Weilheim und Umgebung

Albschafe liefern Wolle für Modelabel

Innovation Inga Rubens und Florian Kirchner aus ­Neidlingen haben das Start-up „albnah“ gegründet. Der Rohstoff stammt von Bernd Burkhardts Merinoschafen. Von Iris Häfner

Florian Kirchner und ­Inga Rubens besuchen den Neidlinger Schäfer Bernd Burkhardt und ihre Wolleproduzenten auf dem ehemaligen T
Florian Kirchner und ­Inga Rubens besuchen den Neidlinger Schäfer Bernd Burkhardt und ihre Wolleproduzenten auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Münsingen. Fotos: Jean-Luc Jacques

 

Eine Landschaft wie vor 100 Jahren und eine Idee für die Zukunft - das geht wunderbar zusammen auf der Schwäbischen Alb.
Eine Landschaft wie vor 100 Jahren und eine Idee für die Zukunft - das geht wunderbar zusammen auf der Schwäbischen Alb. Foto: Jean-Luc Jacques

Eine Landschaft wie vor 100 Jahren und eine Idee für die Zukunft - das geht wunderbar zusammen auf der Schwäbischen Alb. Im Kernstück des einstigen Truppenübungsplatzes bei Münsingen weidet der Neidlinger Schäfer Bernd Burkhardt seine Schafe. In Neidlingen haben auch Inga Rubens und Florian Kirchner einige Schafe. Mit Pit, dem ersten Flaschenlamm, fing 2017 alles an. Ein befreundeter Bauer aus Weilheim brachte ihn eines Tages zum Aufpäppeln zu Inga Rubens, die ihn daraufhin täglich sieben Mal fütterte. „Dann war er halt da - und dann kam eins zum anderen“, erzählt die Neidlingerin. Zwischenzeitlich nennen sie und ihr Partner neun Schafe ihr Eigen. Da die beiden mittlerweile Profis mit der Flasche sind, bringt Bernd Burkhardt seine Problemlämmer zur Aufzucht zu ihnen.

Inga Rubens und Florian Kirchner haben das Start-up Label "albnah"gegründet. Foto: Jean-Luc Jacques
Inga Rubens und Florian Kirchner haben das Start-up Label "albnah"gegründet. Foto: Jean-Luc Jacques

„So kamen wir als Quereinsteiger zum Wolle-Thema. Wir wollten von unseren eigenen Schafen die Wolle haben“, sagt Inga Rubens. Dann verselbstständigte sich die ganze Sache. Sie erfuhr, dass schwarze Wolle ein absolutes Abfallprodukt ist. Der Grund: Sie ist schlecht zu färben und hat einen ganz eigenen Farbton. Auch die helle Wolle ist zu minderwertiger Ware degradiert worden, wird zu Düngepellets verarbeitet und die Schäfer sind froh, wenn wenigstens die Schur durch den Wolleverkauf bezahlt wird. „Hier vor unserer Haustür wächst in wunderschöner Umgebung ein toller Werkstoff regelmäßig nach - und wird nicht genutzt“, wundert sich Inga Rubens. Denn im Gegensatz zu Pit, der ein Texelschaf ist und damit einer Fleischrasse angehört, produzieren die traditionell in Württemberg gehaltenen Merinoschafe beste und feinste Wolle. „Merinowolle ist mittlerweile im Outdoor-Sektor angekommen. Sie ist isolierend, feuchtigkeitsregelnd, geruchsneutralisierend, selbstreinigend, kratzfrei und wasserabweisend“, zählt sie die Vorteile auf und schiebt nach: „Wenn die Wolle nass wird, wärmt sie weiter. Der beste Werbeträger für Wolle ist der Träger selbst - das Schaf.“ Doch die für Outdoor-Kleidung verwendete Wolle stammt hauptsächlich aus Australien und Neuseeland. Dort ist das Klima milder als auf der rauen Alb. „Hier muss die Wolle zwar ein wenig robuster sein, aber auch die kratzt nicht“, kann die Neidlingerin nicht verstehen, weshalb sich dieses Vorurteil und Negativ-Image in Deutschland der heimischen Wolle gegenüber so festgesetzt hat.

Besuch beim Neidlinger Schäfer Bernd Burkhardt auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Münsingen. Fotos: Jean-Luc Jacques
Besuch beim Neidlinger Schäfer Bernd Burkhardt auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Münsingen. Fotos: Jean-Luc Jacques

Dabei hat die heimische Wolle gleiche mehrere Vorteile gegenüber der vom anderen Ende der Welt: Der Weg zum Verbraucher ist nicht nur um ein Vielfaches kürzer, in Deutschland ist im Gegensatz zu Übersee die tierquälerische Schur verboten, die dort praktiziert wird. ­„Mulesing“ nennt sich diese zweifelhafte Methode. „Allein schon unter dem Aspekt kann es nicht sein, dass deutsche Wolle kaum mehr für Kleidung verwendet wird“, sagt Inga ­Rubens. Das ließ immer mehr die Entscheidung reifen, selbst aktiv zu werden, und so gründeten Inga Rubens und Florian Kirchner das Start-up „albnah“ - Hochwertige Bekleidung aus Merinowolle natürlich und regional. „Ich freu’ mich so, dass es jetzt endlich losgeht“, fasst sie die aufwendige Vorbereitungsphase zusammen. Im „normalen“ Leben betreut sie im Alten Forsthaus in Neidlingen in ihrer privaten Jugend­hilfeeinrichtung Heranwachsende, Florian Kirchner ist Baumkletterer und Imker.

Los geht die Kollektion mit jeweils zwei Modellen für Damen und Herren: Jacke und Wes­te. Die Farben sind Taupe, also Mittelgrau, und Grafit. Die dritte Farbe ist Braun, sodass auch dunkle Wolle ihren Absatz findet. „Die Jacken sollen Allrounder sein, die einen jahrelang begleiten und zum Freund werden“, wünscht sich Inga Rubens. Sind sind aus gewebtem Loden, der formstabil bleibt und an den Ellbogen nicht ausbeult. „Wir waren detailverliebt unterwegs. Der Reißverschluss kommt aus Deutschland, ist aus Metall und nicht Plastik“, erklärt sie.

Inga Rubens und Florian Kirchner besuchen ihre Wollelieferanten. Foto: Jean-Luc Jacques
Inga Rubens und Florian Kirchner besuchen ihre Wollelieferanten. Foto: Jean-Luc Jacques

Bis zum Endprodukt war es ein weiter und verschlungener Weg. Auf ihrer Homepage stellen sie die Wertschöpfungskette dar. Kurze Wege und faire Produkte lauten die Stichworte. In Neidlingen und auf der Alb leben und weiden die Schafe und werden einmal im Jahr geschoren. Diese Rohwolle schickt das Paar ins Ötztal nach Tirol, wo sie von Schmutzresten befreit und kardiert wird. Anschließend spinnt und walkt eine Spinnerei in Forst an der Lausitz das filzige Garn. Heraus kommen fertige Stoffbahnen, die zugeschnitten und vernäht werden können. „Dies geschieht bei unserem Schneider in Burladingen auf der Alb - und die fertigen Jacken kommen nach Neidlingen, wo wir sie direkt verkaufen oder für den Versand vorbereiten“, erläutert Inga Rubens. Ein handelsübliches Kleidungsstück legt ihrer Recherche nach 42 000 Kilometer zurück, bevor es in den Handel kommt. Ihre Jacken sind alles in allem knapp 1800 Kilometer auf Reise.

„Warum hat das noch niemand gemacht?“

„Die Tiroler sind supernette Leute. Zur Tuchfabrik in der Lausitz sind wir aufs Geratewohl gefahren“, ist ihr die Begeisterung für das Projekt anzumerken. Sie lernten viel dabei, auch, dass es den Beruf der Direktrice gibt. Die erwies sich als unverzichtbar und erstickte manche Idee gleich im Keim. Sie weiß, welche Muster und Modelle tabu sind. „Die meisten Patente hält die Firma Burda“, musste Florian Kirchner erfahren. Die Resonanz auf „albnah“ ist durchweg positiv, etwa: „Cool, warum hat das bisher noch keiner gemacht?“ Als Vorteil sehen beide ihre Branchen-Fremdheit: „Mit unserem Blick von außen sind wir an vieles unbefangen rangegangen und haben einfach mal gemacht. Es ist aber schon ein Risiko, auf dieses Pferd zu setzen“, gibt Inga Rubens zu.

Schäfer Burkhardt ist von Anfang an mit im Boot. „Unser Ziel ist ja das Gesamtkonzept: Der Schäfer soll einen Preis für die Wolle erhalten, sodass auch für ihn was dabei rauskommt. Die Landwirtschaft soll von den Subventionen wegkommen und ihre Produkte sollen wertgeschätzt werden“, zeigt sie die Geschäftsphilosophie auf und freut sich darüber, dass immer mehr Menschen regional und saisonal einkaufen. „Bei der Kleidung hört es aber auf. Dabei bietet es sich doch hier bei uns geradezu an, Kleidung aus Wolle herzustellen. Hier war die Textilindustrie zu Hause - und die Schafe gehören zum Landschaftsbild dazu“, zeigt sie die Zusammenhänge auf. Schließlich würde es das Wahrzeichen der Alb - die Wacholderheide mit ihren Silberdisteln - ohne Schafe nicht geben. Sie wieder in die Wertschöpfungskette einzubinden, würde für viele Gewinner sorgen.

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Tierquälerische australische Schafschur

Über „Mulesing“, ein in Australien gebräuchliches Verfahren, schreibt der Deutsche Tierschutzbund: Um möglichst viel Wolle zu liefern, wurden Merinoschafe auf viele Hautfalten gezüchtet - und sind daher besonders anfällig für den Befall von Fliegenmaden. Die Fliegen legen ihre Eier in die warmen, feuchten, von Kot und Urin verschmutzten, schlecht belüfteten Hautfalten der After- und Genitalregion ab. Dort herrscht für ihre Entwicklung ein optimales Klima. Die geschlüpften Fliegenmaden fressen sich in das lebende Gewebe der Tiere. Es kommt zu schweren Entzündungen und oft zum Tod des Schafes. Besonders bei hohen Außentemperaturen entwickeln sich die Maden schnell.

Zur Vorbeugung werden den Lämmern daher - ohne Betäubung und in der Regel ohne Schmerzmittel - mit einer speziellen Schere Hautfalten um After, Vulva und Schwanz herausgeschnitten. Diese Wunden werden nicht behandelt, sondern müssen von alleine heilen und vernarben. Auf dem Narbengewebe wächst keine Wolle mehr, es bleibt glatt und faltenfrei, sodass Fliegen nicht mehr angelockt werden. Das „Mulesing“ ist eine grausame und schmerzhafte Verstümmelung der Tiere und aus Tierschutzgründen entschieden abzulehnen. Nur zehn Prozent der australischen Merinowolle ist mulesing-frei.ih