Lenninger Tal

Schätze aus der Schublade

Musik Der Owener Ausnahmegitarrist Georg Lawall ist 65 geworden. Doch auf Rente und Langeweile hat er keine Lust. Er gibt lieber Konzerte. Von Günter Kahlert

Voll konzentriert: Georg Lawall. Foto: Günter Kahlert
Voll konzentriert: Georg Lawall. Foto: Günter Kahlert

Was macht man so mit 65? Normalerweise Rente beantragen, klar. Vielleicht auch mal reflektieren - „das Leben und so“. Der Kult-Gitarrist Georg Lawall hat das alles auch getan - und er hat aufgeräumt. Besser gesagt: er hat die zahllosen Schubladen in seinem historischen Owener Haus gesichtet, um selbst einen Überblick über sein Gesamtwerk zu bekommen. „Da sind Sachen aufgetaucht, von denen wusste ich gar nicht mehr, dass ich sie geschrieben habe“, erzählt er mit einem Schmunzeln im Gesicht. Erstaunlich. Denn das Verzeichnis der „ordentlich“ archivierten und auf CDs festgehaltenen Kompositionen umfasst bereits mehrere eng bedruckte DIN-A4-Seiten mit Werken für Gitarre, Orchester und Gitarre, Übertragung klassischer Werke, Bühnenwerke, Sinfonien und vieles mehr.

In mehr als 40 produktiven Musikerjahren kommt schon was zusammen. Und dann ist da trotzdem noch die „Zettelwirtschaft“, wie der Schwabe sagt, handschriftliche Blätter und musikalische Skizzen. Akribischer Musiker und „Schlamper“, wie passt das zusammen? Er lacht. „Ich bin gar kein akribischer Musiker, das ist es ja. Ich improvisiere viel und ich lass auch manchmal die Sau raus in meinem akustischen Rahmen.“ Traut man dem seriösen E-Musiker eigentlich gar nicht zu, das mit dem „d‘ Sau rauslassa“.

Jedenfalls hat das Sichten und Heben seiner Schubladen-Schätze Georg Lawall auf die Idee gebracht, eine kleine, feine Konzertreihe aufzulegen. Kein Händel, kein Bach, kein Beethoven, ausschließlich Lawall - eigene Stücke und Arrangements, die er zum größten Teil noch nie vor Publikum gespielt hat. Zwei der Konzerte hat er schon absolviert, beide komplett unterschiedlich. Eines in der Auferstehungskirche mit „Orexis“, seinem Weltmusik-Projekt, das es seit 1975 gibt, und eines solo in der Kirchheimer Musikschule. Georg Lawall pur, sozusagen. Spartanischer Aufbau: kleine Holzpalette, kleiner Perserteppich drüber („Der ist echt“), ein Hocker, eine Gitarre, ein Notenständer. Mehr braucht Georg Lawall nicht, um die Besucher mit filigranem Gitarrenspiel in seine musikalische Welt mitzunehmen.

Ziel seiner kleinen Konzerte ist es, den Besuchern einen Querschnitt durch sein Schaffen zu geben. Bei Georg Lawall reicht das von vermeintlich einfachen Liedern bis zu hochkomplexen, konzertanten Stücken. Ein Beispiel: seine Etüden, Übungsstücke für Gitarrenschüler, verkauft er zwar seit Jahrzehnten über einen Verlag weltweit, hat sie aber selbst live noch nie gespielt. „Das war mir immer zu blöd“, erzählt er seinem amüsierten Publikum. Warum eigentlich, fragt man sich, denn diese Etüden sind musikalisch vom Feinsten. Er selbst nennt sie im Übrigen, fast schon poetisch, liebevoll „Fingertänze“. Ein Konzert von Georg Lawall ist auch immer ein Wechselspiel. Eben noch eine launige, humorige Zwischenmoderation, und sobald er den ersten Ton spielt, scheint der Gitarrist in seiner Musik zu versinken, abgeschottet von der Welt um ihn herum.

Sein Leben und die Leidenschaft für die Musik ist unbestritten, aber Georg Lawall hat noch eine Leidenschaft, die auf den ersten Blick verblüfft: Fußball. In seiner Kindheit hat er die verschiedenen Jugendmannschaften des VfL Kirchheim durchlaufen, in der A-Jugend war dann allerdings Schluss: „Die Spiele waren immer am Sonntagvormittag, und da musste ich in die Kirche“, erzählt Georg Lawall. Jähes Ende einer Fußballer-Karriere. „Vielleicht hätte ich mich sonst mehr dem Kicken zugewandt als der Musik“, meint er rückblickend. Noch heute spielt er regelmäßig in der Altherren-Mannschaft des VfL Kirchheim, samstags ist er auf dem Bolzplatz mit Jüngeren.

Mit 65 jedenfalls ist ihm inzwischen jedes „höher, weiter, schneller“ fremd. „Ich habe schon auf allen Kontinenten gespielt, vor tausenden von Menschen. Das ist mir heute nicht mehr wichtig“, erklärt der Owener. Es sind die kleinen Sachen, die er inzwischen schätzt. „Du kriegst so viel von den Menschen zurück.“ Die Essenz der Musik sei nicht die handwerkliche Präzision, es sei die Seele, bringt Georg Lawall seine Überzeugung auf den Punkt.

Zwei Konzerte seiner 65er-Mini-Tour stehen noch aus, die Veranstaltungsorte sind im Moment offen. Das nächste Konzert könnte jedenfalls wieder ein ganz anderes sein als seine bisherigen zwei. Kommt darauf an, was noch so in den Schubladen schlummert.

Experimente auf YouTube

Auf den ersten Blick passt es nicht richtig dazu: Zwei Mikrofone und zwei Kameras, mit denen Georg Lawall seine Auftritte seit längerem schon dokumentiert. Das macht er nicht alleine, seine Lebensgefährtin Andrea Rosa Simma kümmert sich um die Technik. Die Aufnahmen werden gesichtet, geschnitten und landen dann auf seinen diversen YouTube-Kanälen. Prädikat: sehens- und hörenswert.

Die am meisten aufgerufenen Videos sind überraschenderweise seine Arrangements deutscher Volkslieder. „Die sind echt der Renner gegenüber allem anderen, was ich gemacht habe“, erzählt er. Was er aus Titeln wie „Kein schöner Land“ oder „Das Wandern ist des Müllers Lust“ daraus macht, begeistert viele. Das erste Mal öffentlich gespielt hat er die Volkslieder bei seinem Auftritt in der Kirchheimer Musikschule.

Die Möglichkeit, auf YouTube zu veröffentlichen, bedeutet für ihn eine ganz neue Freiheit: „Ich kann alles machen, wie ich es will und wann ich es will. Das ist unglaublich.“ Er will kein „abgehobener Künstler“ sein, der mit der modernen Welt nichts zu tun haben möchte. gk