Lenningen. „Die legt heute ein Tempo vor, das ist ja Wahnsinn“, sagt Josef Führinger lachend, als der letzte Ton des Stückes „Wenn ich ein Vöglein wär“ verklungen ist, und Else Steudle die zuvor emsig von Saite zu Saite hüpfende Hand sinken lässt. Der Leiter der Lenninger Musikschule kommt seit gut drei Jahren alle 14 Tage nach Unterlenningen ins Haus im Lenninger Tal, um in lockerer Runde zu musizieren.
Während zwei Frauen und der Musiklehrer konzentriert an den Saiten ihrer Veeh-Harfen zupfen, singen die Umsitzenden mit oder wiegen sich im Takt. Die Musikstunde ist den Hochbetagten wichtig. „Höchstens der Friseur kommt“, meint Josef Führinger mit einem Augenzwinkern. „Dann kann es sein, dass jemand fehlt.“
Die auf den Resonanzkörper unter die Saiten geschobene Notenschablone ermöglicht es selbst Menschen mit demenziellen Erkrankungen, zu musizieren. Achtel sind durch kleine Punkte gekennzeichnet, Viertel durch etwas größere und Halbe durch ringförmige Noten. Dank verbindender Linien wissen die Senioren, in welcher Reihenfolge sie die Noten spielen müssen. Pfeile zeigen an, welche Abschnitte zu wiederholen sind.
Die Stunde läuft nach dem immer gleichen Schema ab: Nach einem ersten Herantasten an ein Lied im Trio, spielen Else Steudle und Hildegard Luikart das Stück jeweils allein. Im Anschluss ist wieder die volle Besetzung gefragt. Josef Führinger liefert mit seiner etwas größeren Veeh-Harfe zusätzlich die Begleitstimme. Beifall und Lob von allen Seiten sind den Musizierenden nach jedem Lied gewiss.
„Es ist schön, wenn die Bewohner noch etwas selbst gestalten können“, sagt die Leiterin des Pflegeheims, Petra Annen. Um Veeh-Harfe spielen zu können, müssten die Hände und die Augen noch mitmachen, erklärt sie. Die 84-jährige Hildegard Luikart und die 88-jährige Else Steudle sind diesbezüglich fit. Beim Zupfen benötigen die beiden Hochbetagten noch nicht einmal eine Brille.
„Ältere tun sich fast leichter als Kinder, weil sie die Melodien alle kennen“, sagt Josef Führinger. Dass sie früher im Liederkranz gesungen beziehungsweise Klavier und Flöte gespielt haben, kommt Else Steudle und Hildegard Luikart beim Musizieren auf dem Saiteninstrument ebenfalls zupass.
Nach „Großer Gott, wir loben dich“ – einem der Lieblingsstücke der Frauen – legen sie „Die Blümelein, sie schlafen“ auf. „Das passt jetzt“, meint Hildegard Luikart mit Blick auf das Herbstwetter. Zügig folgt Lied um Lied, darunter „Muss i denn zum Städtele hinaus“ und „Nun ade, du mein lieb Heimatland“.
Gerne lassen sich die Zuhörerinnen darauf ein, die Titel zu erraten. „Im schönsten Wiesengrunde“, erkennt Rosemarie Noordzij bereits nach den ersten paar Takten. Die Musik wird jäh durch das Klingeln ihres Handys unterbrochen. Ihr Mann ist am Apparat. Er genießt das morgendliche Konzert aus der Ferne. Veeh-Harfen hin oder her – die moderne Technik ist längst auch unter den Senioren im Haus im Lenninger Tal angekommen.