Vor drei Jahren hatte die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Julius von Jan als „Gerechten unter den Völkern“ ausgezeichnet. Jetzt kamen Medaille und Urkunde in der Oberlenninger St. Martinskirche an. Dort hatte der Pfarrer im November 1938 seine berühmte Bußtagspredigt gehalten. Eine frühere Übergabe hatte unter anderem die Pandemie vereitelt. Am Freitag nutzte Richard von Jan die Gelegenheit, sie dorthin zu bringen, wo sie in guten Händen sind“, so der 87-Jährige. „Hier ist beides am besten aufgehoben.“ Die Auszeichnung hatte er vor einem Jahr in einer kleinen Feier in Berlin stellvertretend entgegengenommen. Um die Personalakte seines 1964 gestorbenen Vaters zu vervollständigen, sollen Kopien von Urkunde und Medaille an die Landeskirche gehen.
Heute lebt Richard von Jan in Fürth. Teile seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in Oberlenningen. Er erinnert sich unter anderem daran, wie er die Ski unterschnallte und auf „dem Bach“ Schlittschuh fuhr. Der Abend des 25. November 1938, an dem die überwiegend aus dem Raum Nürtingen stammenden, aufgestachelten Nazis von der Turnhalle johlend zum Pfarrhaus marschierten und dort eine Tür und mehrere Fenster einschlugen, konnte dagegen in seinem Gedächtnis keine Spur hinterlassen. Der Vierjährige schlief. Seine Mutter wird das später als „göttliche Fügung“ deuten. Das komplette Pfarrhaus durchsuchten die Nazischergen an diesem neunten Tag nach der Bußtagspredigt nach Julius von Jan, doch der war in Schopfloch bei einem Gottesdienst. Entkommen konnte der Pfarrer seinen Peinigern freilich nicht. Auf dem Weg nach Hause überfielen ihn die Männer und schlugen ihn zusammen.
Die Schilderung der brutalen Misshandlung erspart Martin Stährmann den Zuhörern seiner Lesung. Ihm ist es zu verdanken, dass die Ereignisse jener Tage nicht in Vergessenheit geraten. Unter dem Titel „Julius von Jan. Ein aufrechter Pfarrer wider die Nationalsozialisten“ veröffentlichte er vor einem Jahr eine Biografie über den Kirchenmann, der wegen seiner heute noch vielbeachteten Predigt ins Gefängnis geworfen, drangsaliert und schließlich an die Ostfront geschickt worden war.
In seinem Vortrag konzentriert sich Martin Stährmann auf den Kern seines 190 Seiten umfassenden Buchs und arbeitet heraus, was Julius von Jan zu seiner mutigen Predigt bewegt hatte. Schon seit 1933 kämpfte er gegen die Nazis. Doch die Pogrome gegen die Juden am 9. November 1938 – für Julius von Jan das „organisierte Antichristentum“ – brachten das Fass zum Überlaufen. Der Bibel verpflichtet, wäre für ihn „längeres Schweigen Sünde“ gewesen. Grund zur Buße sieht er beim ganzen Volk und schließt auch sich mit ein. Auch er hatte anfangs große Hoffnungen in die Nationalsozialisten gesetzt. Die Bußtagspredigt sei politisch und prophetisch gewesen, so Stährmann. Propheten kämen fast immer mit den Mächtigen in Politik und Religion in Konflikt. „Sie zeigen Zivilcourage, nennen Missstände beim Namen, reden Klartext.“ Es gehe ihnen um Recht und Gerechtigkeit. „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“, so heißt der Predigttext, der in Jeremia 22,29 steht. Julius von Jan bezieht den dritten Vers ein, in dem es heißt: „Schindet nicht die Fremdlinge … tut niemand Gewalt, und vergießt nicht unschuldiges Blut.“ Der Pfarrer habe die Parallelen zwischen der Zeit des Propheten Jeremia und des Naziregimes gesehen. Dass er sich in größte Gefahr begab, weil er seinem Gewissen folgte, sei ihm klar gewesen, betont der Biograf. Dennoch nimmt Julius von Jan in der Predigt kein Blatt vor den Mund, kritisiert Landesbischof Wurm und bezeichnete die nazitreuen „Deutschen Christen“ als „Lügenprediger“.
Martin Stährmann baut in der mit Bildern hinterlegten Lesung einen Spannungsbogen auf: Erst fokussiert er sich auf die Predigt, die Julius von Jan im vollen Bewusstsein gehalten hatte, „die wundeste Stelle des Nationalsozialismus angetastet“ zu haben. Nach einer Zäsur in seinem Vortrag skizziert der Biograf holzschnittartig die Tyrannei nach dem Bußtag und den weiteren Lebensweg. Wichtig ist dem Autor das Vermächtnis Julius von Jans: Sein Widerstand gegen das Unrecht der Nationalsozialisten, seine Bußtagspredigt seien ein Aufruf an die Kirche und alle Menschen, die sich christlichen Werten verpflichtet fühlten. „Wann gilt es, sich durch Reden und Handeln einzumischen, Zivilcourage zu zeigen, dem Rad in die Speichen zu fallen?“, so müssten sie sich fragen. So werde das Grundrecht auf Asyl mehr und mehr ausgehöhlt. „Kirche und Gesellschaft sind gefordert, Druck auf die Politik zu machen, für ein Asylrecht, das dem ursprünglichen Anspruch wieder gerecht wird.“ Dirk Schmidt, Pfarrer an der evangelischen Julius-von-Jan-Kirchengemeinde, mahnt, die Erinnerung an Julius von Jan wachzuhalten. Er habe gezeigt, wie sich gute Wege einschlagen lassen, die davor schützen, in die Irre zu gehen.
Über den Autor
Martin Stährmann
Die Biografie „Julius von Jan. Ein aufrechter Pfarrer wider die Nationalsozialisten“ ist im Evangelischen Verlag Stuttgart erschienen. Martin Stährmann, Jahrgang 1965, lebt in Möhringen. Bei seiner Arbeit als Leiter der kirchlichen Verwaltungsstelle Esslingen „stolperte“ er über Julius von Jan und entdeckte seine Leidenschaft fürs Schreiben neu.
Martin Stährmanns neuestes Buch trägt den Titel „Jesus – Begegnen und Segnen“. Es handelt sich um eine Biografie in Form von 70 Gedichten und Balladen. Sie ist im Manuela Kinzel Verlag erschienen. ank