Lenninger Tal

"Kreise brauchen Rettungsschirm“

Politik Der Esslinger Landrat Heinz Eininger spricht im Interview über die Corona-Pandemie, die daraus entstehenden finanziellen Folgen und lokale Busunternehmen. Von Roland Kurz und Thomas Schorradt

Landrat Heinz Eininger ist stolzauf das deutsche Gesundheitssystem.Außerdem steht er zurEntscheidung, dass eine Notklinikin den Messehallen am Flughafen (kleines Bild) eingerichtet worden war. Foto: Tom Weller

Die Pandemie ist, so sagt Landrat Heinz Eininger, „unter Kontrolle, aber noch nicht vorbei“. Derzeit hat der Landkreis Esslingen noch ein bis zwei neue Fälle pro Tag. Vorbei sei die Sache erst, wenn es einen Impfstoff gebe, betont der Landrat. Auch die Arbeit der Landesregierung lobt er grundsätzlich. Allerdings erwartet er nun vom Land, dass es dem Landkreis die Ausgaben komplett erstattet, zum Beispiel für die Notklinik auf der Landesmesse.

 

Im Rückblick betrachtet: Welche Maßnahmen der Kreisverwaltung haben sich als richtig erwiesen und wo hätte es besser laufen können?

Heinz Eininger: Entscheidend war, wie unglaublich schnell wir mit den Coronaabstrichzentren (CAZ) die Lage beurteilen und die infizierten Menschen ermitteln konnten. Als großer Vorteil hat sich auch erwiesen, dass das Gesundheitsamt im Ordnungsdezernat integriert ist. Die 45 Beschäftigten im Gesundheitsamt hätten die Arbeit niemals allein stemmen können. Wir haben kurzfristig 30 Mitarbeiter dem Gesundheitsamt zugeteilt. Insgesamt waren mehr als 200 Mitarbeiter des Landratsamtes in der Bekämpfung der Pandemie beschäftigt, mit Bürger-Hotline, einer Hotline für Bürgermeis­ter und dem Kontaktmanagement. Da haben alle engagiert zusammengeholfen. Mein Fazit: Die Kreisverwaltung hat gemeinsam mit den Kommunen, die täglich als Ortspolizeibehörde gefordert waren, den Lockdown gut bewerkstelligt. Unser Land steht heute so gut da, weil es ein gutes Gesundheitssystem hat und seine Verwaltung erstklassig funktioniert. Es gibt natürlich auch ein paar Dinge, die man hinterfragen und bewerten muss.

Der Informationsfluss an infizierte Personen ist gelegentlich kritisiert worden.

Eininger: Die Meldeketten über verschiedene Ebenen hinweg waren manchmal umständlich. Wie wir das optimieren können, prüfen wir gerade. Hervorheben möchte ich hier die Arbeit der Malteser und des Roten Kreuzes, die waren handlungsstark. Und alle Krankenhäuser haben sehr gut zusammengearbeitet, also unsere drei Medius-Kliniken, das Klinikum der Stadt Esslingen und die Filderklinik. Auch mit den niedergelassenen Ärzten funktioniert es inzwischen gut. Unser Bemühen war in der Anfangsphase, Praxen und Krankenhäuser nicht zu fluten. Es war entscheidend, dass wir deren Leistungsfähigkeit erhielten. Nur auf der Intensivstation der Nürtinger Klinik waren wir an wenigen Tagen so an der Grenze, dass wir Patienten ausfliegen mussten.

Die Kliniken kämpften mit Engpässen beim Schutzmaterial.

Die Lage war zeitweise so prekär, dass uns am nächsten Tag die Schutzmasken ausgegangen wären. Das Land hat in der Phase nur versprochen, aber nichts gehalten. Zum Glück gab es Hilfe, zum Beispiel vom Klinikum Stuttgart und von der Klinik am Eichert in Göppingen. Jetzt gibt es Material im Überfluss. Wir werden einen Vorrat anlegen, der für zwei Monate reicht.

Sind die CAZ und die Fieberambulanzen noch in Betrieb ?

Beide CAZ sind noch in Betrieb, aber nicht mehr am Wochenende und abends nur bis 17 Uhr. Über die Fieberambulanzen müssen wir jetzt nachdenken, gestern waren es dort nur noch acht Fälle. Bei den beiden CAZ sind es noch 150 bis 170 Tests am Tag, in Spitzenzeiten waren es 800.

Die Notklinik an der Landesmesse wurde nie benötigt. War es überhaupt notwendig, diese Klinik einzurichten?

Auch im Rückblick stehe ich hundertprozentig zu dieser Entscheidung. Wir haben seinerzeit die Bilder aus Bergamo und Straßburg gesehen. Gleichzeitig ist die Situation in Nürtingen eskaliert. Damals hat uns Sozialminister Lucha aufgefordert, Notkliniken einzurichten. Er hat versprochen, dass wir Einrichtung und Betrieb finanziert bekommen. Dann haben wir mit den Maltesern das an der Landesmesse gemacht, wo das CAZ in Betrieb war. Wir sind für unser verantwortungsvolles Handeln allenthalben gelobt worden. Jetzt hoffe ich, dass nicht kleinkrämerisch gesagt wird: Vielleicht hätten wir es nicht gebraucht. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all jener, die in der Notsituation gehandelt haben. Ich erwarte, dass uns der Aufwand zu einem großen Teil ersetzt wird.

Wie hoch war der Aufwand für diese Notklinik ?

1,4 Millionen Euro für den Aufbau und für Mieten. Die Messe ist im Übrigen eine Landeseinrichtung. Und wir haben die Klinik auch der Stadt Stutt­gart angeboten und als Rückfallebene fürs ganze Land.

Noch einmal zum Thema Gesundheitsamt: Die Leiterin Dominique Scheuermann hat dauerhaft mehr Personal gefordert. Bekommt sie es?

Wir fordern seit Langem eine bessere Ausstattung unserer Gesundheitsverwaltung. Auch der Landkreistag fordert dies. Für den Kreis Esslingen mit 535 000 Einwohnern bräuchten wir 3,5 zusätzliche Arztstellen und je 3,5 Stellen im mittleren und im gehobenen Dienst, also rund zehn Stellen mehr. Derzeit haben wir 11 von 15 ärztlichen Stellen besetzt. Das Land muss bei den Einstellungsgehältern drauflegen, mit A 13 und A 14 lockt man keine jungen Mediziner. Immerhin haben wir zur Kontaktverfolgung drei Containment-Scouts vom Robert-Koch-Institut bekommen und zwei Vollzeit-Arztstellen vom Land. Über diese Verstärkung freuen wir uns.

Wie sieht es mit der technischen Ausstattung aus, die Datenübermittlung soll angeblich noch über Fax laufen.

Wenn wir das angekündigte Software-Programm schon hätten, dann wäre die Meldeproblematik zwischen den Ortspolizeibehörden, den Gesundheitsämtern und dem Landesgesundheitsamt beseitigt. Ich ziehe aber den Hut vor der Truppe von Frau Scheuermann, die hat Enormes geleistet, um die Kontaktketten ausfindig zu machen. Auch die Heimaufsicht hat gut funktioniert. Sie hat schon Anfang März auf notwendige Hygienemaßnahmen hingewiesen und bei einem Ausbruch in einem Pflegeheim das ganze Personal getestet, damals weit über den Vorgaben.

Wie ist es zu diesen zehn Toten in einem Pflegeheim in Dettingen gekommen?

Wir können auch im Nachhinein nicht verstehen, warum dort – am Anfang der Pandemie – dieser Ausbruch so eskaliert ist. Das ist höchst bedauerlich. Unser Gesundheitsamt hat sich an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts orientiert, teilweise sogar mehr getestet. Ich möchte betonen, dass die jetzige flächendeckende Testung nur eine Momentaufnahme ist.

Welche finanziellen Folgen wird die Coronakrise auf die Kreisfinanzen haben?

Der Kreishaushalt wird das noch relativ gut verkraften, so richtig wird sich das erst 2021 auswirken, weil die Einnahmen der Städte und Gemeinden sinken. Die Sozialausgaben werden auf jeden Fall hochgehen.

Im April hatten wir bereits 600 Bedarfsgemeinschaften mehr. Ich fürchte, dass Corona vorhandene Strukturprobleme in der Wirtschaft verstärkt. Deshalb muss das Land den Unternehmen schnell unter die Arme greifen und dabei den Transformationsprozess in der Automobilwirtschaft unterstützen. Außerdem müssen wir in Digitalisierung und in Klimaschutz investieren.

Muss ein Rettungsschirm für die Landkreise aufgespannt werden?

Vergangene Woche hatten die Landräte eine Videokonferenz mit dem Ministerpräsidenten. Da haben wir verdeutlich, dass es die Gemeinden, Städte und Landkreise waren, die die Krise bewältigt haben. Jetzt darf man uns nicht hängen lassen. Wir brauchen echte Hilfe vom Land, keine bloßen Liquiditätsspritzen. Die Kreise müssen ihren sozialen Verpflichtungen nachkommen, dürfen aber ihre Kommunen nicht zu sehr belasten.

Geht es an die Existenz der Busfirmen?

Derzeit ist nur ein Bruchteil der Pendler mit dem ÖPNV unterwegs und wenige Schüler. Mit dem VVS und den vier Verbundlandkreisen arbeiten wir an Lösungen, um die Busfirmen zu stützen. Wir haben Abschlagszahlungen vorgezogen und den Eltern für zwei Monate die Eigenanteile ersetzt, damit sie im Schulabo bleiben.

Wie bewerten Sie die Lockerungen und wachsende Kritik?

Es ist verblüffend, wie die Bevölkerung den Anordnungen gefolgt ist. Jetzt wird es schwieriger, die Beschränkungen zu rechtfertigen. Dass protestiert wird, gehört zum Rechtsstaat und zur Demokratie. Zwei Dinge möchte ich aber betonen: Dieser Staat hat in der Krise hervorragend funktioniert. Und wir dürfen nicht jubilieren, obwohl wir in den letzten sieben Tagen nur wenige neue Infektionsfälle hatten, sondern wir müssen nach wie vor diszipliniert sein.