Lenninger Tal

Musizieren mit begreifbaren Noten

Im 14-Tage-Rhythmus leitet Josef Führinger Hochbetagte auf der Veeh-Harfe an

Lieder und Volksweisen, die der Jahreszeit entsprechen, finden in Seniorenheimen oft großen Anklang. Bewohner des Hauses im Lenninger Tal kommen regelmäßig in den Genuss, von Veeh-Harfen begleitet, zu singen.

Musizieren in froher Runde: Alle 14 Tage kommt Josef Führinger ins Haus im Lenninger Tal, um mit Hildegard Luikart (rechts) und
Musizieren in froher Runde: Alle 14 Tage kommt Josef Führinger ins Haus im Lenninger Tal, um mit Hildegard Luikart (rechts) und Else Steudle auf der Veeh-Harfe zu spielen. Die übrigen Hochbetagten lauschen den zarten Klängen gerne oder singen mit.Fotos: Jean-Luc Jacques

Lenningen. „Die legt heute ein Tempo vor, das ist ja Wahnsinn“, sagt Josef Führinger lachend, als der letzte Ton des Stückes „Wenn ich ein Vöglein wär“ verklungen ist, und Else Steudle die zuvor emsig von Saite zu Saite hüpfende Hand sinken lässt. Der Leiter der Lenninger Musikschule kommt seit gut drei Jahren alle 14 Tage nach Unterlenningen ins Haus im Lenninger Tal, um in lockerer Runde zu musizieren.

Während zwei Frauen und der Musiklehrer konzentriert an den Saiten ihrer Veeh-Harfen zupfen, singen die Umsitzenden mit oder wiegen sich im Takt. Die Musikstunde ist den Hochbetagten wichtig. „Höchstens der Friseur kommt“, meint Josef Führinger mit einem Augenzwinkern. „Dann kann es sein, dass jemand fehlt.“

Die auf den Resonanzkörper unter die Saiten geschobene Notenschablone ermöglicht es selbst Menschen mit demenziellen Erkrankungen, zu musizieren. Achtel sind durch kleine Punkte gekennzeichnet, Viertel durch etwas größere und Halbe durch ringförmige Noten. Dank verbindender Linien wissen die Senioren, in welcher Reihenfolge sie die Noten spielen müssen. Pfeile zeigen an, welche Abschnitte zu wiederholen sind.

Die Stunde läuft nach dem immer gleichen Schema ab: Nach einem ersten Herantasten an ein Lied im Trio, spielen Else Steudle und Hildegard Luikart das Stück jeweils allein. Im Anschluss ist wieder die volle Besetzung gefragt. Josef Führinger liefert mit seiner etwas größeren Veeh-Harfe zusätzlich die Begleitstimme. Beifall und Lob von allen Seiten sind den Musizierenden nach jedem Lied gewiss.

„Es ist schön, wenn die Bewohner noch etwas selbst gestalten können“, sagt die Leiterin des Pflegeheims, Petra Annen. Um Veeh-Harfe spielen zu können, müssten die Hände und die Augen noch mitmachen, erklärt sie. Die 84-jährige Hildegard Luikart und die 88-jährige Else Steudle sind diesbezüglich fit. Beim Zupfen benötigen die beiden Hochbetagten noch nicht einmal eine Brille.

„Ältere tun sich fast leichter als Kinder, weil sie die Melodien alle kennen“, sagt Josef Führinger. Dass sie früher im Liederkranz gesungen beziehungsweise Klavier und Flöte gespielt haben, kommt Else Steudle und Hildegard Luikart beim Musizieren auf dem Saiteninstrument ebenfalls zupass.

Nach „Großer Gott, wir loben dich“ – einem der Lieblingsstücke der Frauen – legen sie „Die Blümelein, sie schlafen“ auf. „Das passt jetzt“, meint Hildegard Luikart mit Blick auf das Herbstwetter. Zügig folgt Lied um Lied, darunter „Muss i denn zum Städtele hinaus“ und „Nun ade, du mein lieb Heimatland“.

Gerne lassen sich die Zuhörerinnen darauf ein, die Titel zu erraten. „Im schönsten Wiesengrunde“, erkennt Rosemarie Noordzij bereits nach den ersten paar Takten. Die Musik wird jäh durch das Klingeln ihres Handys unterbrochen. Ihr Mann ist am Apparat. Er genießt das morgendliche Konzert aus der Ferne. Veeh-Harfen hin oder her – die moderne Technik ist längst auch unter den Senioren im Haus im Lenninger Tal angekommen.

Josef Führinger  von der Musikschule Lennigen  Seniorenheim nach Unterlenningen und spielt mit zwei Frauen auf der Veeh-HarfeEva
Josef Führinger von der Musikschule Lennigen Seniorenheim nach Unterlenningen und spielt mit zwei Frauen auf der Veeh-HarfeEvangelische Heimstiftung - Haus in Lenninger Tal - Altenpflegeheim - Kurzzeitpflege

Die Veeh-Harfe ermöglicht problemloses Spielen vom Blatt

Konzipiert wurde die Veeh-Harfe in den 1980er-Jahren von Hermann Veeh. Der Sohn des Landwirts aus dem bayerischen Gülchs­heim war mit dem Downsyndrom auf die Welt gekommen. Die Liebe zur Musik war dem Jungen in die Wiege gelegt, doch das Erlernen eines Musikinstrumentes schien für ihn unerreichbar. Der Vater Hermann Veeh erinnerte sich an alte Saitenzupfinstrumente mit Notenschablonen. An den Fähigkeiten seines Sohnes orientiert, erfand er das neue Musikinstrument. Notenkenntnisse im herkömmlichen Sinn sind für das Spiel auf der Veeh-Harfe nicht erforderlich. Die für das Instrument entwickelte einfache und deutliche Notenschrift ermöglicht das problemlose Spielen vom Blatt. Hergestellt wird die Veeh-Harfe in enger Zusammenarbeit mit Werkstätten der Lebenshilfe und der Diakonie. Die Mitarbeiter erleben dort, wie sie ein Instrument bauen, das sie selbst spielen können. Veeh-Harfen sind vorzugsweise aus Ahorn oder Fichte. Sie unterscheiden sich im Tonumfang sowie durch zwei unterschiedliche Saitenabstände und sind chromatisch gestimmt. Durch Verschieben des Notenblattes wird die Tonart gewählt. Eingesetzt wird die Veeh-Harfe unter anderem in Kindergärten und Schulen, zur Therapie in Kliniken und sie bereichert den Alltag in Einrichtungen für Senioren.ank