Lenninger Tal

Trollinger und „Bimbes“

Kleinod Ein schmuckes Häuschen in Ortsrandlage dient in Owen als ungewöhnliche Begegnungsstätte. Die „Villa Spitzbart“ ist der kleinste Tresen am Albtrauf. Von Bernd Köble

Ein Prosit auf die „Villa Spitzbart:“ Die Brüder Kurt und Fritz Vogel mit Owens Pfarrer Ekkehard Graf (von links).Foto: Carsten
Ein Prosit auf die „Villa Spitzbart:“ Die Brüder Kurt und Fritz Vogel mit Owens Pfarrer Ekkehard Graf (von links).Foto: Carsten Riedl

Die wirklich wichtigen Dinge im Leben haben ihren besonderen Platz. Das - könnte man sagen - ist sogar historisch belegt. Ob die deutsche Einheit jemals Wirklichkeit geworden wäre, ohne einen Kanzler in Grobstrick, ohne die Schwäche europäischer Staatschefs für Pfälzer Wein und Saumagen, darüber streiten Historiker bis heute. Viele meinen: wohl eher nicht.

Nun liegt in der Owener Marienkirche zwar ein mutmaßlicher deutscher König begraben, doch dessen Blüte ist lange her. Helmut Kohl war nie hier. Zu Unrecht. Schließlich findet die Geisteshaltung des im Juni verstorbenen Altkanzlers, wonach sich harte Geschäfte und Sinnesfreuden nicht zwangsläufig ausschließen, gerade hier am Fuße der Teck ihre schwäbische Entsprechung. Kohls Kurzformel, ins Schwäbische übersetzt, hätte wohl gelautet: Trollinger und „Bimbes.“

In der „Villa Spitzbart“, idyllisch zwischen Obstbäumen am Ortsrand von Owen gelegen, kommt zusammen, was zusammen gehört. Freunde, Verwandte, Geschäftspartner und jawohl - auch Großkopfete. Ein Konsul aus Nepal war schon hier, Firmenchefs und hohe Verwaltungsbeamte, Lokalpolitiker und Kulturschaffende. Und natürlich Owener Originale, vom Landwirt bis zum Handwerker. Ein Platz wie geschaffen, um Geschäfte einzufädeln, Strategien zu entwickeln und beim Viertele in Erinnerung an alte Zeiten zu schwelgen. So manch einer, erzählt man sich, der vom Geiste Bacchus sich in dunkelster Nacht habe heimleuchten lassen, sei anderntags erleuchtet wieder aufgewacht.

Vor 81 Jahren erbaut

Kurt Vogel ist der Hausherr in der „Villa Spitzbart“. Einer, den man im modernen Sprachjargon wohl als versierten Netzwerker bezeichnen würde. Der ehemalige Stadtrat und erfolgreiche Unternehmer im Unruhestand ist als Mensch gern unter Menschen und fügt dabei gelegentlich zusammen, was auf herkömmliche Weise nicht unbedingt zusammen fände. Dafür braucht es einen Platz im Leben. Nicht nur sinnbildlich, sondern ganz real.

Einen Ort wie die „Villa Spitzbart“, deren Name eigentlich dem schwäbischen Grundsatz widerspricht, wonach das Sein stets höher anzusiedeln sei als der Schein. Ein fraglos schmuckes Häuschen, allerdings gerade groß genug, um Tisch und Bank Platz darin zu bieten. Ursprünglich erbaut von Handwerkern in Oberlenningen anlässlich des Tags der Arbeit vor 81 Jahren. Ein Tag, der 1936 mit einem Festumzug gefeiert wurde. Auf einem der Wagen stand jene Holzhütte, aus der der Industrielle Adolf Scheufelen der werktätigen Bevölkerung zuwinkte. Das Markenzeichen des Patriarchen: ein Spitzbart. Seitdem hat das Häuschen nicht nur seinen kuriosen Namen, sondern auch einen Owener Besitzer: Karl Zeyfang erwarb die herrenlose Hütte per Los und verkaufte sie anschließend an den Owener „Gwölbleswirt“ Wilhelm Kerner. Auf einer Wiese im Gewann „Wittum“ fand sie einen Platz und diente dort zwei Generationen lang als Ort der Geselligkeit und der Entspannung, ehe sie vor knapp 25 Jahren erneut den Besitzer wechselte.

Anfang der neunziger Jahre erwarb Kurt Vogel das Gebäude samt Grundstück, brach das in die Jahre gekommene Häuschen 1999 vollständig ab und baute es an selber Stelle solide gemauert wieder auf. Die Stromleitung zur Teck wurde angezapft, ein kleiner Vorplatz mit Feuerstelle gebaut und eine Zisterne gegraben. Heute weist nur noch ein ins Holz gebrannter Schriftzug auf die Geschichte der „Villa Spitzbart“ hin. Eines ist geblieben: Die Besucher, die so bunt sind wie ihre Geschichten, in denen es um längst Vergangenes, um Alltagssorgen und Zukunftspläne, um Trollinger und „Bimbes“ geht. Nur einen Spitzbart trägt heute keiner mehr.

Ein Prosit auf die „Villa Spitzbart:“ Die Brüder Kurt und Fritz Vogel mit Owens Pfarrer Ekkehard Graf (von links).Foto: Carsten
Ein Prosit auf die „Villa Spitzbart:“ Die Brüder Kurt und Fritz Vogel mit Owens Pfarrer Ekkehard Graf (von links).Foto: Carsten Riedl