Lenninger Tal

„Ich war seither in keinem Zug mehr“

Verhandlung Nach einem brutalen Angriff auf einen Lokführer in Oberlenningen wurde der 31-jährige Gewalttäter zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt und muss Schmerzensgeld zahlen. Von Henrik Sauer

Noch heute belasten den 51-jährigen Zugführer die Erlebnisse in der Teckbahn.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques
Noch heute belasten den 51-jährigen Zugführer die Erlebnisse in der Teckbahn.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Den 25. September dieses Jahres wird ein 51-jähriger Triebwagenführer nicht mehr vergessen. Um 5.17 Uhr fuhr er in Kirchheim los nach Lenningen. Bis zum Bahnhof Dettingen war noch alles in Ordnung, erzählte er am Montag vor Gericht. Doch dann vernahm er plötzlich hinter sich wütendes Geschrei. Ein junger Mann trommelte an die Tür des Führerstands und rief, er solle anhalten und ihn rauslassen. Es folgten wüste Beleidigungen und Bedrohungen.

An der Endstation in Oberlenningen eskaliert die Situation. Als der Lokführer den Führerstand verlässt, folgt ihm der Mann. Er versucht, ihn an der Schulter festzuhalten. Der Lokführer fordert ihn auf, loszulassen. Vor dem Führerstand am anderen Ende des Zuges dann bekommt er von hinten einen Schlag ans Jochbein. Er taumelt und fällt zu Boden. Ein bis zwei weitere Faustschläge habe er gespürt, berichtet er, dann kamen Fußtritte. „Ich hatte große Angst“, sagt er. Als der Schläger von ihm ablässt, schleppt er sich ins Führerhaus, um nach Hilfe zu telefonieren.

Der Lokführer erleidet schwere Verletzungen. Das schlimme Erlebnis jenes Morgens belastet ihn noch heute psychisch. Er könne nicht mehr richtig schlafen, noch immer ist er krank geschrieben. Dass er wieder als Lokführer arbeitet, kann er sich momentan nicht vorstellen: „Ich war seither in keinem Zug mehr.“

Mann gibt die Tat zu

Der Angeklagte ist geständig. Die Schläge und Tritte gegen den Lokführer räumt er ein. Nach der Arbeit sei er in der Nacht davor ab etwa 23.30 Uhr mit ein paar Kumpels in Kirchheim zusammen gewesen. Dort habe er Alkohol getrunken: ein „paar Kurze“ und eine Flasche Rotwein. Angetrunken sei er gewesen, aber „noch nicht weg vom Fenster“, sagte er auf Nachfrage von Richter Alexander Brost. Gegen 5 Uhr in der Früh machte er sich auf den Heimweg nach Dettingen. Er nahm den besagten Zug. Doch in Dettingen habe er den Ausstieg verpasst. Warum, das wisse er nicht mehr genau. Doch dass er nun mit dem Zug weiter- und wieder zurückfahren musste, darüber habe er sich aufgeregt, sagt er.

Dass er so ausgerastet sei, könne er sich nicht erklären: „Eigentlich bin ich kein aggressiver Mensch.“ Den Alkoholkonsum wolle er keinesfalls als Strafminderungsgrund anführen, erklärte sein Anwalt. Der 31-Jährige hat sich mit einem Brief bei seinem Opfer entschuldigt.

Sein Lebensweg verlief nicht immer geradlinig. Nach dem Hauptschulabschluss hatte er verschiedene Jobs gehabt, dann machte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Nach einer weiteren Stelle und kurzer Arbeitslosigkeit arbeitete er zuletzt in einem Döner-Laden. Dort könne er, wenn er aus dem Gefängnis komme, sofort wieder anfangen. Dort sieht er auch seine berufliche Zukunft.

Der Angeklagte saß bis zur gestrigen Verhandlung einen Monat lang in Untersuchungshaft. Sich nach dem Vorfall bei der Polizei zu stellen, daran habe er nicht gedacht. Ende Oktober war es der Polizei gelungen, ihn als mutmaßlichen Täter zu ermitteln.

Der Oberstaatsanwalt sprach in seinem Plädoyer von einem Horror-Erlebnis für den Lokführer, das bis heute nachwirke. Dieses habe das Leben des Betroffenen grundlegend verändert. Seinem Traumberuf werde er vermutlich nicht mehr nachgehen können. Was den Angeklagten betreffe, lasse ihn so manches in dessen Biografie zweifeln, ob der Gewaltausbruch einmalig gewesen sei: Sei dieser doch schon in der Schule verhaltensauffällig gewesen, auch fänden sich eine Körperverletzung und Sachbeschädigungen in seinen Akten - vorbestraft ist er indes nicht. „Sie haben in Ihrem Leben Probleme mit Gewalt“, sagte der Oberstaatsanwalt.

Trotz dieser Bedenken sprach sich der Oberstaatsanwalt dafür aus, eine Gefängnisstrafe zur Bewährung auszusetzen. Positiv bewertete er zum einen das Geständnis, zum anderen, dass der Angeklagte Schritte unternommen habe, sein Leben zu ordnen. Auch eine bereits erfolgte Zahlung eines Schmerzensgelds an den Betroffenen von 3 000 Euro sei zu berücksichtigen. Er forderte ein Jahr und sechs Monate Haft auf Bewährung und die Zahlung von weiteren 6 000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer.

So kam Richter Alexander Brost rasch zu einem Urteil. Er verurteilte den 31-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung zu der vom Oberstaatsanwalt beantragten Strafe. Brost sprach von einer „Brutalität, die ihresgleichen sucht“. Er habe den Angeklagten nach dem ersten Aktenstudium „ganz weit weg gesehen von einer Bewährungsstrafe“, sagte er. Nach Abwägung der Argumente halte er die Strafe aber für tat- und schuldangemessen: „Ich denke, man kann eine günstige Prognose stellen.“ Er warnte den Angeklagten eindringlich, nicht gegen die Bewährungsauflagen zu verstoßen: Noch mal könne er keine Milde erwarten. An den Lokführer gewandt sagte Brost: „Manchmal ist eine Strafe zur Bewährung für das Opfer einträglicher als Haft.“