Lenninger Tal

König Oswald mit dem Raben

Der 500 Jahre alte Owener Flügelaltar erinnert an den Vorkämpfer der iroschottischen Mission

Der heilige Oswald, König von Northumbrien, schmückt den Flügelaltar in der Owener Marienkirche. Fotos: Jean-Luc Jacques
Der heilige Oswald, König von Northumbrien, schmückt den Flügelaltar in der Owener Marienkirche. Fotos: Jean-Luc Jacques

Owen. „Oswaldtag muss trocken sein, sonst werden teuer Korn und Wein“ – galt in kühl-feuchteren Zeiten. Mitten in der Erntezeit fiel der junge König Oswald im Kampf gegen

einen heidnischen Fürsten. Er war der Herrscher von Northumbrien, einst ein Kleinkönigreich zwischen Nordostengland und Schottland. Er starb am 5. August 642, also in einer Zeit der Eroberer des Inselreiches, vieler Sagen und Legenden. Der vaterlose Knabe Oswald war bei schottischen Mönchen aufgewachsen. Als junger Regent sorgte er mit Kirchen- und Klostergründungen für die Erneuerung des Christentums.

Das ökumenische Heiligenlexikon weiß von seinen Wohltaten für die Armen und von Fürbitte zu ihm bei Unwetter und Pest. Denn der „Schwarze Tod“ zog im 14. und 15.  Jahrhundert erbarmungslos durch Europa. Als einer der vierzehn Nothelfer wird er in vielen Gegenden verehrt: von England bis Ungarn, von Bayern bis Basel, von der Steiermark bis Südtirol.

Wer kennt hierzulande noch König Oswald mit dem Raben? Vor einem halben Jahrtausend erinnerten sich die

Verklärende Ruhe und Bilderglanz

Geistlichkeit, Gebieter und Gläubige weit zurück bis zu den Anfängen der Christianisierung durch die iroschottischen Missionare – auch im „wirtembergisch lanndt ain gut Lanndt mit Wein und Kornn . . . dabey Awen ain statt dabey an der lautter gelegen“, wie Kaiser Maximilians Hofkaplan nach Wien berichtete. Um 1500 blühte eine Frömmigkeit auf in Kirchen, Kapellen und Wallfahrtsorten mit Chorgestühlen, Malereien und Flügelaltären. Die meisten Menschen konnten weder lesen noch schreiben. Deshalb waren diese Darstellungen Andachtsbilder. In Zeiten großer Not wandte sich das Volk an ihre Schutzpatrone. Sie ließen sich ermutigen durch Legenden von „siegreichen Glaubensstreitern“ der frühen Christenheit. Verklärende Ruhe und Bilderglanz mögen die einfachen, geplagten Menschen getröstet haben. Der Goldhimmel dieser Altäre verhieß ewiges Seelenheil. Es war die Epoche des Umbruchs, Aufbruchs vor der Reformation, vor den Bauernkriegen.

Der heilige Oswald – der Erneuerer des Christentums, ein Vorbote der iroschottischen Missionare! Auf der linken Tür des Owener Flügelaltars steht dieser englische König in seiner edlen Würde und lebendigen Farbigkeit. Kontrastreich zu dem jenseitigen Goldbrokat des Hintergrundes und seiner Aureole leuchten die irdenen Farben Ziegelrot, Olivgrün und Bräunlich warm auf. Faszinierend sein Blick – ernst und doch gütig, wach und weise, fragend und doch wissend. In der linken Hand hält er sein langes Zepter, als wolle er ein Streichinstrument spielen. Die Rechte umfasst einen goldenen Doppelpokal, auf dem der Rabe mit einem Ring im Schnabel steht.

Schottische Mönche brachten seine Legende nach Deutschland. Bei der Königssalbung habe das Chrisam­öl gefehlt und ein Rabe habe es in diesem wertvollen Gefäß aus Rom eingeflogen. Der Ring im Schnabel des Raben erinnert an Oswalds legendäre Brautwerbung um Pia, die Tochter des heidnischen Königs von Wessex. Dieser bekehrte sich nach der Hochzeit zum Christentum ,wie auch andere Gebieter im Inselreich durch König Oswald. Der kluge Rabe blieb treuer Begleiter und Botschafter des Königs. Erinnert diese Legende nicht an den Propheten Elia, der in der Wüste durch Raben auf wundersame Weise ernährt wurde?

Die Geschichten um König Oswald sind wohl tausend Jahre lang erzählt worden. Conrad Weis, der Maler des Nürtinger Marienaltars mit seinem Monogramm C.W. 1516, ist nach Ansicht der Kunstexperten und Restauratoren auch der Maler des Owener Flügelaltars. Dieser Künstler in der Tradition der spätgotischen Maler wusste um die traditionsreichen Legenden und Insignien der Heiligen. Auf der Sonn- und Festtagsseite des Owener Altars ist Lucia neben König Oswald dargestellt; sie lebte in Syrakus. Die Heimat des heiligen Matthäus war Äthiopien. Ottilie war im Elsass die Schutzpatronin der Blinden. Bartholomäus missionierte in Asien. Die heilige Barbara stammte aus Rom. Die dargestellten Märtyrer sind edel gekleidete Gestalten – ganz im Stile des 16. Jahrhunderts. Sie umrahmen das Hauptbild im Mittelteil, die Beweinung Christi.

Europaweit waren Leben und Legenden durch die Bilderpredigten und einer Erzähltradition den Gläubigen vertraut. Die Stifter des Owener Flügelaltars sind nicht bekannt; die Predella, der Unterbau, und die Bekrönung fehlen. Doch Bilderstürmer wie anderenorts gab es in der ehemaligen Dekanatsstadt nicht. Das Triptychon kann dem heutigen Betrachter jene Zeit erhellen, in der Volksfrömmigkeit und erwachendes Rechtsgefühl in die umwälzende Epoche der Neuzeit mündete. So kann Owen den 500. Geburtstag des Juwels im Chor der Marienkirche zwar nicht exakt benennen, wohl aber neu betrachten angesichts der 500. Wiederkehr von Luthers Thesenanschlag, ökumenischer Hoffnungen und kirchlicher Europapolitik.

Marienkirche in Owen
Marienkirche in Owen