Lenninger Tal

Wie der Lügner zum Literaten wurde

Literatur Die kleine Revue zu Karl May im Unterlenninger Bahnhof war ernst und lustig zugleich. Bernd Löffler und Bernhard Moosbauer ergänzten sich sehr vergnüglich. Von Peter Dietrich

Bernhard Moosbauer und Bernd Löffler zeigen ihre Karl-May-Revue.
Bernhard Moosbauer und Bernd Löffler zeigen ihre Karl-May-Revue. Foto: Peter Dietrich

Die Erwartungen an Bernd Löffler und Bernhard Moosbauer waren hoch, sehr hoch. Hatten die beiden doch schon Karl Valentin geistreich durch die Mangel gedreht. Nun war zum 175. Geburtstag Karl May an der Reihe, eingeladen hatten die Gemeindebücherei Lenningen und die Engagierten Bürger.

Die Ausgangspunkte der beiden Literaten waren ganz unterschiedlich. „Karl May war für mich ein Rettungsanker“, erzählt Bernd Löffler. Natürlich hielt er den Hadschi Halef Omar für eine reale Figur. Der Musiker Bernhard Moosbauer hingegen bevorzugte in seiner Jugend Komponistenbiografien. Karl May hat auch ohne Moosbauer genügend Fans und Leser. Albert Einstein, Albert Schweitzer, Thomas Mann und Hans Fallada gehörten dazu. Carl Zuckmayer nannte gar seine Tochter Winnetou.

Karl May wurde im Erzgebirge geboren, als fünftes von 14 Kindern in ärmlichen Verhältnissen. Dass mangelhafte Ernährung ihn vom ersten bis fünften Lebensjahr blind machte, könnte ein Mythos sein, den May in die Welt setzte, gelogen hat er in seinem Leben ganz gewaltig. Sein Doktortitel war falsch, er sprach keine 1 200 Sprachen und Dialekte wie behauptet und befehligte keine 35 000 Apachen.

May verschlang Räuberromane und wurde trotz Lehrerexamen ein Kleinkrimineller. Innerhalb von 15 Jahren saß er acht Jahre im Knast - wegen Amtsanmaßung, Betrug, Hochstapelei, Diebstahl von Billardkugeln und anderen Delikten.

Dann hat er seine Energie in die Literatur umgeleitet. Er wollte Gestalten erfinden, die „in Gefahren schwebend, das stärkste Mitgefühl des Lesenden erwecken“. Zuerst gründete er für einen Dresdner Verleger drei neue Wochenschriften und veröffentlichte in der Reihe „Aus der Mappe eines Vielgereisten“ seine ersten Indianerabenteuer. Die billigen Hefte mit Fortsetzungen wurden meist an der Haustür verkauft. May schrieb fünf Romane. Die Titel sind anonym erschienen, unter ihnen - sehr erfolgreich - „Das Waldröschen“. Auf 2 612 Seiten werden immerhin 2 293 Menschen getötet. May kann auch ganz anders: Als er für den erzkatholischen „Deutschen Hausschatz“ schrieb, gab sich der evangelische Autor als Katholik aus und tilgte alle Frauen aus den Erzählungen.

Die Beziehung von Old Shatterhand zu Winnetou ist nichts für strenge Katholiken, weist doch Arno Schmidt nach, dass sie ein homoerotisches Verhältnis hatten. Doch Vorsicht mit Zitaten: Der Radebeuler Karl-May-Verlag, sagt Bernd Löffler, habe Mays Originaltexte besonders während der Nazizeit unendlich verhunzt. Einige Zitate Karl Mays fanden Zuhörer unter ihren Stühlen kleben und trugen sie vor.

Orientreise ist das Ende

Der angeblich weit gereiste Karl May wurde umschwärmt. Erst 1899 begann er tatsächlich seine erste große Reise in den Orient. Ein Schock, der die Traumwelt seiner Romane versenkte. Er schrieb fortan keine Abenteuer mehr, lieber Reflexionen und Gespräche. „Am Jenseits“ schrieb er zum Teil in Kirchheim. Er verlor viele Leser, zudem kamen nun seine Lügen ans Licht. Er leugnete standhaft, wehrte sich in Zeitungen und strengte Prozesse an. Doch nach und nach musste er alles zugeben. Der zweite Teil seines letzten großen Werks, „Ardistan und Dschinistan“, blieb unvollendet. Wäre dessen pazifistische Botschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg nur gehört worden.

Der Antiquar Bernd Löffler hatte lange und tief gegraben. Hoffentlich tut er das noch öfter, für weitere solche Abende. Am besten wieder mit Bernhard Moosbauer. Die beiden harmonieren höchst vergnüglich.

Zitate über Karl May

Frederick Hetmann hat in seiner Karl-May-Biografie für Jugendliche diesen als „absoluten Erzähler“ bezeichnet. Er habe das Talent, einen inneren Film so in Worte zu fassen, dass vor dem inneren Auge des Lesers genau die gleichen Bilder entstehen.

Klaus Mann sah in Karl May den „Cowboy Mentor of the Führer“. Dass eine ganze Generation brutal wurde, läge teilweise am bösen Einfluss von Karl May. Dies, so Bernd Löffler, sie eine „absolute Fehleinschätzung“.

Arno Schmidt kritisierte Mays Massenproduktion und die Ähnlichkeit seiner Helden, sie seien eineiige Hundertlinge. Die einzige Figur, die man als Mensch sehen könne, sei Hadschi Halef Omar.

Hans Wollschläger, erster Karl-May-Biograf nach dem Zweiten Weltkrieg, schrieb: „Er war ein Mensch, der ungezählten Millionen das Unglück erleichtert, das Glück vermehrt hat, und er war letzten Endes auch ein großer Schriftsteller.“

Bertha von Suttner, die Karl May noch acht Tage vor seinem Tod 1912 gehört hatte, schrieb in ihrem Nachruf: „In dieser Seele lodert das Feuer der Güte.“ pd