Lenninger Tal

Nach alter Väter Sitte

Kommunalpolitik Das Präsidium des Deutschen Landkreistages trifft sich 70 Jahre nach seiner konstituierenden Sitzung wieder in Schlattstall. Der ländliche Raum ist dabei beherrschendes Thema. Von Bernd Köble

Das Dekor hat sich etwas verändert, auf den Tisch kam das Gleiche wie vor 70 Jahren: Die Landräte bei ihrer Tagung am Dienstag i
Das Dekor hat sich etwas verändert, auf den Tisch kam das Gleiche wie vor 70 Jahren: Die Landräte bei ihrer Tagung am Dienstag im historischen Saal im „Hirsch“ in Schlattstall. Foto: Landratsamt Esslingen

Hirnsuppe und Fleischküchle mit Kartoffelsalat, im Nachgang aktuelle Tagespolitik mit einem kräftigen Schuss Nostalgie - nicht nur die Speisefolge war identisch gewählt, sondern auch der Tagungsort: 70 Jahre nach dem historischen Treffen am 9. Juli 1948 haben sich Präsidiumsmitglieder des Deutschen Landkreistages am Dienstag wieder zu einer Sitzung im „Hirsch“ in Schlattstall getroffen (siehe auch Beitrag unten). Trotz aktueller Themen auf der Tagesordnung kam der Tag nicht ohne Symbolik aus. Am Abend erwartete die Delegierten ein Abendessen auf dem Hohenneuffen - wie schon 70 Jahre zuvor. „Von Schlattstall aus hat sich der Deutsche Landkreistag bis zur Wiedervereinigung weiterentwickelt“, hob Esslingens Landrat Heinz Eininger gestern den Stellenwert des historischen Treffens hervor, bevor er seine Kollegen am Nachmittag verabschiedete.

Der Tagungsort am Seitenarm des Lenninger Tals war auch aus anderem Grund gut gewählt: Die Gleichstellung des ländlichen und städtischen Raums ist eines der Kernanliegen der kommunalen Spitzenverbände. Landkreistags-Präsident Reinhard Sager machte deutlich, dass man von der Berliner Koalition mit Blick auf die vereinbarte Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ konkrete Weichenstellungen erwarte. Überall dort, wo es um bezahlbaren Wohnraum, Erhalt und Ausbau von Schulen, Nahverkehrskonzepte oder die Versorgung mit schnellem Internet gehe. Selbst im dicht besiedelten Kreis Esslingen, dem „Flächenzwerg“ und „Einwohnerriesen“ unter den 294 Landkreisen in Deutschland, gelten bis heute 60 Prozent der Gewerbegebiete als unterversorgt. „Je rascher wir Glasfaser in jedes Haus bringen, desto schneller nehmen wir auch Druck von den Großstädten“, sagte Sager. „Das Bundesinnenministerium hat den Hut auf. Jetzt heißt es, Nägel mit Köpfen zu machen.“

Den Hut auf hat der Bund nach Meinung der Landräte bei anderen Themen hingegen viel zu häufig. Die Frage der kommunalen Selbstverwaltung treibt Städte und Landkreise heute wie vor 70 Jahren gleichermaßen um. Warum Schulklos und die Digitalisierung von Klassenzimmern nicht Aufgabe der kommunalen Schulträger sein sollen, ist nur eine Frage, die man sich stellt. Der Vorwurf: Der Bund reiße sich über Förderprogramme zunehmend Zuständigkeiten unter den Nagel. Die Forderung ist klar: mehr finanzieller Spielraum für die Kommunen, statt immer neuer Fördertöpfe, oder wie Heinz Eininger es ausdrückt: „Bedarfsgerechte Grundausstattung, statt am goldenen Zügel agieren.“

Mitten hinein ins Treffen der Landräte fiel gestern eine tagesaktuelle Meldung, die für Erleichterung sorgte. Dass die Regierung ihre Pläne für eine Beschränkung des sogenannten Baukindergeldes auf 120 Quadratmeter fallen lässt, wertet Landkreistagspräsident Reinhard Sager als Erfolg hartnäckigen Protests.

Ums Geld ging es auch bei anderen Themen, mit dem sich das Präsidium in Schlattstall befasste. Bei der Reform der Grundsteuer, die laut Urteil des Verfassungsgerichts vom April bis Herbst 2019 stehen muss, geht es den Landräten nicht schnell genug. Eine Neuordnung müsse sich konsequent an den Grundstückswerten orientieren, betonte Sager. Warum die Wertunterschiede zwischen einer Großstadtvilla und einer Immobilie auf dem Land bei der Besteuerung außer acht bleiben sollen, sei nicht vermittelbar.

Bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit brach Reinhard Sager eine Lanze für die kommunalen Jobcenter, die jährlich eine Million Menschen in Arbeit brächten. Dafür brauche es aber flexiblere Instrumente und ausreichen Geld. Im Kreis Esslingen, wo derzeit nahezu Vollbeschäftigung herrscht, erhielten im vergangenen Jahr über 3 400 Hilfsbedürftige einen Job. Fürs Leben reicht das häufig nicht: Mehr als die Hälfte davon blieb anschließend trotzdem auf Sozialleistungen angewiesen.