Lenninger Tal

Warten auf das Prädikat Welterbe

Geschichte 300 Hobbyarchäologen und wissenschaftliche Koryphäen kommen zum Kolloquium zu 100 000 Jahre Menschheitsgeschichte nach Hülben. Der Heidengraben gilt als archäologischer Höhepunkt der Alb. Von Roland Kurz

Das ist der Grabschmuck der Keltenfürstin von der Heuneburg aus dem Jahr 583 vor Christus. Foto: Bulgrin
Das ist der Grabschmuck der Keltenfürstin von der Heuneburg aus dem Jahr 583 vor Christus. Foto: Bulgrin

Der Spruch „Von dr Alb ra“ wird zur Diffamierung der Albbewohner meist mit humorvollem Unterton benutzt - doch das hinterwäldlerische Image hängt in den Köpfen der Städter fest. Dabei spielte gerade die Schwäbische Alb in der europäischen Kultur- und Siedlungsgeschichte eine bedeutende Rolle. Das Dorf Hülben wurde beim Kolloquium „100 000 Jahre Menschheitsgeschichte auf der Schwäbischen Alb“ zum Mekka für Hobbyarchäologen und wissenschaftliche Koryphäen. 300 Besucher sind gekommen. Sie tagten nur wenige Hundert Meter vom Heidengraben entfernt, der größten keltischen Siedlung Europas im ersten Jahrhundert vor Christus.

Vielleicht kann die Alb den Ruf der Rückständigkeit Anfang Juli abstreifen. Claus Wolf, Präsident des Landesamts für Denkmalpflege, hofft jedenfalls, von der Unesco-Tagung in Krakau mit dem Prädikat Weltkulturerbe zurückzukehren: Es gälte den Höhlen der Eiszeitkunst im Lone- und Achtal, wo die ältesten Musikinstrumente der Menschheit gefunden wurden.

Mit dem Titel „100 000 Jahre Menschheitsgeschichte“ hatte das Landesamt für Denkmalpflege leicht hochgestapelt. Denn 100 000 Jahre alt sind nur die Schmuckketten, die man im vorderen Orient fand. Und die älteste abstrakte Verzierung ist 70 000 Jahre alt, gefunden auf afrikanischen Straußeneiern. Der frühmoderne Mensch, Nachfolger und Konkurrent des Neandertalers, habe um 45 000 vor Christus Europa besiedelt, erläuterte Professor Nicholas Conard von der Universität Tübingen, der Fachmann für die Kunst aus den Albhöhlen. Die Werke dieser urgeschichtlichen Menschen seien im Vergleich zum Neandertaler „wie Tag und Nacht“, so Conard.

Erstmals in der Menschheitsgeschichte stellten sie vor 42 000 Jahren Schmuck in dreidimensionaler Form her, schnitzten figürliche Darstellungen wie das Mammut aus Elfenbein, formten mythische Figuren wie den Löwenmenschen und produzierten Musikinstrumente aus Knochen - in einer Epoche, die wir despektierlich Steinzeit nennen.

Der Tübinger Urgeschichtler gewährte einen tiefen Blick in die Schuttberge früherer Archäologen. Erst bei den Nachgrabungen wurden die sensationellen Flötenteile gefunden - und zwar so viele, dass es unvorstellbar sei, dass an den Lagerfeuern der altsteinzeitlichen Jäger nicht musiziert und getanzt worden ist, sagte Conard. Den Löwenmenschen aus dem Lonetal und die Venus vom Hohlefels wertet der Fachmann als Beleg dafür, dass in dieser Zeit Glaubenssysteme entstanden.

Den ersten Siedlern auf der rauen Alb wandte sich Jörg Bofinger zu, der Referatsleiter im Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen. Um 5500 vor Christus begannen die Bandkeramiker hierzulande, Hütten zu bauen, Tiere zu halten, Erntewerkzeug und keramische Gefäße herzustellen, kurzum: die Alb in eine Kulturlandschaft zu verwandeln. Vor einigen Jahren wurden in Kirchheim zahlreiche Werkzeuge aus der Jungsteinzeit gefunden. In jüngster Zeit liefern die ICE-Baustellen Nachschub.

Heuneburg und Heidengraben sind archäologische Höhepunkte der Alb. Auf dem befestigten Plateau oberhalb der Donau und der etwa 100 Hektar großen Außensiedlung dürften im 6. Jahrhundert rund 5 000 Menschen gelebt haben. Die Siedlung, bei Herodot als Pyrene bezeichnet, pflegte Handelsbeziehungen mit den Etruskern und mit den griechischen Kolonien am Mittelmeer. Wie kunstfertig die Heuneburg-Handwerker waren, davon zeugt die Ausstellung „Die Keltenfürstin“, die 583 vor Christus mit Magd und Kind an der Donau beerdigt wurde. Der Fürstensitz Heuneburg stehe nicht allein da, betonte Ausgräber Leif Hansen. Der Archäologe zeigte, wie er aus Grabungen an der Alten Burg schließt, dass die monumentale Anlage vermutlich ein großes Heiligtum gewesen ist. Ein Indiz seien Skelettfunde.

Die größte Siedlung Europas

Im Dreieck zwischen Grabenstetten, Erkenbrechtsweiler und Hülben lag die mit Abstand größte keltische Siedlung Europas. 1 700 Hektar groß, bis zu 30 000 Bewohner, durch den steilen Albtrauf sowie Graben und Wall geschützt. Massenweise Amphoren belegen den Handel mit dem Mittelmeeraum, für Glasschmuck sei der Heidengraben das dominierende Zentrum jener Zeit gewesen. Vielleicht war es auch die von Cäsar erwähnte Helvetier-Hauptstadt Riusiava.

Denkmalpfleger Günter Wieland setzte das riesige Oppidum in Bezug zu den Viereckschanzen. Die sieht man heute als befestigte Gutshöfe, die eine Zentralfunktion im ländlichen Raum hatten. Vielleicht betrieben die Kelten eine gezielte Siedlungspolitik, mutmaßte Gerd Stegmaier. Ungeklärt ist, warum die Kelten vor Christi Geburt von der Alb verschwanden. Den Römern diente dann der Alblimes als militärischer Verbindungsweg, der von Köngen über Dettingen und Donnstetten nach Heidenheim führte.