Weilheim und Umgebung

Algerier machen Urlaub am Albrand

Freundschaft Wie kommt eine Familie aus Algier dazu, immer wieder in Bissingen Urlaub zu machen? Die Geschichte begann vor Jahrzehnten mit einer Deutschlehrerin. Von Peter Dietrich

Zweite Heimat: Familie Siad aus Algerien ist für vier Wochen in Bissingen zu Besuch.Foto: Peter Dietrich
Zweite Heimat: Familie Siad aus Algerien ist für vier Wochen in Bissingen zu Besuch. Foto: Peter Dietrich

Von meiner Deutschlehrerin an der Schule war ich positiv beeindruckt“, sagt Abder Siad. „Rein vom Unterricht her“, ergänzt er schmunzelnd, „ich hatte immer gute Ergebnisse.“ Aus diesem Grund entschied er sich nach seinem Abschluss für ein Deutschstudium auf Lehramt. „Ein Großteil der Lehrer kam damals aus West- und Ostdeutschland“, sagt Abder Siad über die Fakultät für Germanistik in Algier. Nach dem Studium hat er zuerst als Gymnasiallehrer Deutsch und Französisch unterrichtet. Dann wurde er Lehrer am Goethe-Institut in Algier. Dort in der Bibliothek entdeckte er in einer Zeitschrift den Verein „Internationale Begegnung in Gemeinschaftsdiensten“ (IBG) mit Sitz in Stuttgart.

Vom Mitarbeiter zum Camp-Leiter

1976 nahm er das erste Mal an einem Workcamp des Vereins teil - und zwar in Schlierbach. Der Verein beschäftigt sich unter anderem mit gemeinnützigen Arbeiten wie der Pflege von Wanderwegen. Abder Siad fand neue Freunde, mit denen er auch noch heute Kontakt hat. Irgendwann nach einigen Workcamps fragte ihn der IBG-Leiter, ob er selbst ein Camp leiten wolle. Ohne lang zu überlegen, sagte er zu. Mit 27 Leuten war Abder Siad dann auf einer Hütte bei Bissingen, dort lernte er die Familie Holder kennen. „Wir kennen uns schon lange - seit 1982“, bestätigt Dieter Holder. Bei ihm wohnt Familie Siad jetzt für vier Wochen. Der Bissinger war auch schon viermal zum Gegenbesuch in Algerien.

Ein Jahrzehnt lang hat Abder Siad IBG-Workcamps geleitet, auch in Adelboden in der Schweiz und dreimal in Salach, manchmal zwei dreiwöchige Workcamps hintereinander. Doch in den 1990er-Jahren hielten ihn die Kämpfe zwischen Islamisten und Militär in seinem Heimatland fest. „Das war kein Bürgerkrieg, das war ein Krieg gegen die Bürger“, sagt Siad, „Ich habe zehn Jahre meines Lebens verloren.“ Erst ab der Jahrtausendwende konnte er nach Deutschland, jetzt mit der Familie.

Lohn einer Zahnärztin: 320 Euro

Seine Frau Nadia ist Zahnärztin. „Das heißt nicht, dass wir eine reiche Familie sind“, sagt Abder Siad. „Der Lohn an der staatlichen Klinik liegt umgerechnet bei monatlich 320 Euro.“ Tochter Ines ist im dritten Studienjahr an der polytechnischen Hochschule in Algier und will vielleicht in Deutschland weiterstudieren und promovieren. Auch Sohn Massi pflegt bereits internationale Kontakte, einer seiner zwei Freunde in Oberlenningen will nächstes Jahr zu Besuch nach Algerien kommen. „Wer einmal kommt, kommt wieder“, sagt Abder Siad und spricht von „einem der schönsten Länder auf der Erde“, das Schnee, Sonne und Sand und eine 1 200 Kilometer lange Küste zu bieten hat.

Eine der Landessprachen ist Französisch, denn bis 1962 gehörte Algerien zu Frankreich. Nicht als Kolonie, sondern als Departement. „Ich war vier Jahre lang Franzose“, sagt Abder Siad. Dazu komme Arabisch, das aber als Verwaltungssprache nur geschrieben werde. Gesprochen werde Algerisch, eine Mischung aus Arabisch, Französisch und der Berbersprache. Auch innerhalb der Familie Siad herrscht Sprachvielfalt. Wenn die Mama etwas alleine mit den Kindern ausmachen will, kann sie es in der Berbersprache tun, dann versteht der Papa nichts.

Warum ist Abder Siad nicht in Deutschland geblieben? Das wurde er oft gefragt. So ganz sicher kann er es gar nicht sagen, doch seine Antwort ist einleuchtend: „Algerien ist meine Heimat.“