Weilheim und Umgebung

„50 Prozent der Blüten sind erfroren“

Kälte Viele Kirschbäume zeigen starke Frostschäden. Immer mehr können sich den Anbau nicht mehr leisten, da die Nachfrage geringer wird. Von Lena Bautze

Roland Kuch schaut im Neidlinger Kirschmuttergarten, wie viele der Blüten erfroren sind. Fotos: Carsten Riedl
Roland Kuch schaut im Neidlinger Kirschmuttergarten, wie viele der Blüten erfroren sind. Fotos: Carsten Riedl
Rund die Hälfte der Blüten hat den Frost nicht überlebt.
Rund die Hälfte der Blüten hat den Frost nicht überlebt.

Die Kirschblüten dieses Jahr mussten stark unter dem Frost leiden. Ob eine Blüte erfroren ist, sieht man im Inneren. Sind die Samenfäden schwarz, ist es zu spät. „Mehr als 50 Prozent sind erfroren“, sagt Roland Kuch, Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Neidlingen. Der Verein betreut über 200 Bäume des Kirschmuttergartens im Gewann Ried. Insgesamt stehen rund 20 000 Kirschbäume in und um Neidlingen.

Besonders schlimm hat es die Obstbäume im Tal getroffen: „In den Hochlagen ist es gut, doch im Tal sieht es schlecht aus“, sagt Karl Nägele aus Bissingen. Die Bäume direkt vor seinem Haus sind schlechter weggekommen als die, die auf den Wiesen bei Ochsenwang stehen. Der Landwirt besitzt jedoch nur rund 40 Kirschbäume. Sein Hauptgeschäft macht er mit Getreide, Vieh und anderem Obst: „Die Kirschen sind nur ein Betriebszweig.“ Somit kann er den Ausfall mit anderen Produkten wieder auffangen.

„Nur von den Kirschen zu leben, ist heutzutage nur noch für große Betriebe möglich“, stellt Roland Kuch fest. Für ihn war es schon immer ein Hobby. „Um nicht draufzuzahlen, müssten wir sechs bis sieben Euro pro Kilo verlangen.“ Doch der Preis wird mit den anderen regionalen Anbietern abgestimmt und pendelt sich meist bei fünf Euro ein. Beim Discounter werden Kirschen aus dem Ausland jedoch schon zwischen zwei bis drei Euro angeboten. „Man macht es uns nicht einfach, wenn immer mehr Menschen Kirschen aus der Türkei kaufen“, stellt Roland Kuch fest. Für einen Liter Spritzmittel gegen die Kirschfruchtfliege zahlt der Verein 400 Euro. Das hält dann zwar für ein bis zwei Jahre, doch wird es immer teurer. „Gefühlt jede neue Zulassung an Mitteln ist schwächer, wegen den Umweltauflagen.“ Dazu kommen noch Investitionen in Spritzdüsen. „Das können sich kleine Betriebe nicht leisten“, so der 53-Jährige.

Doch ohne das Spritzen geht es kaum. „Die Menschen wollen madenfreie und gleichzeitig ungespritzte Kirschen, aber das gibt es nicht mehr“, sagt Rudolf Tahler, Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Bissingen. Der Schädling kommt ursprünglich aus dem asiatischen Bereich und wurde erst 2008 in Deutschland bemerkt. „Wenn die Fliege da ist, ist es meistens schon zu spät.“ Rudolf Tahler hatte einst viele Bäume, jetzt besitzt er noch zehn, da es sich nicht mehr lohnt. „Davon leben kann man nicht“, weiß der 77-Jährige. Er versorgt mit den Kirschen seine Familie und Freunde. Doch selbst da lässt die Nachfrage nach. „Die Menschen, die Kirschen eingemacht haben, sind schon alle gestorben. Niemand kauft mehr 100 Pfund“, sagt er schmunzelnd. Auch bei ihm hat der Frost zugeschlagen. Seine Bäume stehen hinter seinem Haus in Bissingen. „Da ich direkt am Bach wohne, ist es bei mir immer etwas kälter.“ Bei ihm ist auch die Hälfte der Hauptblüten erfroren. Hoffnungen hat er auf die Nachblüher. „Je nach Sorte ist es unterschiedlich, wann sie blühen.“

Karl Class aus Hepsisau bemerkt, dass manche Sorten robuster sind als andere. Der Rentner besitzt zwischen 500 und 600 Kirschbäume - sowohl Tafel- als auch Schnapskirschen. Denn der Hobbybrenner stellt unter anderem auch Hochprozentiges aus dem Obst her. Doch auch bei ihm fällt die Hälfte dem Frost zum Opfer. Das ist momentan nicht so schlimm, da die Restaurants gerade noch geschlossen haben und somit sein größter Schnapsabnehmer sowieso wegfällt. Trotzdem standen seine Maschinen nicht still, denn der 66-Jährige hat zusammen mit der Gruibinger Brauerei Hilsenbeck Ethanol für die Apotheken hergestellt. Jetzt ist die Nachfrage nach Desinfektionsmittel wieder gesunken. Dafür ist sein Privatverkauf gestiegen: „Ich glaube, die Menschen desinfizieren sich in dieser Zeit von innen“, lacht er.

Auch wenn der Einzelverkauf gestiegen ist, könnte Karl Class nicht davon leben. Für ihn war die Brennerei schon immer ein Hobby und ein Zweitjob. Sind die Früchte reif, werden sie Ende Juni bis Ende Juli geerntet. Dabei packt seine ganze Familie an. Wobei es bei den Schnapskirschen einen Vorteil gibt. Sie werden vom Baum geschüttelt und müssen nicht mühsam gepflückt werden. „Sie sind viel kleiner als normale Tafelkirschen, und es wäre viel zu aufwendig, alle einzeln zu pflücken.“