Lenninger Tal

Trümmerfelder in der Touristenidylle

Erdbeben Die Unterlenningerin Agnes Fritz engagiert sich als Katastrophenhelferin für die gemeinnützige Organisation Shelter-Box. Vor wenigen Tagen ist sie aus Indonesien zurückgekehrt. Von Daniela Haußmann

Für die Hilfsorganisation Shelter-Box war Agnes Fritz im Erdbebengebiet auf der indonesischen Insel Lombok im Einsatz.Foto: pr
Für die Hilfsorganisation Shelter-Box war Agnes Fritz im Erdbebengebiet auf der indonesischen Insel Lombok im Einsatz.Foto: pr

Flutwellen, Starkstürme, Vulkanausbrüche - Millionen Menschen werden jedes Jahr zum Opfer von Naturkatastrophen. Von einem Moment zum anderen sind ganze Landstriche verwüstet, Existenzen bedroht und Entwicklungsfortschritte zunichte gemacht. Zig Tausende sind nach solchen Ereignissen auf Hilfe angewiesen, auch in Indonesien. Agnes Fritz kennt die Schicksale, die hinter den Statistiken und Agenturmeldungen stehen. Die Unterlenningerin ist Katastrophenhelferin. Seit fünf Jahren engagiert sie sich für die gemeinnützige Organisation Shelter-Box, für die sie bis vor kurzem für neun Tage in Indonesien im Einsatz war.

Agnes Fritz zieht es seit ihrer Jugend immer wieder in Länder, in denen Menschen in prekären Verhältnissen leben - auch oder gerade wegen Katastrophenereignissen. Doch ein Erdbebengebiet hat die 34-Jährige, die aktuell in Hamburg lebt, noch nie besucht. Als sie auf der Insel Lombok aus dem Flieger stieg, deutete nichts darauf hin, dass seit Juli mehrere Erdbeben weite Teile der Region zerstört hatten. Erst als Fritz und der Rest des Teams mit dem Auto in das betroffene Gebiet vordrangen, durchbrachen Kinder, die in Scherben und Trümmerfeldern spielten, die Touristenidylle. „Das sind Bilder, die mir nie mehr aus dem Kopf gehen werden“, ist die Helferin überzeugt. „Ich musste daran denken, wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag und konnte mir nur ansatzweise vorstellen, wie Menschen das damals alles bewältigt haben.“

Tief bewegt hat die 34-Jährige das Schicksal zahlloser Mütter, die mit Kleinkindern oder Neugeborenen ohne ein Dach über dem Kopf auskommen mussten. „Viele flohen wegen Tsunamiwarnungen in die Berge und den Dschungel, wo sie wochenlang ausharrten, weil sie Angst vor Nachbeben und Flutwellen hatten“, erinnert sich Agnes Fritz. Als Sulawesi von einem Erdbeben und anschließend von einem Tsunami zerstört wurde, befand sich die Unterlenningerin gerade auf Lombok, um gemeinsam mit einem Team aus internationalen Kollegen Zelte, Decken, Moskitonetze und Solarlampen an 665 Familien zu verteilen.

„Hilfsgüter gibt es eigentlich nie genug“, so die 34-Jährige. „Doch die Mittel, die zur Verfügung standen, wurden geteilt. Es gibt dort ein starkes Gemeinschaftsgefühl.“ Fritz führt das auf die großfamiliären Strukturen zurück und den Umstand, dass die Menschen im Einsatzgebiet auch jenseits von Katastrophen ein autarkes Leben führen, das im Alltag zwangsläufig von wechselseitiger Unterstützung geprägt ist, wenn Hilfseinrichtungen und dergleichen fern sind. Viele haben ein Trauma davongetragen. „Ich traf Menschen, die sich nicht mal mehr in unversehrt gebliebene Häuser trauten“, berichtet Agnes Fritz. „Die Angst, dass es jeden Moment erneut zu einem Zwischenfall kommt, ist allgegenwärtig und wird die Betroffenen noch lange begleiten.“

Eigentlich benötigen die Erdbebenopfer in Lombok psychologische Betreuung. „Doch die indonesische Regierung lehnt ausländische Hilfe ab, um der Bevölkerung gegenüber keine Schwäche zu signalisieren“, gibt die Helferin zu bedenken. „Offiziell durften wir deshalb nicht als Shelter-Box einreisen, keine Hilfe oder Hilfsgüter ins Land bringen. Für Außenstehende unterstützten wir den ansässigen Rotarier-Club.“ Erst mit dem Schreckensereignissen auf Sulawesi habe die Regierung ihre Haltung geändert. Angst, dass ihr bei den Auslandseinsätzen etwas zustößt, hat Agnes Fritz nicht. Die Sicherheitsvorkehrungen für Helfer vor Ort sind hoch. Außerdem hat sie eine 1,5 Jahre dauernde Ausbildung bei Shelter-Box durchlaufen, in der beispielsweise Methoden der Stressverarbeitung, das Verhalten bei Entführungen oder Kenntnisse der Gefahrenvermeidung vermittelt werden. Auch wenn es der 34-Jährigen ein großes Anliegen ist, Menschen in Not zu helfen, zieht auch sie Grenzen: „Ich würde nie in ein Kriegsgebiet gehen.“