommt man schnell wieder zu Kräften.

Wichtig sind sicher auch die Kleidung und die Schuhe. Worauf sollten Teilnehmer Wert legen?

Empfehlenswert ist Funktionskleidung, die den Schweiß abtransportiert. Bei den Schuhen ist es ganz wichtig, dass sie gut eingelaufen sind und dass man durch die Socken eine gute Polsterung hat. Wer beispielsweise Senk-/Spreizfüße hat, sollte sich unbedingt optimal sitzende Einlagen anpassen lassen. Das macht enorm viel aus und mindert Muskelschmerzen.

Dass die Füße und die Gelenke irgendwann schmerzen, lässt sich wohl dennoch kaum vermeiden. Wann würden Sie jedoch raten, die Tour abzubrechen?

Es ist sicher nicht ratsam, mehrere Schmerzmittel zu nehmen, nur um durchzuhalten. Ganz wichtig ist, Blasenpflaster einzupacken. Manchmal schmerzen die Muskeln, sobald man sich hinsetzt. Nach ein paar Schritten geht es wieder. Oft ist es reine Kopfsache und eine Frage der Motivation, ob man eine so lange Strecke schafft oder nicht. ank